Michael Dreusicke, Geschäftsführer der PAUX Technologies GmbH
Wie Content zum Leben erweckt wird
Zwei Mythen verstellen heimlich den Blick auf die Schönheit dessen, was wir mit gelungenem Content Management an Mehrwert eigentlich bieten könnten. Nun aber, da die sich immer höher aufbäumende Informationsflut auf der einen Seite und der Anspruch der Nutzer an die User Experience durch den täglichen Umgang mit Systemen wie Google und Facebook auf der anderen Seite in rasantem Tempo anwachsen und im Kern zu einer neuen Informationsarchitektur zwingen, ist es an der Zeit, mit diesen Mythen aufzuräumen und Lösungsvorschläge aufzuzeigen.
Mythos 1: Content = Inhalt
Manche Übersetzungen sind verlockend – und dennoch falsch. So zum Beispiel, wenn „Content“ im Rahmen von Content Management mit „Inhalt“ übersetzt wird. So naheliegend diese Übersetzung auch ist: Beim Content Management ist Content stets eine mediale Repräsentation (Text, Bild etc.), letztlich eine physische Manifestation, Daten auf einem Datenträger, an dem man Sacheigentum haben kann, während sich „Inhalt“ auf Bedeutung, Sinn und Zweck bezieht und insofern lediglich Gegenstand „geistigen“ Eigentums sein kann, z.B. in Form von Geschichten, Ideen oder Rechten hieran. Content (materiell) und Inhalt (ideell) sind insofern ihrem Wesen nach grundverschieden.
Eine Informationsarchitektur für Content ist umso besser, je ähnlicher ihre Struktur dem Inhalt ist, den sie zu verwalten anstrebt. Anders ausgedrückt: Datenmodell und abzubildende „Realität“ sollten einander möglichst weitgehend entsprechen. Das klingt trivial, wird in den meisten Systemen aber eher halbherzig umgesetzt, mit der Folge, dass Content durch Container isoliert ist und nicht Gegenstand von Management, also auch nicht von Nutzer-Interaktion sein kann. Nachfolgend soll unter anderem hierzu ein Lösungsansatz vorgestellt werden.
Mythos 2: social = sozial
Ein weiterer folgenreicher Übersetzungsfehler bietet sich beim Begriff „Social Media“ geradezu an. Wer hier „social“ mit „sozial“ im althergebrachten Sinn übersetzt, verkennt die eigentliche Bedeutung dieses Ausdrucks. „Sozial“ ist so alt wie die Menschheit, selbst Adam und Eva waren schon zu zweit. Um sozial im Sinne von gemeinschaftlich kann es bei Social Media also nicht gehen. Selbst maschinelle Übersetzungen wie Google Translate oder Linguee lassen „Social Media“ daher unangetastet, d.h. unübersetzt. Social Media setzt als verhältnismäßig neue Mitmach-Bewegung vielmehr voraus, dass
- die Rezeption oder Erstellung öffentlich stattfindet, wobei „öffentlich“ weltweit oder innerhalb einer Firma oder Gruppe bedeuten kann;
- die Teilnehmer vielfältige und erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten haben.
Kurz gesagt: Öffentliche Interaktion.
Phänomene wie „Social Reading“ oder „Social Writing“ meinen gerade nicht die seit Jahrhunderten gelebte soziale Praxis, dass man sich über Gelesenes austauscht oder kollaborativ an einem Schriftstück arbeitet. Reading wird vielmehr erst dann „social“, wenn die Information, wer was wann liest, sowie die Interaktionen der Leser (z.B. Markierungen, Kommentare) innerhalb einer Gruppe einsehbar sind und die Leser prinzipiell die Möglichkeit der Teilhabe haben, z.B. durch Diskussion. Writing wird dementsprechend erst „social“, wenn der Schreibprozess öffentlich stattfindet und nicht nur die designierten Autoren, sondern auch Leser oder sonstige Beteiligte aktiv am Schreibprozess teilhaben, z.B. durch Vorschlags- oder Schreibrechte.
Mit „sozial“ im herkömmlichen Sinn hat das dem Anspruch nach nichts zu tun. Es handelt sich bei „social“ vielmehr um die formale Beschreibung einer bestimmten Art der Kommunikations-Infrastruktur. „Social“ ist also keine (statische) Content-Qualität, sondern eine (dynamische) Prozess-Qualität. Hierfür sind viele Systeme nicht vorbereitet. Welche Folgen hat das?
