DOK.Expertenrunde
mit
Ulrich Leuthner, Manager ECM Marketing weltweit bei IBM
und
Anja Wittenberger, Enterprise 2.0 Consultant bei Communardo.
Das Thema Social Business beschäftigt derzeit viele Unternehmen. IBM spielt im Markt ganz vorn mit. Dabei rücken Themen wie Social Collaboration und ECM zusammen und finden Ihre Schnittmengen. DOK.magazin hat sich daher mit Ulrich Leuthner, Manager ECM Marketing weltweit bei IBM und Anja Wittenberger, Enterprise 2.0 Consultant bei Communardo über die explodierende Themenvielfalt, die unterschiedlichen Herausforderungen für amerikanische und deutsche Unternehmen und die nächsten Trends unterhalten.
Herr Leuthner, die Flut an Themen rund um ECM drängen in den letzten Jahren mit großer Geschwindigkeit in den Markt. ECM, Social Collaboration, Cloud Computing, Mobile und Big Data oder Content Analytics – so richtig trennen kann man das nicht. Aus welchem Blickwinkel sollte man diesen Bereich idealerweise betrachten?
[Ulrich Leuthner]
Das ist eine wichtige Fragestellung, mit dem wir uns auch aktuell befassen, zum Beispiel vor sechs Wochen in Chicago auf einem Meeting von Führungskräften aus dem ECM-Markt. Und es ist sehr deutlich geworden, dass alle diese Themen zusammen spielen, sei es Mobile, Social oder auch Cloud Computing. Vom ersten Ansatz gehören sie nicht unbedingt direkt in den ECM-Bereich, sind aber dort nicht mehr wegzudenken, vor allem auch im Zusammenhang mit Big Data, Content und Business Analytics und vor dem Hintergrund, dass 80 Prozent der Informationen in Unternehmen unstrukturiert, also Content sind.
Viele Führungskräfte beschäftigen sich sehr intensiv mit dem Technologieaspekt, wenn sie über Social Business nachdenken. Allerdings empfehle ich, sich auch mit den Fachbereichen zu beraten und Social Business aus dem Lösungsaspekt heraus zu betrachten. Die einzelnen Fachbereiche bringen sich immer stärker in Kaufentscheidungsprozess ein und deswegen starten Projekte oftmals aus dem Lösungsansatz heraus und unter der Fragestellung, welcher Prozess wie unterstützt werden soll. Die Technologielösung wird erst später behandelt, wenn Anforderungen und Ziele aus Sicht des Fachbereichs klar definiert sind.
Frau Wittenberger, diese Themenbereiche haben ja alle mit dem vernetzten Unternehmen zu tun. Die Zahl der Wissensarbeiter steigt immer weiter an. Dynamik und Komplexität erhöhen sich weiter. Was verändert sich gerade in der Zusammenarbeit der Menschen im Unternehmen?
Ein gemeinsamer Nenner all der genannten Themen ist, dass wir in Zukunft verstärkt dezentral zusammenarbeiten, an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten. Die Frage ist nun: Wo kann ich im Tagesgeschäft durch den Austausch von Wissen und die Vernetzung von Inhalten, Kommunikation, Aktivitäten und Personen dazu beitragen, die Wertschöpfung des Unternehmens zu erhöhen und die Zusammenarbeit zu vereinfachen?
Es spielt eine wichtige Rolle, dass man diese Fragen sowohl Top-Down aus der Perspektive des CEO strategisch betrachtet, als auch Bottom-Up Interessierte aus den Fachbereichen in die Entwicklung der relevanten Anwendungsfälle involviert. Dabei spielt die Personalabteilung eine wichtige Rolle, da sie zukünftig immer mehr als maßgeblicher Gestalter dieser vernetzten Arbeitswelt gefordert werden wird.
Nun gehören Personalabteilungen von Hause aus nicht gerade unbedingt zu den technologisch affinsten Fachbereichen. Dennoch müssen diese sich Zugang zu dem komplexen Themenumfeld verschaffen, da sie mehr und mehr als Übersetzer und Multiplikator zu den anderen Fachbereichen, zu Führungskräften, den Mitarbeitern sowie den Betriebs- und Personalräten fungieren.
Bleiben wir noch im Bereich HR: Herr Leuthner, können Sie einen klassischen Anwendungsfall skizzieren, wie der Einsatz solcher Technologien in Personalabteilungen aussehen kann und wie man eine Art Brücke schlagen kann zwischen dem technischen Thema und der alltäglichen Arbeitswelt der Mitarbeiter?
