Prof. Dr.-Ing. Hartmut F. Binner ist Professor an der Hochschule Hannover
Mittelständische Unternehmen versuchen zurzeit über Kostenreduktion und Produktivitätssteigerung sowie durch verbesserte und flexiblere Prozesse in ihrem Zielmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben und über Produkt- und Dienstleistungsinnovationen neue Kunden zu gewinnen. Die dahinterstehenden Geschäftsmodelle sind gekennzeichnet durch ausgereifte Produkt- und Dienstleistungen in gesättigten Märkten, in denen ein Verdrängungswettbewerb häufig mit immer kürzeren Produkt- und Innovationszyklen stattfindet. Durch die neuen Informationstechnologien wie Cloud-Computing, Enterprise Mobility, Industrie 4.0 oder Social Business wird diese Entwicklung noch beschleunigt.
Gleichzeitig ergeben sich neue strategische Ansatzpunkte in Bezug auf eine individualisierte und automatisierte Kundenauftragsdurchführung mit größter Variantenvielfalt bei kleinsten Stückzahlen. Hierbei steht im Mittelpunkt die digitale Prozesstransformation in Form einer vernetzten Wertschöpfungskette, die als unternehmensspezifischer End-to-End-Prozess abzubilden ist. Hierunter wird ein übergreifender Auftragsabwicklungsprozess verstanden, bei dem der Auslöser dieses Prozesses, d. h. der Kunde, auch der Empfänger der Prozessleistung ist. Dieser End-to-End-Prozess mit den darin enthaltenen Kern- oder Teilprozessen ist Bezugspunkt für die Anwendung digitaler Technologien und damit der Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.
Transparente Abbildung der Prozessaktivitäten
Eine besondere Rolle spielt dabei das Social Business. Die Vorteile für die Unternehmen sind dabei vielfältig. Neben der vereinfachten Kontaktaufnahme mit dem Ziel einer besseren Kundenanbindung und Imageverbesserung ist gleichzeitig ein kostengünstiges und effektives Werben möglich. Weiter lassen sich Informationen aus sozialen Netzen sehr schnell auswerten, um dadurch Aufschlüsse über neue Trends oder Verbrauchervorstellungen zu erhalten.
Genauso schnell lassen sich aber auch fast kostenfrei Produkte, Dienstleistungen, Konzepte oder Veranstaltungen im Netz präsentieren. Durch schnelles Feedback kann auf Fragen oder Kritik reagiert werden. Die mobilen Kundenanfragen müssen dabei von jedem Sachbearbeiter lückenlos und ohne Informationsverlust bearbeitet werden können. Voraussetzung ist daher ein lückenloser Zugriff auf alle relevanten Kundenauftrags- und Produktdaten, auch aus anderen Geschäftsprozessen. Diese Prozesse müssen im Sinne einer End-to-End-Konfiguration bekannt und miteinander verknüpft sein.
Die transparente Abbildung der Geschäftsprozesse im Unternehmen ist eine wesentliche Voraussetzung, um die einzelnen IT-Lösungen und Konzeptansätze anforderungsgerecht miteinander zu verknüpfen. So kann beispielsweise über eine Swimlane-Darstellung eine sachlich-zeitlich-logische Beschreibung der notwendigen Prozessaktivitäten erfolgen. Den einzelnen Rollen sind hier die Hauptansatzpunkte aus IT-Business-Sicht zugeordnet. Über die Cloud-Plattform werden dazu die einzelnen IT-Komponenten webbasiert in den verschiedenen Swimlanes, d.h. Teilprozessen, bereitgestellt und miteinander verknüpft.
Industrie 4.0 – eine Frage der digitalen Durchgängigkeit
In Bezug auf die Produktherstellung kommen die Industrie-4.0-Komponenten zum Tragen. Hierbei handelt es sich um die Vernetzung von Anlagen, Maschinen, Werkzeugen und Fördermittel bei der vollautomatisierten Produktherstellung mit Selbstoptimierung, bei der die Mitarbeiter nur im Störungsfall eingreifen müssen. Aus Lager- und Versandsicht geht es um die Realisierung einer Supply Chain, d. h. einer Versorgungskette mit Einbindung der Lieferanten. Die Lieferantenauswahl und Bestellung erfolgt dann über eProcurement-Lösungen.
Die digitale Durchgängigkeit der Kommunikation im End-to-End-Businessprozess bzw. innerhalb der Wertschöpfungskette erfolgt durch die vertikale Integration der Automatisierungskomponenten, angefangen von der Feldebene d. h. Maschinendatenebene bis in die übergeordnete Leitungsebene mit der Vernetzung der horizontalen, d. h. prozessbegleitenden Planungs-, Auftragssteuerungs- und Monitoring-Systeme. Alle Prozessbeteiligten, d.h. Kunden, Mitarbeiter, und Lieferanten können mobil, d.h. über Smartphone oder Tablet-PC, auf diese Cloud-Plattform zugreifen und sich auf diese Weise untereinander vernetzen.
