Andreas Klug, im Vorstand der ITyX-Gruppe, verantwortlich für die Bereiche Marketing und Geschäftsentwicklung
Viele Unternehmen glauben, dass die Schrift als Kommunikationsform in Zeiten von Web 2.0 und mobiler Echtzeitkommunikation ausgedient hat. Der schleichende Tod der Dokumente wird prophezeit. Doch aktuelle Studienergebnisse beweisen das Gegenteil: In Zeiten von E-Mail, Internet und mobilen Endgeräten wird schriftbasierte Kommunikation immer bedeutender – und einfacher. Durch moderne Analysemethoden können Unternehmen Anfragen per E-Mail, DE-Mail und Co. sogar weit effizienter verarbeiten als Telefonanrufe.
Wenn Verbraucher mit Unternehmen in Kontakt treten, so liegt ihnen heute die schnelle und umfassende Lösung ihrer Problemstellung besonders am Herzen. Dies spiegelt das Ergebnis des jüngst veröffentlichten „Global Contact Center Preference Report“ des Systemanbieters Avaya wieder. Danach werden insbesondere für deutsche Verbraucher Anrufe in Service-Centern immer unbeliebter. Mehr als 50 Prozent lehnen einen Anruf zur Kontaktaufnahme schlichtweg ab. Gleichzeitig hat sich der Anteil der per E-Mail gestellten Anfragen seit 2008 mehr als verdreifacht. Mit 35 Prozent ist der Anteil der E-Mail-Kommunikation zwischen Unternehmen und Verbrauchern heute fast ebenso hoch wie der Dialog via Telefon (36 Prozent). 73 Prozent der befragten deutschen Verbraucher gaben sogar an, dass die E-Mail ihr beliebtestes Kommunikationsmittel mit Unternehmen ist.
Gleichzeitig beschäftigt sich die in Kooperation mit Forrester Research weltweit mit 5.300 Verbrauchern durchgeführte Studie mit möglichen Ursachen. Auffallend ist dabei die rasant wachsende Bedeutung der mobilen Endgeräte. Ein Drittel der europäischen Kunden bevorzugt danach bereits Apps und Maildienste für Mobiltelefone und Smartphones, wenn sie Fragen an den Kundenservice richten. In Deutschland verbringen Verbraucher mittlerweile mehr Smartphone-Zeit mit der Nutzung von Datendiensten als mit klassischen Telefonaten. Ein kurzfristiger Hype, oder ein richtungweisender Trend für die Renaissance verschrifteter Kommunikation in unserer neuzeitlichen Service-Ökonomie?
Der „Überall-Sofort-Anspruch“
Für vernetzte Verbraucher ist „sofort“ der einzig akzeptable Zeitrahmen bei der Informationssuche. Netzjournalist und Schriftsteller Peter Glaser konstatierte diesen Anspruch bereits 2007 und prägte dazu den Begriff der „Sofortness“ als die „technologische Seite der Ungeduld“. Tatsächlich ist die Vorstellung der Verbraucher, dass man in allen Bereichen des Lebens nur auf einen Knopf zu drücken braucht, um gleich eine Reaktion zu erhalten, weit verbreitet. Die ständige Verfügbarkeit von Informationen und Kontakten durch Smartphones und Tabletts hat dazu geführt, dass neben Telefonat und Filialbesuch eine ganze Reihe komfortabler Kommunikationsmöglichkeiten verfügbar sind – rund um die Uhr, 24/7. Da wird die Einzugsermächtigung während der Tagesschau von der Couch aus schriftlich widerrufen. Die Direktbank kann ohnehin nur online kontaktiert werden. Und per E-Mail lässt sich schnell etwas aus dem ICE erledigen, ohne dass Mitreisende zu Mithörern werden.
E-Mail, Apps und Internet-Portale werden also offensichtlich zu einem hoffnungsvollen Surrogat des klassischen Postdokuments. Mit der DE-Mail als „Schwester“ der E-Mail wird zusätzlich der rechtsverbindliche Austausch von Dokumenten möglich. Aber wird es den Unternehmen gelingen, bei der Fülle von Kanälen das ursächliche Anliegen des Verbrauchers in ausreichender Schnelligkeit und Qualität zu bedienen? Die im vergangenen Jahrzehnt propagierte Formel, dass E-Mails innerhalb von 48 Stunden beantwortet sein sollten, kann längst als überholt bezeichnet werden. Kunden-E-Mails bleiben heute nur wenige Stunden „frisch“. Unternehmen stehen daher vor der Herausforderung, eingehende Mitteilungen auf jedem Kommunikationsweg jederzeit schnell und vollständig beantworten zu können.
