Autorin – Dr.-Ing. Frauke Weichhardt, Geschäftsführerin der Semtation GmbH
Die Verknüpfung von agilen Arbeitsformen mit definierten Abläufen erfordert die Schaffung eines passenden digitalen Öko-Systems. Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Wissensmanagement-Strategie. Mit der Unter-stützung durch Technologien der Künstlichen Intelligenz lassen sich die Potenziale einzelner Systeme verbinden. Der Geschäftsprozess dient dabei als Navigationsinstrument durch den Wissensraum.
Der Arbeitsalltag – allem voran die Kollaboration der Mitarbeiter – verläuft in vielen Unternehmen ähnlich wie in folgendem Beispiel: Wenn Theresa Thiem ihre Aufgabenliste für den heutigen Tag betrachtet, findet sie dort viele Aufgaben, die sie nur gemeinsam mit anderen Personen unter Berücksichtigung verschiedener Informationen aus unterschiedlichen Systemen erledigen kann. Als Kundenbetreuerin muss sie darauf achten, ihr Budget für das jeweilige Projekt nicht zu überschreiten, die Lösung rechtzeitig bereitzustellen und die benötigte Qualitätsstufe zu erreichen.
Für die Bewältigung dieser Herausforderungen kann sie sich einerseits auf ein weit verzweigtes Netz von Kollegen und andererseits auf viele bestehende Dokumente stützen, die im Rahmen der Projektarbeit für diesen oder andere Kunden bereits erstellt wurden und Anforderungsbeschreibungen, schon existierende Lösungen oder andere Informationen zu unterschiedlichsten Themen enthalten. Gleichzeitig weiß sie aufgrund der im Team definierten Prozesse, wie sie an ihre Aufgabe herangehen soll. Trotzdem treten bei jedem Kunden neue Fragen auf, deren Antwort sie sich jeweils neu erarbeiten muss.
Diese Situation zeigt die wesentlichen Anforderungen in diesem Zusammenhang auf: Wie kann sich Theresa Thiem in dieser Gemengelage zwischen bekannten und neuen Themen, zwischen definierten, bewährten Abläufen und sich verändernden Rahmenbedingungen – letztendlich zwischen der bekannten Welt und dem Ungewissen – zurechtfinden?
Digitales Öko-System als Teil der Wissensmanagement-Strategie
In Theresas Unternehmen gibt es bereits viele Initiativen zur effizienten Nutzung verfügbarer Information. Doch die Menge an unterschiedlichen Informationen, Quellen und Systemen kann sie ohne weitere Hilfestellung nur schwer durchdringen. Häufig finden sich nicht unbedingt die benötigten, sondern nur die bekannten Daten. Orientierung findet sie durch ein agiles Prozessmanagement, bei dem Prozesse definiert sind, die im Rahmen der Ausführung dynamisch angepasst werden können.
Unterstützt wird sie durch ein leistungsstarkes Informations- und Datenmanagement. Hinter diesen Initiativen liegt die Wissensmanagement-Strategie ihres Unternehmens, in der die Integration verschiedener Wissensquellen angestrebt wird, ohne bestehende Öko-Systeme zu zerstören. Ein Beispiel dafür ist der Einsatz eines Werkzeugs wie Microsoft Teams. Hier können agile Arbeitsformen mit bestehenden Informationssystemen, Datenquellen und Applikationen kombiniert werden. Auch über die Einbindung eines SemTalk-Prozessportals können die Mitglieder des Teams ihre Aufgaben konfigurieren und verstehen, wie sie ausgeführt werden sollen. Und über ein Aufgaben-Board (z.B. Microsoft Planner) lässt sich die Erledigung der Aufgaben koordinieren. Bei Bedarf wird noch ein Portal zur Verwaltung der anfallenden Daten und Dokumente hinzugefügt, für geeignete Aufgaben gegebenenfalls ein Workflow oder Formular hinterlegt. Damit gelingt die Kombination aus agiler Zusammenarbeit und Richtlinien-gebundenem Arbeitsprozess.
KI-basierte Komponenten optimieren agile Zusammenarbeit
Durch den Einsatz von Techniken der Künstlichen Intelligenz kann dieser Prozess noch einmal deutlich optimiert werden: Beispielsweise können Textanalyse oder Report-Generierung auf Basis von Machine Learning die Umsetzung der Wissensmanagement-Strategie begleiten. Die Herausforderung besteht an dieser Stelle in der Organisation von Zusammenarbeit – zwischen Menschen, aber auch die Unterstützung der menschlichen Teams durch Maschinen.