Die Personalabteilung arbeitet traditionell noch sehr papierbezogen, besonders wenn sie keine Paketlösungen mit HR-Modulen einsetzt. Es gibt oftmals verschiedene Insellösungen, die in der Regel nicht gut verknüpft sind und damit den Datenaustausch erschweren. Das große Potential im HR-Bereich sehe ich ganz klar in der Personalentwicklung. Die Mitarbeiter machen eine Ausbildung, qualifizieren sich für bestimmte Aufgaben oder Karrierewege, nehmen an Schulungen und Trainings teil, entwickeln sich so beständig weiter und wechseln auch hin und wieder die Abteilung. Um zu überprüfen, ob der eingeschlagene Weg der Richtige ist, ob der Mitarbeiter sein Potential voll ausschöpft und ob die im Mentoring und Coaching gesteckten Ziele erreicht werden, ist ein regelmäßiger Abgleich des Status Quo und dynamische Kommunikation mit den Mitarbeitern erforderlich. Mit einer Personalakte in Papierform ist es da nicht mehr getan, hier erfordert es Social Collaboration ohne lange E-Mail-Ketten.
Allerdings muss man ganz klar sehen, dass die Personalabteilung nur in ganz seltenen Fällen der wirkliche Treiber von Social Collaboration ist, sie ist vielmehr Nutznießer. In der aktuellen Wirtschaftslage dient Social Collaboration eher dazu, den Kundenservice zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, indem man sich dem Kunden öffnet, Themen direkt in den Markt gibt und damit die Kundenbeziehung verbessert. Es sind also ganz wirtschaftliche Ziele und Themen direkt an der Kundenfront, die den Einsatz von Social Business initiieren.
Gilt das speziell für die USA oder ist das weltweit so?
[Ulrich Leuthner]
Ich würde schon sagen, dass diese Intention weltweit gilt, die Ausprägung ist möglicherweise länderspezifisch. In den USA ist man stärker auf die Kunden fokussiert. Deutsche Unternehmen sind aus meiner Erfahrung systematischer aufgestellt und eher bereit, in die Mitarbeiterentwicklung zu investieren. Aber das zielt eben letztlich auch alles auf Wettbewerbsfähigkeit ab, um besser und schneller zu sein.
Frau Wittenberger, ist die Intention für Social Collaboration in Deutschland dann doch etwas anders?
Der Treiber sind wie in den USA die Fragen: Wie können wir unser Geschäft voranbringen, uns verbessern, unsere Innovationsfähigkeit stärken, Mitarbeiter entwickeln und dazu beitragen, dass wir als Unternehmen attraktiv genug sind, um hochqualifizierte Fachkräfte zu begeistern und an uns binden?
Die unternehmerischen Intentionen sind die gleichen wie in den USA, meine Vermutung ist eher, dass die Unternehmen im deutschsprachigen Raum eher damit zu kämpfen haben, spielerisch neue Technologien und Themen auszuprobieren. In deutschen Unternehmen fragt man immer erst einmal, was es bringt und man will es immer systematisch und strukturiert angehen. Bei Social Collaboration brauchen wir jedoch in erster Linie die Bereitschaft zu mehr Offenheit, braucht es die Bereitschaft, dass Informationen von Mitarbeitern frei eingesehen und genutzt werden können und sie über Hierarchiegrenzen hinweg kommunizieren können. Erst kürzlich ergab eine Umfrage in deutschen Unternehmen, dass wir uns diese Transformation, die mit dem Einsatz dieser Technologien einhergehen muss, gar nicht zu trauen. 50 Prozent der befragten Unternehmen sagen, dass sie noch nicht reif genug dafür sind, um genau diese Veränderungen anzugehen. Von daher habe ich manchmal das Gefühl, dass uns der Mut zum Ausprobieren und stetigen Wandel fehlt. Wenn man es andererseits hinterfragt, hat es wohl auch damit zu tun, dass dieser Weg zur vernetzten Zusammenarbeit, um bestimmte Prozesse agiler zu machen und freier mit Wissen umzugehen, in Deutschland in der Regel nicht an Betriebsrat und Datenschützern vorbei führt. Und diese gilt es erst einmal zu überzeugen in dem man sie ernst nimmt und frühzeitig aktiv in die Veränderungsprojekte einbezieht.
[Ulrich Leuthner]
Das kann ich bestätigen – in der von mir eingangs erwähnten Konferenz ging es auch um das Thema Cloud Computing und „Bring your own device“ (BYOD). Der CEO eines großen US-basierten Fertigungsunternehmens sagt, dass sie bei diesem Thema erst eine Einführung in Deutschland anstreben. Denn wenn es dort klappt, dann funktioniert es auch in den USA, weil die rechtlichen Anforderungen in Deutschland meistens den Anforderungen im Rest der Welt Stand halten. Diese Gründlichkeit und gute Vorbereitung wünsche ich mir manchmal auch in den USA, wo man nicht selten solche Technologien nach Prinzip „Launch and Learn“ einführt und dann beispielsweise feststellt, dass kritische Geschäftsdaten auf den Smartphones der Mitarbeiter liegen, die durchaus auch mal in falsche Hände geraten können. So etwas denkt man in Deutschland alles gründlicher im Vorfeld durch. Das kann gut und schlecht sein, weil natürlich die Amerikaner sehr viel schneller mit der Einführung neuer Technologien sind, die dann auch im Praxiseinsatz schneller reifen. Deutschland reglementiert sich manchmal zu sehr und muss dann zuschauen, wie sich die Welt ringsherum immer schneller dreht, während man selbst auf der Stelle tritt.
