Autor – Dr. William Sen, Dozent an der TH Köln für den englischen Master-Studiengang „Web Science
Vor zehn Jahren schien das Thema E-Learning auf einem absteigenden Ast zu sein – obwohl mit dem technischen Fortschritt durchaus interessante Ansätze zu beobachten waren. Webcams fanden Verbreitung, die Generation „Always on“ zeigte ihr Gesicht, und der Begriff „Social Media“ wurde erstmals in der BlogOn-Konferenz in 2004 von Chris Shipley der breiten Masse präsentiert. Das alles reichte zwar, um das Thema weltweit bekannt zu machen, doch der praktische Einsatz scheiterte in der ersten Runde.
In einem im Jahr 2004 erschienen Artikel „Ist E-Learning tot?“ wurde jedoch vorausgesagt, dass die Methode erst in den nächsten 10 bis 15 Jahren „zum Hauptbestandteil der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Weiterbildung gehören wird“ [1]. Heute ist diese Prophezeiung tatsächlich eingetroffen. Doch warum ließ dieser Erfolg so lange auf sich warten? Die Gründe hierfür liegen auf der Hand.
Entscheidend: Innovatives digitales Denken
Die ersten E-Learning-Anwendungen fokussierten sich lediglich auf das Lernen vor dem Computer. Wie auch Shoppen zum Online-Shoppen, Banking zum Online-Banking, und Bücher zu E-Books wurden, wurde aus dem Lernen lediglich ein E-Learning. Um eine Revolution auszulösen, reicht eine Umwandlung von analogen Dingen in digitale Formate jedoch oft nicht aus. Produkte und Themen im digitalen Zeitalter haben Menschen erst dann fasziniert, wenn sie nicht nur aus dem Alten ein Neues gemacht haben.
Vor allem digitale Revolutionen entstehen, wenn das Denken neu erfunden wird und ein Produkt vollständig neu entsteht. Social Media faszinierte beispielsweise deswegen die Menschheit, weil man nicht das Analoge in das Digitale transformierte, sondern aus dem Digitalen weitere digitale Innovationen entstanden waren. Identifizieren kann man solche digitale Schöpfungen, indem man das Produkt nicht mehr mit dem Analogen vergleichen kann, da sie den Ursprung selbst auch im Digitalen haben. Ein gutes Beispiel hierzu ist Bookmark Sharing: Um jemanden Bookmark Sharing zu erklären, muss man ihm erst zeigen, was ein Browser ist. Und um den Browser zu erklären, muss man wissen, was das Internet ist. Erst wenn im Evolutionsverlauf der Bezug zum Analogen fehlt, ist ein Indiz für eine digitale Neugeburt und somit ein möglicher Kandidat für eine digitale Revolution erkennbar.
E-Learning = Umsetzung digitaler Lernansätze
Derzeit lässt sich ein solcher Trend auch im E-Learning erkennen, auch wenn die Produkte derzeit noch in Kinderschuhen stecken. Das Lernen am Computer durch vorgegebene Lerneinheiten ist nicht mehr vordergründig Teil von E-Learning, wie einst Mitte der 90er Jahre. Damals nahm man an, dass Lerneinheiten am Computer bereits E-Learning ausmachen. Dies würde aus heutiger Sicht jedoch bedeuten, dass fast alle Tätigkeiten zu Lernzwecken, zu E-Learning gehören würden, wie auch das Lesen eines Beitrags in Wikipedia oder das Bearbeiten eines PDF-Files.
Die Ansätze von heute müssen jedoch darüber hinausgehen. E-Learning muss Lernen durch Ausnutzung der Technologie so anbieten, dass eine breite Palette von digitalen Lernansätzen gewährleistet wird. Durch Kollaboration der Teilnehmenden können E-Learning-Applikationen dazu beitragen, dass man nicht nur wie in einem virtuellen Klassenzimmer miteinander an Projekten arbeitet. In sogenannten Autorensystemen kann das Lernen zudem durch einen Dozenten gesteuert und begleitet werden. In den meisten Fällen unterstützen solche Tools auch Videokonferenzen, Chatsysteme, Skizzentools, sowie Teilen und Bearbeiten jeglicher Dateisorten direkt auf der Plattform selbst.