In einem wettbewerbsintensiven Umfeld wird beispielsweise die Gestaltung der Kundenschnittstelle mit all ihren Facetten zu einem immer größeren Wettbewerbsfaktor, sodass der Prozess der Interaktion zwischen Kunde und Anbieter immer aufmerksamer betrachtet wird. In vielen Firmen sind außerdem die Beziehungen zu Lieferanten entscheidend für die Qualität und Geschwindigkeit des Produktionsprozesses und damit die Auslieferung eines anspruchsvollen Produkts. Auch hier entscheidet letztlich der Prozess darüber, wie gut das Ergebnis der Zusammenarbeit ist.
Aber auch innerhalb einer Organisation gibt es viele Beispiele, in denen die Zusammenarbeit eine entscheidende Rolle spielt, um Ressourcen effektiv und effizient zu nutzen und damit einen Beitrag zu einem auch finanziell positiven Ergebnis zu leisten. Gleichzeitig werden die Ansprüche an Compliance und Sicherheit in allen Bereichen immer größer. Ohne bewusstes Prozessmanagement sind diese Ansprüche nicht mehr zu erfüllen: Zu viele Elemente müssen miteinander abgestimmt werden, als dass eine spontane Ausführung die gewünschten Resultate ermöglichen könnte.
Stärkung des organisationalen Bewußtseins
Auf der anderen Seite zeigt die Erfahrung der letzten Jahrzehnte, dass die Einbettung in ein festes Prozess-Schema für viele Fragestellungen nicht mehr ausreicht, sondern dass im Gegenteil agile Formen der Zusammenarbeit notwendig werden, um unvorhersehbare Herausforderungen zu meistern und abwechslungsreiche Aufgaben für gut ausgebildete Menschen bereitzuhalten. Geht es bei den auftretenden Problemen um eine kreative, innovative Lösung, können Menschen, die in fest definierten Abfolgen von Tätigkeiten mit starren Formularen gefangen sind, häufig keinen Beitrag leisten.

Will man aus diesem Dilemma ausbrechen, also agile Arbeitsformen mit geplanten Abläufen versöhnen, wird es notwendig, das organisationale Bewusstsein zu stärken: Welches Ergebnis wollen wir als Team in welchem Kontext erreichen? Welche Ressourcen stehen uns dafür zur Verfügung? Wie können wir mit diesen umgehen? Die Antwort auf diese Fragen ist heute häufig noch „ein weites Feld“. Der Einsatz von Werkzeugen des „Modernen Arbeitsplatzes“ wie z.B. Teams in Verbindung mit einem Prozessportal unterstützt dagegen eine Strategie, die den Geschäftsprozess als Rahmen anerkennt, aber gleichzeitig die dynamische, kontext-abhängige Empfehlung von Informationen zur Maxime erhebt.
Informationselemente mit ihren ‚Kontexten‘ erfassen
Voraussetzung dafür ist ein darauf ausgerichtetes digitales Öko-System. Wie lässt es sich herstellen? Wir benötigen eine übergeordnete Sicht, die über die Wissensmanagement-Perspektive erzeugt werden kann: In vielen Organisationen ist der Überblick über verfügbare Informationen im weitesten Sinn verloren gegangen. Informationen führen heutzutage ein schwereloses Dasein in einem unendlichen Raum, der an das Universum jenseits unserer Milchstraße erinnert. Haben wir ein leistungsstarkes Fernrohr, können wir einzelne Objekte entdecken und genauer betrachten.
Die Herstellung eines Zusammenhangs ist in der Regel schon nicht mehr so einfach, geschweige denn die Herstellung verschiedener Zusammenhänge in verschiedenen Dimensionen: Diese Option wird aber zukünftig wesentlich – wie die folgenden Beispiele zeigen: Der letzte Umsatzbericht ist relevant für die Liquiditätsplanung, aber gleichzeitig auch für die Entscheidung über die Fortführung eines Entwicklungsprojekts. Die Studie über das Konsumentenverhalten dient nicht nur der Planung zukünftiger Produkte, sondern sollte auch die Qualitätssicherung maßgeblich beeinflussen. Es wäre toll, wenn ich jemand treffen könnte, der an so einem Projekt, wie ich es jetzt durchführen soll, schon einmal gearbeitet hat. Ich weiß aber nicht, wie ich so eine Person finden könnte.