Finden durch verknüpfte Kommunikation
Vor dem Hintergrund des allgegenwärtigen Information Overload und mit Blick auf die dramatische Verschärfung dieser Entwicklung aufgrund der bereits auf uns zurollenden Big Data-Welle werden Informationsfilter immer wichtiger. Da Computer bei der Verarbeitung natürlicher Sprache an systemimmanente Grenzen stoßen, auf die hier nur durch die Schlagworte „Ambiguität“ und „Inkonsistenz“ eingegangen werden kann, ist in absehbarer Zeit allen Versprechungen sog. künstlicher Intelligenz zum Trotz kein rein maschinelles Verfahren zur Filterung von für das Individuum relevanten Informationen zu erwarten. In der Praxis beginnen sich daher auch bereits andere Mechanismen zu etablieren. Allen voraus die Empfehlungen durch Menschen im Rahmen von Social Media: Was man bei Google nicht findet, fragt man in seinem digitalen Freundesnetzwerk nach. Facebook, Twitter & Co. entwickeln sich insofern zunehmend zu Such- oder genauer: zu Antwortmaschinen.
Um in den Genuss dieser immer wichtiger werdenden menschlichen Filter zu kommen und dadurch auch in Zukunft auffind- und nutzbar zu sein, muss Content zum Gegenstand menschlicher Kommunikation werden, Menschen müssen mit ihm also auf einfache und vielfältige Weise öffentlich interagieren können. Content, der diesen Anschluss hingegen verpasst, wird in der Unauffindbarkeit untergehen. Welche Arten der öffentlichen Interaktion sind nun praktisch bedeutsam?
Arten der Kommunikation
Nutzer erwarten von Content Management Systemen zunehmend, dass nicht sie es sind, die den Content suchen, sondern dass der Content ihnen automatisch „folgt“, also ihre Bedürfnisse und Historie kennt und sich entsprechend anpasst.
Neben dieser optionalen Automatik möchten sie Content selbst individualisieren, das heißt z.B.
- nach unterschiedlichen Kriterien bewerten,
- visuell markieren, z.B. durch farbliche Hervorhebungen,
- als Favorit speichern,
- in ein anderes System einbetten,
- Content-Zusammenstellungen anlegen und mit anderen teilen,
- als bereits gelesen/verstanden ausblenden,
- mit privaten oder öffentlichen Notizen versehen oder
- mit anderen Nutzern diskutieren.
Reichweite der Kommunikation
Notizen und Diskussionen zu Content-Objekten erlangen dann die größte Reichweite und den größten Social Media Impact, wenn sie auf Social Media Plattformen wie Facebook, Twitter, Google+ oder Pinterest etc. veröffentlicht werden können. Wie so eine Plattform-Anbindung konkret aussehen kann, folgt am Beispiel einer Diskussion, die durch den paux Annotations-Server mit einem Facebook-Profil synchronisiert wird.
Bild 1: paux Annotations-Server
Ein Content-Objekt, z.B. ein Satz (1), wird von einem Leser markiert, bewertet oder kommentiert, also annotiert (2). Der Leser teilt das Content-Objekt und seine Annotation mit Freunden, z.B. auf seiner Facebook-Pinnwand (3). Dort entsteht eine Diskussion mit seinen Facebook-Freunden (4). Über den Rückkanal (5) werden diese Kommentare und Bewertungen der Facebook-Pinnwand auf dem paux Annotations-Server als eigenständige Content-Objekte gespeichert und im ursprünglichen Dokument als Kommentare angezeigt (6) [1]. Wenn ein Leser im ursprünglichen Dokument auf einen Facebook-Kommentar antwortet, postet der paux Annotations-Server die Antwort automatisch auf das Facebook-Profil in den Kommentar, die Diskussion wird also permanent synchronisiert (5).
An einem Content-Objekt können viele Leser Kommentare hinterlassen und ihre Social Media Streams (Twitter, Pinterest, Foursquare etc.) integrieren. Auf diese Weise können Nutzer pro Content-Objekt eine plattformübergreifende Community aufbauen. Durch den paux Annotations-Server werden Social Media Interaktionen zu Assets des Betreibers und zudem (anders als Facebook-Kommentare sonst) von Google & Co. indizierbar, können also in Suchmaschinen in Trefferlisten angezeigt werden und das Ranking des Seitenbetreibers erhöhen. Worauf genau bezieht sich diese Interaktion nun am besten?