Sind diese Unterschiede der beiden Länder auch ausschlaggebend dafür, dass Themen wie Content Analytics oder Big Data eher in den USA vorangetrieben werden? Und befinden wir uns hier noch in der Hype-Phase, um mal mit den Hype Cycle von Gardner zu sprechen?
[Ulrich Leuthner]
Ich glaube nicht, dass das Thema Big Data irgendwo mehr getrieben wird als in Deutschland. Ich glaube, hier sehen wir ein klassisches „The world is flat“-Syndrom, wodurch wir auch schon sehr stark im Praxiseinsatz sind und es über die Hype-Phase hinaus geschafft haben. Der Grund liegt sicherlich darin, dass eine Masse an Daten vorhanden ist und die Unternehmen unter massivem Druck stehen, mit dieser Informationsflut sinnvoll umzugehen. Wenn man sich plan- und ziellos mit diesem Heuhaufen an Daten auseinandersetzen muss, um die sprichwörtliche Nadel darin zu finden, ist man verloren. Diese Datenvielfalt, diese Fülle an strukturierten und unstrukturierten Informationen zwingt Unternehmen dazu, zu reagieren und beflügelt damit Big Data und Content Management.
Es wird komplexer, gleichzeitig mobiler und dynamischer. Wie sieht die Arbeitswelt in einigen Jahren aus?
[Anja Wittenberger]
Bei den ganzen Themen ist es wichtig, dass wir immer produktiver werden. „Content everywhere“ ist für mich ein Trendthema, um Unterbrechungen im Arbeitsfluss zu verhindern, weil uns Informationen fehlen. Und da spielt meiner Meinung nach die Entwicklung zur verteilten Zusammenarbeit eine wesentliche Rolle, die Unternehmen in die Lage versetzt, ihre Prozesse immer agiler und immer weniger funktionsorientiert zu gestalten. Beim Thema Content Analytics sehe ich die Chance darin, dass wir aus den unstrukturierten Daten, den Kommunikationsflüssen und den verschiedenen verknüpften Aktivitäten zukünftig viel besser Potenziale und Kompetenzen im Unternehmen identifizieren können. Dabei geht es sowohl um Mustererkennung als auch um die Fähigkeit als Führung verantwortungsbewusst mit den Analysedaten umzugehen. Für die erfolgreiche Transformation zum vernetzten Unternehmen wird eine neue Art von Führung in den Unternehmen notwendig sein, die Selbstorganisation der Mitarbeiter auch zulassen kann.
[Ulrich Leuthner]
Ich sehe im Moment nicht ein nächstes Thema, sondern vielmehr eine Kombination aus Mobile, Cloud und „Bring your own device“-Themen. Und die Kombination ist ja das Interessante daran, denn damit kommen wir zum Prinzip des „Content everywhere“. Man hat zukünftig jederzeit jedes beliebige Dokument und jede Information überall verfügbar. Diese klassische Trennung zwischen der Arbeit zu Hause und dem Arbeitsplatz im Büro wird ebenfalls aufgehoben. Es wird sich dahin entwickeln, dass insgesamt der Service am Kunden besser wird, dass die Mitarbeiter produktiver und flexibler arbeiten. Denn die neuen Mitarbeiter die mit Foren, Communities und Blogs aufgewachsen sind, kennen keine vordefinierten Rollen und drücken sich über ein „Like“ aus.
Vielen Dank an Sie beide für dieses interessante und informative Gespräch. Hat Spaß gemacht!
Ulrich Leuthner, Manager weltweit ECM Marketing bei IBM. IBM kann auf eine lange Erfolgsgeschichte zurückblicken: Vor über 100 Jahren gegründet, hat sich IBM immer wieder neu definiert und ist durch weit über Technologien hinausgehende Innovationen zu einer der stärksten Marken der Welt aufgestiegen. Jährlich investiert IBM rund sechs Millarden US-Dollar in Forschung und Entwicklung und gehört mit einem Umsatz von 104,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012 zu den weltweit größten Anbietern im Bereich Informationstechnologie.
Anja Wittenberger arbeitet als Enterprise 2.0-Consultant bei der Communardo Software GmbH in Dresden. Communardo ist Spezialist für interne Kommunikationslösungen, Wissensmanagement und Social Collaboration. Das Unternehmen berät auf dem Weg zum vernetzten Unternehmen, unterstützt bei der Auswahl der richtigen Software, konzipiert und realisiert Enterprise 2.0-Lösungen, entwickelt maßgeschneiderte Apps für das Social Intranet und hilft bei Fragen zu Infrastruktur und Betrieb.