Interview mit Harald Grumser, CEO, Compart AG.
Mit dem Wechsel von rein physischem zu elektronischem Versand ist das Ziel einer modernen Dokumentenlogistik noch lange nicht erreicht. Dies zeigt ein Blick auf die klassische Dokumentenverarbeitung, die in Unternehmen (noch) Standard ist. Die Analyse der Abläufe offenbart einen Kreislauf, der nicht nur umständlich ist, sondern auch mit dem Verlust von semantischen Strukturinformationen einhergeht, die für eine spätere Wiederverwendung notwendig sind.
Bei den Dokumentenprozessen, auf die hier Bezug genommen wird, werden zunächst aus den Fachanwendungen die Rohdaten eines Vorgangs in für den Menschen lesbare Inhalte umgewandelt (Composition), dann formatiert, also als A4-Dokument aufbereitet, gedruckt und schließlich an den Empfänger geschickt. Dort geht es dann den gesamten Weg zurück, also Scannen, Analyse/Texterkennung per OCR (Optical Character Recognition), De-Formatieren des Dokuments und schließlich das Extrahieren der Rohdaten. Oder es werden digitale Dokumente, die an sich von Maschinen gelesen und verarbeitet werden könnten, erst in eine analoge Form (Druck) gebracht und abschließend in TIF- oder JPG-Dateien umgewandelt. Aus Content entstehen also „Pixelwolken“. Der eigentliche Inhalt wird erst verschlüsselt (Rasterbilder) und dann wieder mittels OCR „lesbar“ gemacht – Abläufe, die auch die Grafik deutlich zeigt.
Das Problem: Dieser Weg orientiert sich am Seitenformat A4. Doch dieses eignet sich zwar für Druck, Fax und Archiv – wohl aber kaum für mobile Endgeräte und fürs Web. Eine bessere Alternative wäre, nur die Rohdaten zu transferieren. Mit anderen Worten: Erstellung und Versand eines Dokuments müssen außerhalb der jeweiligen Fachanwendung stattfinden. Daraus ergibt sich unmittelbar, dass die Wahl der Seitengröße und des Ausgabekanals nicht schon in der Fachanwendung erfolgt, sondern von ihr losgelöst zu einem viel späteren Zeitpunkt als heute allgemein üblich.
Ist PDF-Versand noch zeitgemäß?
Sicher ist die Umstellung auf den inzwischen allgemein üblichen elektronischen PDF-Versand ein wichtiger Schritt, um den eingangs beschriebenen Kreislauf „abzukürzen“. Es ist aber eben nur ein Anfang. Denn was nützt ein PDF-Dokument, wenn ihm keine Metadaten für die mehrkanalfähige Aufbereitung beigegeben werden? Gut: Technologien wie XMP und ZUGFeRD sind gerade deshalb entwickelt worden, um Metadaten in einem elektronischen Dokument zu hinterlegen, sie auf Empfängerseite automatisch auszulesen und in die jeweilige Fachanwendung (ERP, CRM etc.) zu übernehmen. Auf diese Weise soll die Automatisierung in der Dokumentenverarbeitung weiter forciert werden.
Doch das Ende der Fahnenstange ist damit noch lange nicht erreicht – zumal auch PDF auf A4 basiert und daher für den Versand zum Beispiel auf mobilen Endgeräten wieder mühsam „de-formatiert“ werden muss (siehe Grafik). Es wäre hier also nicht viel gewonnen, denn gerade Prozesse wie De-Formatierung und „De-Composition“ sind komplex und meist nur mit teuren Tools machbar.
Datendrehscheibe steuert nachgelagerte Ausgabe
Wie sieht also die Dokumentenverarbeitung der Zukunft aus? Die eleganteste Methode ist zweifelsohne, eine Schnittstelle zu den reinen Daten zu schaffen, losgelöst von Seitenformat, Layout und Kanal. Denn nur so lassen sich Dokumente jedes Typs und Formats auch wirklich für alle digitalen und physikalischen Kommunikationswege effizient aufbereiten. Für Unternehmen bedeutet das: Sie müssen Erstellung und Versand voneinander trennen und eine zentrale Dokumenten- und Output-Management-Instanz etablieren. Diese „Drehscheibe“ entscheidet auf Grund von definierten Regeln und Kriterien der Fachabteilungen (z.B. Vertrieb, Marketing, Service), welche Daten in welchem Layout und Format auf welchem Kanal ausgegeben werden; natürlich immer bezogen auf den jeweiligen Empfänger.