Die Verfügbarkeit von Wissen
In der Realität sind Unternehmen allerdings weit entfernt davon, die Effizienzvorteile der digitalen Service-Ökonomie für sich und ihre Kunden zu nutzen. Internetseiten sind unübersichtlich, Briefe und E-Mails werden munter im Unternehmen weitergeleitet oder gehen verloren. Selten gelingt es, Vorgänge zu priorisieren und automatisch einem kompetenten Mitarbeiter zur abschließenden Antwort vorzulegen. Angesichts der exponentiell wachsenden Menge an Mitteilungen und Daten fehlen Lösungen mit einer zentralen, lernfähigen Wissensbasis. „Zentral“, weil unabhängig vom gewählten Kanal dieselbe Information zur Verfügung stehen muss. „Lernfähig“, weil die Bewertung von Informationsinhalten durch Kunden (Internet Self Service) und Mitarbeiter (Response Management) bei intelligenten Systemlösungen dynamisch in die Verbesserung der Wissensbasis einbezogen wird.
Längst gilt es als erwiesen, dass moderne Methoden der semantischen Analyse und des Text Mining den mit Schlüsselbegriffen operierenden, regelbasierten Lösungen deutlich überlegen sind. Modernes Text Mining kann den Inhalt eines eingehenden Textes analysieren und per Mustervergleich den zugrunde liegenden Geschäftsvorfall daraus ableiten – auch und im Besonderen bei unstrukturierten Kundenmitteilungen per E-Mail, De-Mail und Web. Mittlerweile erreicht „intelligente Klassifizierungssoftware“ in Poststellen und Service-Centern Fehlerraten, die unter den üblichen Fehlerraten bei der manuellen Sortierung von Dokumenten durch Mitarbeiter liegen. Ebenso ermöglichen die Lösungen eine automatisierte Erkennung und Extraktion von Fachdaten (Personen-, Vorgangs- und Adressdaten), um den Kontext einer Nachricht zu bereits bestehenden Informationen festzustellen, bevor ein menschlicher Sachbearbeiter zu dem Fall hinzugezogen wird.
Inhalte verstehen lernen
Auf diese Weise kann ein modernes Posteingangsmanagement die richtige Verteilung und Beantwortung von (digitalen) Dokumenten im wahrsten Sinne des Wortes „erlernen“. Konkretes Beispiel: Die Frage eines Kunden nach der Abwicklung eines Garantiefalls für ein Produkt. Sie wird zentral aufgenommen und einem zuständigen Mitarbeiter zugewiesen. Diesen manuellen Prozess können intelligente Systeme analysieren, intuitiv erlernen und simulieren. Die erlernte Reaktion kann dann gleich auf der Internetseite des Anbieters als suggestive Antwort angezeigt werden: „Möchten Sie uns einen Garantiefall melden?“ Der Kunde erhält seine Information also gleich im Moment der Kontaktaufnahme. Ihm ist es letztlich egal, ob sein Anliegen durch einen Menschen oder eine Maschine erledigt wird. Das Unternehmen kann wiederkehrende, triviale Fragestellungen vollautomatisch beantworten. Im Ergebnis sind also beide Seiten mit der Serviceökonomie der „Sofortness“ perfekt bedient.
Aber nicht nur simple, immer wiederkehrende Inhalte können in einem übergreifenden ECM-Ansatz (Enterprise Content Management) für E-Mail, DE-Mail, Web und klassische Post technisiert werden. Mittlerweile wurden im Versicherungsumfeld Lösungen realisiert, die sogar die Verarbeitung individueller, personenbezogener Schriftanliegen automatisiert meistern können. Auf diese Weise werden selbst komplexe Tarifangebote oder kundenspezifische Sachverhalte überwiegend automatisiert vorverarbeitet und erst zur abschließenden Prüfung den verfügbaren jeweiligen Sachbearbeitern auf dem Bildschirm vorgelegt. In diesen Fällen können in der Praxis Bearbeitungszeiten um mehr als 90 % gesenkt werden.
Mitdenkende Dialogsysteme
Nicht zuletzt durch den Siegeszug der Smartphones haben sich die Erwartungen der Verbraucher im Dialog mit Unternehmen stark verändert. In Zeiten, in denen selbst das iPhone zuverlässig Sprachbefehle seines Besitzers zur Verfassung von E-Mails und SMS umsetzen kann, steckt die klassische Serviceökonomie in einem tiefgreifenden Wandel. Serviceorientierte Unternehmen werden eine Menge tun müssen, um im Hinblick auf Schnelligkeit (Reaktion) und Informationsgüte (Inhalt) dem Verbraucher auf einer Ebene begegnen zu können. KI-basierte Lösungen sind längst in der Lage, wiederkehrende Inhalte zu erlernen und den Wissenstransfer zwischen Unternehmen und Verbrauchern entscheidend zu beschleunigen – und richtige Prozesse anzustoßen. Es reicht schon lange nicht mehr aus, am Telefon „freundlich“ zu sein, um Kunden zu „Fans“ zu machen. Unternehmen dürfen nicht um eine schnelle Antwort verlegen sein.