Eine Information existiert also nicht nur in einer Dimension, sondern ist in ganz unterschiedlichen Kontexten relevant. Wie Planeten umkreist sie dabei vielleicht ein Zentrum, steht aber auch mit anderen Elementen in Beziehung. Ob z.B. die genannte Studie überhaupt entdeckt wird, ist nicht gewährleistet. Das Fernrohr, das dafür benutzt wird, hat nicht den richtigen Winkel eingestellt oder nicht genügend Reichweite, um den bereits vorhandenen Wissensraum zu durchdringen.
Automatisierte KI-Klassifizierung knüpft Wissensnetze
Doch wie lässt sich dieser Wissensraum besser erschließen? Im weitesten Sinn stellt der Computer heute das Tor dazu dar – und eröffnet im Moment doch eher den Blick in eine Galaxis, die wir nur noch staunend zur Kenntnis nehmen können – sofern es unsere Zeit denn überhaupt erlaubt, einfach nur zu stöbern und per „Serendipity“ zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Eigentlich wollen wir unseren Wissensraum aber effektiv und zielgerichtet nutzen. Im Kern geht es darum, die eigene Tätigkeit im Kontext des jeweiligen Geschäftsprozesses einzuordnen und so faktisch auf dem Geschäftsprozess als Person durch den Wissensraum zu navigieren, sei es mit Hilfe von Portalen oder in der Abarbeitung eines Workflows.
KI-Technologien stellen hierbei im Rahmen des Prozesses eine Verbindung zwischen den jeweils relevanten Informationselementen und uns als Personen her. Denn die enorme Menge an Dokumenten und Daten, die uns heute in der Regel zur Verfügung steht, kann nicht mehr von Hand klassifiziert und zugeordnet werden. Durch die Weiterentwicklung der Hardware und neue Konzepte (z.B. Cloud Computing) sind die genannten KI-Technologien inzwischen wesentlich leistungsfähiger als noch vor 20 Jahren, als die letzte Welle der KI aufgrund von Versprechen und Erwartungen, die dann nicht erfüllt werden konnten, zu viel Desillusionierung und Enttäuschung geführt hat.
Heute ist es in vertretbarer Zeit und mit vertretbarem Aufwand möglich, Tausende von Dokumenten oder Daten automatisiert zu analysieren und verschiedenen Kontexten zuzuordnen. Diese können dann im jeweiligen Prozesskontext angeboten werden und stellen damit ein wesentlich feinmaschigeres Netz zur Entdeckung relevanter Information zur Verfügung. Forschungsprojekte wie QURATOR untersuchen in verschiedenen Konstellationen, wie sich die angesprochenen technischen Möglichkeiten in konkreten Szenarien nutzen lassen [1]. Speziell in der Kombination mit Knowledge Graphen könnten wesentliche Verbesserungspotenziale liegen.
Fazit
Um die Kombination von agiler Arbeitsweise und definierten Prozessen zu ermöglichen, ist die Wissensmanagement-Perspektive sinnvoll. Sie hilft uns, Wissensmanagement-Komponenten wie das Prozessmanagement wesentlich enger mit anderen Systemen wie dem Informationsmanagement zu integrieren, ohne die einzelnen Disziplinen mühsam aufeinander abstimmen zu müssen. Voraussetzung dafür ist der Einsatz von KI-Technologien, auch wenn sich dadurch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht jeder Wunsch erfüllen lässt. Es sind aber erstmals ernsthaft Beiträge zur Verbesserung der Situation in Sicht.
Die Semtation GmbH ist seit mehr als 15 Jahren auf die unternehmensweite Modellierung von Prozessen spezialisiert ist. Auf Basis der Microsoft Cloud unterstützt das Potsdamer Unternehmen mit der SemTalk-Plattform Prozess-Initiativen von Kunden im In- und Ausland. Im Forschungsverbund QURATOR untersucht Semtation die Möglichkeiten der dynamischen Bereitstellung von Informationen im Prozesskontext mit Hilfe von KI.
Qurator 2020 – International Conference on Digital Curation Technologies
20. und 21. Januar 2020, Berlin
Auf der Konferenz werden Anwendungsfelder für Kuratierungstechnologien für verschiedene Branchen und Bereiche – Medien, Logistik, Kulturerbe, Gesundheitswesen, Energie und Industrie – vorgestellt und in Workshops konkrete Use Cases erarbeitet. Traditionelle Silos werden aufgebrochen: Künstliche Intelligenz und Semantic Web, Datenanalyse und Machine Learning, Informations-/Content- und Wissensmanagement-Systeme, Information Retrieval, Knowledge Discovery und Computerlinguistik – die Konferenz will bislang isoliert betrachtete Forschungsfelder zusammenführen.
qurator.ai/conference-qurator-2020
Referenzen