Gegenstand der Kommunikation
Das Beispiel oben macht das Grundprinzip schon deutlich: Wenn Nutzer z.B. einen Artikel als Ganzes kommentieren, beziehen sie sich oft auf unterschiedliche Passagen des Texts, dementsprechend unstrukturiert wird eine diesbezügliche Diskussion. Wenn sich die Nutzer hingegen auf einen bestimmten Satz oder ein Wort beziehen können, bleiben ihre Interaktionen eindeutig und übersichtlich. Die Granularität (Kleinteiligkeit) von Content unterstützt also die Präzision von Interaktion. Ideal für Interaktionen jeder Art ist daher eine Informationsarchitektur, bei der Content aus kleinsten Komponenten besteht, die eindeutig adressierbar sind und Gegenstand von Interaktionen sein können.
Technische Umsetzungsmöglichkeit
Zur Maximierung der Interaktionsmöglichkeit hat der Software-Entwickler PAUX Technologies ein neuartiges technisches Verfahren entwickelt, das die Interaktionsmöglichkeiten in drei Stufen erweitert und präzisiert.
1. Stufe: Granularität
Zunächst wird Text automatisch „modularisiert“, d.h. in Datenbank-Objekte umgewandelt. Hierdurch wird jedes Wort, jeder Satz, jeder Absatz etc. zum selbständigen Datenbank-Objekt, lässt sich dadurch maschinell besonders gut verarbeiten und als Gegenstand verschiedenster Interaktivität bequem verwalten. Durch eindeutige Adressen (Uniform Resource Identifier) aller Textbestandteile wird sichergestellt, dass sich Interaktionen präzise auf kleinste Content-Objekte beziehen können.
Bild 2: Text nach seiner Modularisierung
2. Stufe: Typisierung von Links
Modularer Text kann einfach mit Medien, Personen, Hyperlinks, Veranstaltungen, Produktempfehlungen etc. verknüpft werden. Da die verknüpften Content-Objekte bestimmten Klassen angehören, sind die Links typisiert. Hierdurch erhöht sich die Präzision der Interaktion wiederum, die Art des Content- und Verknüpfungsobjekts ist nämlich stets bestimmt, die Interaktion kann also dementsprechend hierfür optimiert werden. So lässt sich z.B. steuern, dass bei Bildern andere Bewertungskriterien zur Auswahl stehen als bei Veranstaltungen.
Bild 3: Verknüpfung von modularem Text mit typisierten Links
3. Stufe: Personalisierung und Kontextabhängigkeit
Die Verknüpfungen von Content-Objekten durch dedizierte Verknüpfungs-Objekte eröffnet personalisierte und kontextbezogene Interaktionsmöglichkeiten: Werden Content- und Verknüpfungs-Objekte ihrerseits mit Nutzergruppen verknüpft, eignet sich das Netzwerk von modularem Text insbesondere für personalisierte Angebote. Die Ansicht für eine Nutzergruppe ist hier nichts anderes als eine Abfrage der geeigneten Content-Objekte, im Informationsnebel gleichsam eine Scheibe, hinter der die Dinge klar erscheinen. Diese Informationsarchitektur eröffnet dem Nutzer die Möglichkeit, Content-Objekte für seine Nutzergruppe nicht nur global, sondern auch in ihrem konkreten Verwendungszusammenhang zu bewerten und mit ihnen zu interagieren.
Bild 4: Bewertungsmöglichkeit von Content-Objekten je nach Kontext
Zusammenfassung
Wenn wir einen neuen Blick wagen, von den klassischen Content-Management-Paradigmen weg, hin zu den eigentlichen Inhalten, und wenn wir der sich vor einem öffentlichen Hintergrund so viel stärker entfaltenden Dynamik gemeinsamen Schaffens ihren wohlverdienten Platz einräumen, können wir Content buchstäblich zum Leben erwecken.
Auch wenn die Öffnung für Interaktionen durch den Leser auf den ersten Blick eine Gefährdung der Informationsqualität befürchten lassen mag, liegt in der Isolierung von Content, im Nicht-Anschluss die weitaus größere Gefahr eines Wertverlusts. Die Verbindung von Content mit Social Media stellt sich vor diesem Hintergrund also als aktiver Investitionsschutz heraus, indem sie einen lebenserhaltenden Stoffwechsel des Contents ermöglicht und dadurch für effektives Wiederfinden und Weiterentwickeln einen unverzichtbaren Beitrag leistet.