Facelifting. Warum die Modernisierung vorhandener Systeme der bessere Ansatz für die Digitalisierung ist.

    Interview mit Dr. Wolfram Jost, Chief Technology Officer der Software AG

     

    Jedes Business ist künftig auch digitales Business. Und alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert – jetzt und in der Zukunft. Warum dies so ist? Weil man es kann.

    Diese Aussagen kennzeichnen aktuell die Herausforderungen, denen sich Unternehmen stellen müssen. Konkret heißt Digitalisierung, den Boden für neue Geschäftsmodelle und -optionen zu bereiten, indem die physische Welt mit ihrem digitalen Pendant verschmilzt. Solche innovativen Geschäftsmodelle basieren jedoch nicht auf traditionellen, fertigen (Software-)Produkten. Denn die technischen Grenzen von Standardsoftware sind schnell erreicht – beispielsweise wenn eine größere Nutzerzahl oder ein höheres Datenvolumen bewältigt werden muss. Nur digitale Plattformen bieten Unternehmen die nötige Agilität und Flexibilität, um die unternehmenseigene IT-Architektur wirkungsvoll zu gestalten und den Weg der Digitalisierung erfolgreich zu beschreiten.

    Warum Software anzeigt, wie innovativ ein Unternehmen ist, verrät Dr. Wolfram Jost, Chief Technology Officer der Software AG, im Gespräch mit DIGITUS.

    IT-Verantwortliche begeistern sich meist für digitale Projekte. Oft wird die Innovationsfreude jedoch von geschäftskritischen Altssystemen ausgebremst. Herr Dr. Jost, sehen Sie einen Ausweg?

    Natürlich – er besteht in der Einbindung traditioneller Systeme. Eine Anwendungs- und Technologie-Architektur wird selten von Grund auf neu entwickelt. Jedes Unternehmen setzt schließlich auch ältere Systeme ein, die immer noch einen wichtigen Bestandteil der IT-Gesamtlandschaft bilden. Diese sogenannten Legacy-Anwendungen unterstützen zentrale Geschäftsprozesse in einer Weise, wie es keine andere Anwendung jemals leisten kann. Ihre Neuentwicklung wäre aufwändig, risikobehaftet und böte bestenfalls begrenzten Mehrwert. Eine Modernisierung, also ein Facelifting vorhandener Anwendungen, ist der bessere Ansatz für die Digitalisierung.

    Wie könnte eine digitale Auffrischung aussehen?

    Zum Beispiel lassen sich über Programmierschnittstellen Anwendungen mit webbasierten, modernen Benutzeroberflächen ausstatten. Oder die Anwendungsdaten werden laufend auf mehrere Hauptspeicher verteilt, wo sie analysiert werden und für neue Prozesse zur Verfügung stehen. Eine weitere Option für digitale Wertschöpfung ist die Integration von traditionellen Applikationen in Cloud- oder mobile Anwendungen.

    Diese Möglichkeiten zur Modernisierung des „Bestands“ führen zuverlässiger und effizienter zum Erfolg, als Versuche, eine bewährte Lösung gänzlich aufzugeben und durch eine Neuentwicklung komplett zu ersetzen. Unternehmenskritische Legacy-Anwendungen sind als integraler Bestandteil einer digitalen Architektur zu behandeln. Generell verrät die eingesetzte Software viel über ein Unternehmen.

    Was lässt sich denn an der genutzten Software ablesen?

    Software war und ist der Innovationsfaktor – sie bestimmt die Spielregeln am Markt. Wir blicken dabei auf eine über 40-jährige Entstehungsgeschichte zurück, die sich in drei Phasen unterteilt. In den Anfangsjahren versorgten externe Entwickler Unternehmen mit individuellen IT-Programmen, die Geschäftsprozesse im Finanz- oder Personalwesen unterstützten. Zu dieser Zeit galten Unternehmen als modern und innovativ, wenn sie überhaupt Software nutzten. Die Entwicklung erfolgte ausnahmslos für ein Unternehmen selbst. Erstes und einziges Zielsystem war der Großrechner.

    Damals beanspruchten Computer noch ganze Räume.

    Richtig. Erst in der zweiten Phase fanden sie ihren Weg in die Büros, und zwar durch Standardanwendungen. Anders als die Eigenentwicklungen der Unternehmen wurden diese von externen Anbietern entwickelt und vermarktet. Die Softwarepakete von der Stange bedienten nicht mehr nur einzelne Funktionen, sondern mit der Zeit fast sämtliche administrativen Geschäftsprozesse eines Unternehmens. Ihr großer Vorteil: Sie boten benutzerfreundliche Oberflächen und mehr Wahlfreiheiten bei Hard- und Software. Mit der anschließenden „Web-isierung“ der IT wurde der Browser zum neuen Frontend und ermöglichte den Zugriff auf Geschäftsanwendungen über das Internet. Damit eröffnete sich ein vollkommen neuer Kommunikations- und Vertriebskanal für Unternehmen, dessen Potenzial mit dem Schlagwort E-Business/E-Commerce umschrieben wird.

    Welche Rolle spielt Software heute?