Weiterbildung in der Wissensgesellschaft
Einige wichtige Faktoren haben E-Learning über die Jahre hinweg zu einem der wichtigsten Themen in der Weiterbildung machen lassen. Ein Grund ist der, dass deutsche Unternehmen derzeit immer mehr in die akademische Weiterbildung investieren. Im Jahre 2012 beispielsweise lag das Investment bei satten 2,51 Milliarden Euro. Seit 2009 hat sich diese Zahl bis 2015 gar um 15 Prozent gesteigert und jedes Jahr steigt das Investment um mehrere hunderte Millionen Euro an. Zudem studieren in Deutschland immer mehr Menschen. Während in 2007 nur 361.000 Studierende immatrikuliert waren, waren es in 2013 mehr als eine halbe Million.
Diesen Wandel der Wissensgesellschaft kann man mittlerweile auch in Unternehmen beobachten. Es ist nicht mehr unüblich, dass berufstätige abends noch die Schulbank im dualen Studium drücken, am Wochenende Blockveranstaltungen nachgehen oder E-Learning-Angebote in verschiedenen Varianten wahrnehmen, um beispielsweise einen ersten oder gar zweiten akademischen Abschluss zu erlangen.
Durch die zunehmende Vereinheitlichung und Globalisierung der Abschlüsse und Lernangebote, sind die Teilnehmer außerdem nicht mehr örtlich gebunden. In den letzten Jahren ist zudem zu beobachten, dass Hochschulen sich dem schnellen Wandel von Wissen annehmen und mittlerweile relativ schnell zu bestimmten Fachthemen spezialisierte Kurse, Weiterbildungen und Studiengänge anbieten. Wer schnell reagieren und sich den neuen Anforderungen am Markt als Arbeitnehmer stellen möchte, kann sich nicht mehr auf die örtlichen Angebote seiner Stadt oder sogar seines Landes verlassen. Und auch diesen Bedarf deckt E-Learning, indem das Lernen ohne Reisen ermöglicht.
Evaluation wissenschaftlicher Standards
Diesen Wandel haben auch deutsche Hochschulen entdeckt. Immer mehr Bachelor-Studiengänge in Deutschland werden auf Englisch angeboten. Unter dem Term „International Programs“ lassen sich auf der Website des daad.de [2] derweil ca. 1.700 Studiengänge in englischer Sprache in Deutschland auflisten. Die meisten dieser Hochschulen bauen mittlerweile auf E-Learning-Lösungen auf. Die Technische Hochschule Köln (ehemals FH-Köln) beispielsweise bietet den Master-Studiengang „Web Science“ in E-Learning-Strukturen an, der nur mit wenigen Präsenzveranstaltungen vor Ort in Köln auskommt.
Derzeit haben sich noch keine Standards in diesem Bereich herauskristallisiert. Hochschulen evaluieren ständig, um das bestmögliche Tool für die Studierenden anzubieten. Während Ilias derzeit noch als Lern-, Informations- und Arbeitskooperationssystem beliebt ist, fokussieren sich neuere Systeme auf Webinar-basierte-Systeme mit Moderation, Filesharing, Whiteboarding und Realtime-Basierte-Schulungen.
Ausblick: Nachfrage in Deutschland steigt
Die Anzahl der Anbieter, die sich nun auf dem deutschen Markt positionieren ist derweil noch relativ intransparent. Als einer der stärksten Märkte für Weiterbildung in Europa, steht der Markt für E-Learning jedoch vor allem Deutschland vor einem großen Durchbruch. Der Grund ist die hohe Nachfrage und die sehr starke Ausprägung des deutschen Bildungssektors.
Anbieter müssen allerdings lernen, sich den Anforderungen der Hochschulen anzunehmen, wenn sie den Markt für sich erobern möchten. Daher sind Partnerschaften mit den örtlichen Weiterbildungsorganisationen unabdingbar, um auch ein Produkt zu entwickeln, welches für Akzeptanz sorgt. Dadurch eröffnet sich ein neuer Markt vor allem für kleinere deutsche Software-Anbieter. Diese sitzen am Standort Deutschland direkt an der Quelle, während international aufgestellte Anbieter die deutsche Hochschuldidaktik und -umgebung aufgrund der Kultur und Entfernung eher mühsamer erschließen können.
Zitat- und Quellennachweis
[1] http://www.competence-site.de/inhalt/ist-e-learning-tot
[2] https://www.daad.de/deutschland/studienangebote/international-programs/en/
https://webscience.fh-koeln.de
Dr. William Sen ist Dozent an der TH Köln (ehemals FH Köln) für den englischen Master-Studiengang „Web Science“, der fast ausschließlich in E-Learning unterrichtet wird. Zudem ist er wissenschaftlicher Partner der VICO Group und infospeed GmbH für den Bereich Social Media Monitoring sowie Chefredakteur des Social Media Magazins.