Diese Zentralisierung hat nicht nur den Vorteil, dass der Sachbearbeiter entlastet wird – schließlich soll er sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren. Vielmehr bekommt man einen zuverlässigen Überblick darüber, welche Dokumente das Unternehmen in einem bestimmten Zeitraum verlassen haben, Informationen, die anschließend auch nach verschiedenen Kriterien selektiert werden können. Dieses Monitoring ist ein nicht zu unterschätzender Nutzen, denn viele Firmen wissen nicht genau, wie viel insgesamt gedruckt, gefaxt und elektronisch versendet wird.
Empfänger und Vorgang bestimmen den Kanal
Streng genommen bedeutet Multi-Channel-Kommunikation also die Loslösung von einem bestimmten Seitenformat, damit jedes Dokument auf jedem Kanal ohne „teure“ Umwege wie De-Formatierung etc. ausgegeben werden kann. Denn heute kommunizieren Kunden ja auf unterschiedlichen Kanälen mit einem Unternehmen: So will Herr X. beispielsweise seine Versicherungspolice nach wie vor als Papierdokument erhalten, seine monatliche Abbuchungsmitteilung aber als E-Mail-Anhang oder am besten gleich auf sein Smartphone. Mit anderen Worten: Die Wahl des jeweiligen Versandmediums wird bei jedem Geschäftsvorgang neu entschieden. Und das kann eben nur in einer zentralen Verarbeitung erfolgen, in der alle dokumentenbezogenen Kommunikationswege zusammenlaufen; zumal man damit auch flexibler bei der Anbindung neuer Kanäle ist.
In diesem Zusammenhang hat HTML5 der modernen Dokumentenverarbeitung sicher den Weg bereitet. Die textbasierte Auszeichnungssprache gibt schon heute auf mobilen Plattformen wie iPhone, iPad und Android-Geräten den Ton an. Inhalte in HTML5 können problemlos für alle elektronischen Ausgabekanäle aufbereitet werden, für Smartphone & Co. genauso wie als Webseite. Und wer es trotzdem weiter gedruckt mag – diese Option bleibt nach wie vor. Auch die Konvertierung in PDF-Dateien ist möglich. HTML5 ist derzeit das intelligenteste Format für die größen- und kanalunabhängige Erstellung und Darstellung von Dokumenten. Es ermöglicht darüber hinaus die Konvertierung beliebiger Layouts in textorientierte Formate, die Extraktion von Einzeldaten (unter anderem Rückgewinnung von Rechnungspositionen) und den Aufbau von Inhaltsverzeichnissen und Indexlisten.
Fazit
In Zeiten von Multi-Channel ist das „Malen“ von A4-Seiten mittels Page-Composition-Tools der falsche Weg, weil das Ziel-Layout alles zwischen zwei und 24 Zoll sein kann. Stattdessen sollte man in eine Dokumentenlogistik investieren, die in der Lage ist, die Daten der jeweiligen Fachanwendung entgegenzunehmen und sie empfänger- und kanalgerecht aufzubereiten.
Gefragt ist also eine IT, die den gesamten Kreislauf der Dokumentenbewirtschaftung in einem zentralen System abbildet, und zwar für alle Applikationen, die Dokumente produzieren. Dazu hinterlegt man mittels Geschäftslogik klar definierte Regeln für das Corporate Design, die Ausgabeformate und die Behandlung von Metadaten. Dabei wird die Frage nach der Unterscheidbarkeit von Daten und Dokumente immer zentraler. Nicht immer ist dabei eine klare Grenze zu ziehen, doch sollte man sich im Klaren darüber sein: Je weiter die Entscheidung über den Ausgabekanal in der Dokumentenlogistik nach hinten rückt bzw. je stärker Geschäftsvorgang und Erstellung voneinander getrennt sind, desto flexibler bleibt man als Unternehmen.
„Das Malen von Dokumenten muss aufhören.“
Bei der modernen Dokumentenverarbeitung geht es – schon lange – nicht mehr alleine um Fragen der Digitalisierung. Aktuell diskutiert wird mittlerweile der direkte Austausch von Rohdaten über eine zentrale Output-Instanz. Zu diesem Thema sprach das DOK.magazin auch mit Harald Grumser, CEO der Compart AG.
