Aha! – Und warum?
William Sen, Geschäftsführer und Softwareentwickler beim Social-Media-Monitoring-Unternehmen infospeed.
Fangen Sätze bereits mit den Worten „Um Social Media kommen Unternehmen nicht mehr herum“ an, möchte so manch einer am liebsten nicht mehr weiterlesen. Ebenso überdrüssig ist man der Anekdoten rund um die Zahlen Facebooks, die in etwa so klingen: „Wenn Facebook ein Land wäre, dann wäre es das drittgrößte … blablub“.
Derweil haben die vermeintlichen Social-Media-Experten eine neue Floskel entwickelt, die selbst die Mund- und Augenwinkel der Entscheider sofort nachdenklich sich verziehen lassen: „Social Media braucht eine Strategie.“ Wirklich? Aber was soll das eigentlich bedeuten?
Social-Media sind digitale Kommunikationskanäle
Beim Nachdenken über diese seltsame und trotzdem oft gehörte Phrase taucht die wesentliche Frage auf: Wie kann eine selbstregulierende Medienlandschaft eine Strategie brauchen? Schon bald fällt auf, dass Social Media ebenso wenig eine Strategie benötigt, wie sie die Erdanziehung oder das Wetter braucht. Denn wie wir wissen, ist Social Media eine Bezeichnung für ein digitales Umfeld, das weder eine organisatorische Struktur besitzt noch in irgendeiner Weise Institutionen zugeordnet werden kann. Deswegen vermag niemand für sie eine Strategie zu erkennen oder zu bestimmen. Als Anfang der 90er Jahre das Internet Einzug in die privaten Haushalte hielt, kam selbstverständlich auch niemand auf die Idee zu sagen, dass das Internet eine Strategie bräuchte.
Naheliegender scheint es zu sein, dass mit dem Satz etwas anderes gemeint ist, als ursprünglich mit dem Buzzword „Social Media“ angereichert und dem Manager-Begriff „Strategie“ verdreht. Wer immer auch diesen Fantasiesatz erfunden haben mag, meinte eventuell, dass ein bestimmtes Social-Media-Projekt eine Strategie braucht. Das heißt vermutlich, dass eine Handlung oder Maßnahme innerhalb von Social Media eine eigene Strategie besitzen sollte. Nun fragt man sich natürlich, warum dies dann nicht so formuliert wird – wobei bereits diese Aussage einer betriebswissenschaftlichen Betrachtungsweise ebenfalls nicht recht Stand halten kann. Denn die Betriebswirtschaftslehre ist sich hier im Grunde relativ sicher, dass der Begriff Strategie auf diese Weise nicht missbraucht werden darf.
Handlungen eines Unternehmens sind strategiegeleitet
Eine Strategie sind meist mehrere langfristig angelegte Visionen des Unternehmens bzw. des Gesamtkonzerns, die aus multidimensionalen Teil- und Hauptzielen bestehen. Sie wird vom Top Management festgelegt und nach unten hin, also top-down, in das Unternehmen integriert. Die gesetzten Ziele werden dabei erreicht, eine Strategie dagegen durch diese Ziele angesteuert. Damit das Unternehmen nicht an der Strategie vorbeizieht, sorgt zugleich ein Controlling dafür, dass diese Ziele erlangt werden können und somit die Richtung zur Strategie eingehalten wird. Grundsätzlich gilt insofern, dass alle Handlungen eines Konzerns der gesetzten Strategie des Top Managements zuarbeiten müssen, da sie sonst als strategiegelöste Handlungen zu bewerten wären. Handlungen in einem funktionierenden Unternehmen sind somit lediglich Gehilfen der Strategie. Sie selbst können damit weder die Strategie selbst sein noch können sie eine eigene Strategie besitzen. Handlungen im Unternehmen sind dementsprechend nur strategiegeleitet. Das bedeutet, dass die Strategie als eine Art Glaubensrichtung fundiert und als ein solches Regelwerk die Handlungen in einer Organisation beeinflusst. Nicht ein Social-Media-Projekt braucht also demnach eine Strategie, sondern das Unternehmen! Das Social-Media-Projekt benötigt keine Strategie, sondern wiederholbare und nachvollziehbare Prozesse sowie eine Erfolgs-, Zeit- und Budgetplanung. Der richtige Satz wäre insofern: „Social-Media-Projekte brauchen strategiegeleitete Handlungen.“
Mittlerweile findet man so allerlei Begriffsspielereien um den schönen Begriff Strategie. Die Kommunikationsstrategie ist eins dieser bereits geläufigen Wörter, das damit die interne und externe PR meint und alle Bereiche bis hin zum Communication Controlling deckt, also der Bestimmung und Steuerung von Kostentreibern von Kommunikation insgesamt. Angereichert durch den Zusatz „Social Media“ wurde allerdings ein neuer Fantasiebegriff namens „Social-Media-Kommunikationsstrategie“ geboren. Letztlich meint man damit unter anderem den Einsatz von Kommunikationswerkzeugen eines Unternehmens in der Social-Media-Landschaft. Der mehr aus der Luft entsprungene Zusatz „Strategie“ soll verdeutlichen, dass diese Vorgehensweise wohl überlegt, geplant und zielgerichtet sein sollte. Wenn man jedoch auch dies überdenkt, so sind Überlegungen, Zielsetzungen von Kampagnen sowie eine Planung keineswegs mit einer Strategie zu verwechseln – zumal jede Handlung in einem Unternehmen sowieso diese Merkmale besitzen sollte. Wie bereits oben geschildert, kann auch eine Kommunikation in Social Media nur als Werkzeug dienen, das lediglich mit der Gesamtstrategie des Unternehmens vereinbar sein muss. Sie selbst darf ohnehin nicht strategisch aufgestellt sein, da der Ausführende einer Social-Media-Kommunikation oder eines -Projekts nicht berechtigt ist, konzernweite Strategien zu bestimmen. Nein, auch nicht für sein Projekt, so sehr er es auch lieben mag.
Ein Unternehmen – eine Strategie
Im Grunde kann man als Fazit sagen, dass die Strategie nur dem Top Management vorenthalten ist. Wer behauptet, er würde in Teilen des Unternehmens innerhalb einzelner Kampagnen selbst eine Strategie sehen, kann im Grunde nur zwei der folgenden Aussagen gemeint haben: Entweder er will ein Subunternehmen mit seiner Organisationsstruktur rund um diese Kampagne kreieren, das eigene Projekt zum einzigen Regelwerk dieses Subunternehmens erklären und sich selbst zum strategischen Gott seiner neu erschaffenen Welt ernennen. Oder, was naheliegender ist: Der Begriff Strategie wurde einfach nicht verstanden.
Um sich vor solchen banalen Aussagen zu schützen, hilft in der Regel eine freundliche und am besten, wenn oft auch nur vorgetäuschte, neugierige Hinterfragung. Die auf diese Weise gewirkte Aktivierung des Gegenübers mit der Absicht, seine meist nur nachgeplapperte Floskel mit eigenen Worten begründen zu wollen, führt das Gespräch zu unterhaltsamen Ufern, die an die Serie „Lost“ erinnern: Verschachtelungen, nicht nachvollziehbare Handlungsstränge und eine Menge Charakterschwankungen … Am Ende jedoch amüsant und fesselnd genug, sodass man trotzdem zuhört.