    Aktuell befinden wir uns in der dritten Phase, die digitale Plattformen fokussiert. Während bislang die Kostenoptimierung und Standardisierung administrativer Geschäftsprozesse im Vordergrund standen, geben digitale Plattformen den Unternehmen freie Hand, dank der schnellen Entwicklung und Integration innovativer Anwendungen neue Geschäftsmodelle zu erstellen. Diese plattformbasierten digitalen Anwendungen verlagern den Fokus vom Back Office auf das Front Office, also dorthin, wo das Geschäft mit dem Kunden und Partnern gemacht wird. Denn die stehen nun im Mittelpunkt des Interesses: Ihre Wünsche, Bedürfnisse und ihr Kaufverhalten werden möglichst in Echtzeit analysiert und die Rückmeldungen bilden die Basis, um neue, digitale Kundenerlebnisse zu schaffen. Plattformen bieten die Flexibilität und Agilität, die für solche raschen Anpassungen nötig sind. Unternehmen müssen sich zu Software-Unternehmen transformieren, also selbst Anwendungen entwickeln, wenn sie sich im digitalen Zeitalter behaupten wollen.

    Was sollte eine digitale Plattform umfassen?

    Um die benötigten digitalen Fähigkeiten darzustellen, sind fünf Bausteine notwendig: In-Memory Data, Integration, Process, Analytics & Decisions sowie Business- & IT-Transformation. Sie bieten die zentralen Funktionen, die jedes Unternehmen braucht. Alle digitalen Fähigkeiten sind Microservice-orientiert, API-fähig und ereignisbasiert. Eine digitale Plattform bildet das Fundament, auf dem eine digitale Architektur für ein Unternehmen aufbaut. Sie stellt alle zentralen Funktionen und Komponenten bereit, um digitale Architekturen für Anwendungsszenarien zu konzipieren, zu implementieren und zu überwachen. Tun müssen es die Unternehmen jedoch selbst.

    Wo liegen die Gefahren, wenn Unternehmen eine Technologie-Architektur aufsetzen?

    Die Umsetzung von Geschäftsideen in Technologie-Architekturen ist komplex und anspruchsvoll. Ein Entwickler läuft stets Gefahr, dass er den Zuschnitt zu groß oder zu knapp dimensioniert. Die Folge können mangelnde Prozessunterstützung, fehlende Agilität und Skalierbarkeit, umständliches Betriebsmanagement und geringe Benutzerakzeptanz sein. Zentral für den richtigen Zuschnitt einer Technologiearchitektur sind die von der Anwendung zu verarbeitende Datenmenge, Nutzerzahlen sowie die gewünschte Flexibilität, Performance und Skalierbarkeit. Eine Anwendung, die von mehreren Millionen Menschen genutzt wird und Daten im Terabyte-Bereich verarbeitet, erfordert einen anderen Aufbau als eine Anwendung für 50 Benutzer und einige Gigabyte Daten.

    Gibt es so etwas wie ein Herzstück in einer digitalen Architektur?

    Ja, das sind die Integrationstechnologien. Während man früher unter Integration eine Art Middleware verstand, die interne Anwendungen miteinander verband, ist sie nun aufgrund der hohen Anzahl zu integrierender Datenquellen das Herzstück einer digitalen Architektur. Ihre wichtigsten Funktionen sind Routing, Mapping, Transformation, Orchestrierung, Sicherheit und Mediation. Die Funktionen werden in Microservices umgewandelt. Mit Microservices schließt sich der Bogen, den ich eingangs von den Anfängen in der Softwareentwicklung geschlagen habe. Microservices stellen kleinere Softwaremodule einer größeren, komplexen Anwendung dar, die unabhängig voneinander implementiert, bereitgestellt, aktualisiert und verwaltet werden können.

    Das Fazit unseres Gesprächs könnte lauten: Der digitale Wandel gelingt Unternehmen nur, wenn sie eine richtig dimensionierte, digitale Architektur aufbauen und dadurch fähig sind, selber agil Software-Lösungen zu entwickeln?

    Richtig, aber ich muss ergänzen: Digitale Architekturen können ihren vollen Nutzen nur dann entfalten, wenn die dahinterliegenden fachlichen Anwendungskonzepte differenziert und innovativ sind. Ebenso wichtig sind Unternehmensmodellierung und IT-Portfolio-Management. Ohne zu wissen, was die eigentlichen betriebswirtschaftlichen Ziele sind und wie man den Übergang vom Ist- zum Soll-Zustand managen kann, wird die digitale Transformation zwangsläufig scheitern.

    Herr Dr. Jost, wir danken Ihnen für dieses informative Gespräch.

    Stand der Software AG: Halle 4, Stand C11

    www.softwareag.com/cebit

    Seit über 45 Jahren steht die Software AG für Innovationen, die sich an den Kundenbedürfnissen ausrichten, und wird in zahlreichen Kategorien für Innovation und Digitalisierung als Marktführer eingestuft. Die Software AG beschäftigt über 4.300 Mitarbeiter, ist in 70 Ländern aktiv und erzielte 2016 einen Umsatz von 872 Millionen Euro.