Ganzheitliche End-to-End-Prozessgestaltung
Als Bezugs- und Ordnungsrahmen für die Umsetzung des ganzheitlichen Prozessmanagements dient das MITO-Modell. Es beschreibt systematisch die Bestandteile eines Geschäftsprozesses entsprechend der Definition der DIN EN ISO 9001 über die vier MITO-Modellsegmente Management, Input, Transformation und Output. Im Management-Segment werden die Prozessziele von der Führung personenbezogen den Mitarbeitern vorgegeben und von der Leitung sachbezogen die Zielerfüllung kontrolliert. Im Input-Segment ist beschrieben, welcher Input dem Prozess zugeführt werden muss, um damit im Transformations-Segment die Produkt- oder Dienstleistung zu erstellen, die der Kunde als Ergebnis im Output-Segment erhält.
Damit bildet das MITO-Modell den in vielen Normen und Regelwerken verbindlich geforderten prozessorientierten Ansatz in Form eines betrieblichen Regelkreismodells bzw. als Act (PDCA)-Verbesserungszyklus ab. Hierbei werden die fünf Schritte des prozessorientierten Ansatzes, d.h. die Gestaltung, Planung, Durchführung, Messung bzw. Überwachung und Verbesserung des jeweiligen Prozesses, über die fünf folgenden MITO-Segmente zielführend miteinander verknüpft:
• Management (Führungsvorgaben = Act 1) mit Schritt 1 „Gestaltung“
• Input (Eingaben = Plan) mit Schritt 2 „Planung“
• Transformation (Umsetzung = Do) mit Schritt 3 „Durchführung“
• Output (Ausgaben = Check) mit Schritt 4 „Controlling“
• Management (Review = Act 2) mit Schritt 5 „Verbesserung“
Diese Verknüpfung wird auch als Product Life Cycle (PLC) bezeichnet.
Bei vielen Aufgabenstellungen innerhalb der ganzheitlichen Prozessanalyse und Modellierung ist es darüber hinaus notwendig, vertiefende Analysen durchzuführen. Das hierzu vorgeschlagene MITO-Methoden-Tool enthält eine ganze Anzahl von elementaren Analyse-, Diagnose-, Umsetzungs- und Bewertungsmethoden, die über einen übergreifenden Problemlösungszyklus miteinander verknüpft sind. Aus den Bewertungen ergeben sich Standardergebnisdarstellungen, beispielsweise in Bezug auf Portfoliodiagramme, Radar- bzw. Spinnendiagramme, Pareto- oder ABC-Einteilungen, Ursache-Wirkungsketten, Korrelations- und Wechselbeziehungsabbildungen oder auch Zielerfüllungsgrade und Reifegrade.
Fazit
Durch die neuen Informationstechnologien werden sich die Geschäftsmodelle und damit auch die dahinterstehenden Business-End-to-End-Prozesse wesentlich verändern. Diese Veränderungen werden sich auf alle Kern- bzw. Teilprozesse innerhalb der übergreifenden Wertschöpfungskette beziehen. Es ergeben sich dadurch neue Kooperationsformen, Betreibermodelle oder Service-Dienstleistungen über die Produktlebenszeit mit hervorragenden Chancen für den Wettbewerbserfolg.
Wichtig ist allerdings eine systematische Vorgehensweise bei der Analyse und Modellierung des Businessprozesses. Das Management muss dafür Sorge tragen, dass transparente Rollen- und Regelvorgaben in Verbindung mit Verantwortlichkeiten und Kennzahlen sowie Kollaborationsvorgaben transparent innerhalb des Businessprozesses beschrieben sind. Damit wird der Einstieg in die Digitale Transformation, gerade für den Mittelstand, wesentlich vereinfacht.
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Prof. Dr.-Ing. Hartmut F. Binner ist Professor an der Hochschule Hannover und leitet im Fachbereich Maschinenbau und Bioverfahrenstechnik das Prozessmanagement II-Labor. Er hat das Organisationsentwicklungs-Meta-Modell MITO entwickelt, das als Ordnungsrahmen die Umsetzung der Prozessorientierung in Organisationen unterstützt. Seit September 2007 ist Prof Dr. Hartmut F. Binner darüber hinaus der Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft für Organisation (gfo).
Die Gesellschaft für Organisation (gfo) diskutiert im Rahmen von deutschlandweit stattfindenden Tagungen, Messen, Regionalmeetings und Expertenkreisen die aktuellen Vorgehensmodelle zur prozessorientierten Organisationsentwicklung. Dazu findet am 05./06.10.2015 bereits zum 8. Mal der gfo-Managementkongress in Düsseldorf zum Thema „Zwischen Stabilität und Flexibilität – Organisationsarbeit in agilen Unternehmen“ statt.