Sie sprechen immer davon, dass das Ziel einer modernen Kommunikation der Austausch von Rohdaten sein muss. Woran hapert es diesbezüglich noch?
In vielen Unternehmen entstehen neue Internetanwendungen mit zum Teil sehr innovativen Teams, die viel von Web-Design und modernen Service-Architekturen verstehen. Der Kunde würde sich zwar schon noch ein PDF-Dokument am Ende wünschen, weil man es so schön lochen und dann im Wohnzimmerschrank ablegen kann. Ein Ausdruck aus dem Browser tut‘s aber auch. Solange das nur wenige Anwendungen sind, merkt auch keiner, dass die Textbausteine von der Rechtsabteilung jetzt mehrmals gepflegt werden und ein Teil der Datenbeschaffung auch schon längst von einer anderen Abteilung übernommen wird.
Die Überlegung, ob ein Kunde einen Geschäftsvorgang direkt im Web erledigen möchte und ich als Unternehmen dadurch Transaktionskosten einspare oder ob er den langen Weg asynchroner Kommunikation per Papier vorzieht, kann nicht in zwei völlig unterschiedlichen IT-Systemen enden.
Input- und Output-Management sowie Webanwendungen müssen also in eine Gesamtarchitektur gebracht werden. Worauf kommt es dabei an? Wo liegen die Risiken?
Etliche Wirtschaftszweige haben bereits ihre Prozesse im Internet automatisiert, die restlichen müssen nun folgen. Wenn ich aber noch lange alternativ eine HTML-Eingabemaske, ein interaktives PDF-Formular und ein Papierformular zum Ausfüllen für denselben Geschäftsprozess anbiete, muss die Erstellung dieser Anwendungen und Dokumente vereinheitlicht werden.
Das bedeutet in den meisten Unternehmen eine Neuausrichtung der Verantwortlichkeiten: Input- und Output-Management müssen ihre Kompetenzen der Dokumentenverarbeitung in die Webentwicklung einbringen oder gar zu einer organisatorischen Einheit werden. Und das Malen von Layouts muss aufhören, weil die Darstellung sowohl auf einem Arbeitsplatz im Büro mit großem Bildschirm als auch auf einem mobilen Gerät mit 4-Zoll-Bildschirm funktionieren muss.
Bleiben wir noch kurz bei der seiten- und geräteunabhängigen Darstellung von Dokumenten: Welche Rolle spielt HTML5 künftig?
AFP ist das Format der letzten Meile zum Drucken, PDF wird das Format der letzten Meile zum Archivieren werden. HTML5 bietet viel, um Inhalte geräteunabhängig darzustellen, und es ist vergleichsweise einfach, in AFP oder PDF zu konvertieren. Der Weg umgekehrt ist dagegen sehr aufwändig. HTML5 ist nicht einfach nur der Nachfolger von HTML4, es ist Grundlage völlig neuer Anwendungen im Internet bis hin zu Web-Applikationen, also Anwendungen, die sowohl als Apps als auch nur im Browser laufen. HTML ist aber nicht nur die Grundlage responsiver Anwendungen, sondern auch von Geschäftsdokumenten, die sich automatisch an die Größe des jeweiligen Bildschirms anpassen. Die Erstellung von Dokumenten muss sich damit vom Seitenformat A4 als Standard lösen, was ein komplettes Umdenken in unserer Branche erfordert und uns noch viele Jahre beschäftigen wird.
Herr Grumser, wie immer sind Ihre Ausführungen hoch-informativ und spannend. Herzlichen Dank dafür!
Comparting 2015: Impulse für die digitale Kommunikation
15. und 16. Oktober 2015, Kongresshalle Böblingen
Das internationale Forum für Multi-Channel Document Management am
15. und 16. Oktober 2015 in der Kongresshalle Böblingen geht der Frage nach, warum die mehrkanalfähige Dokumentenverarbeitung künftig zur Drehscheibe in der Kundenkommunikation wird. Erstmals werden auf dem Comparting alle Hauptvorträge simultan in Deutsch, Englisch und Französisch zu hören sein.
www.compart.com/comparting
Harald Grumser, CEO bei Compart. Compart ist ein führender globaler Anbieter von Multi-Channel-Lösungen für das Dokumentenmanagement. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland ist seit mehr als zwei Jahrzehnten im Markt präsent und verfügt über Niederlassungen in Europa und Nordamerika sowie ein Partnernetzwerk in Lateinamerika.