Im Trend: MOOCs als neues Lernkonzept

Collaboration & Wissensmanagement, SharePoint 2013, Change Management, Innovation Management

Michael Ludwig Höfer, Consultant bei Alegri International Service GmbH

Über ein paar Dinge wird man Anfang 2013 keine Diskussion mehr führen müssen. Auch nicht darüber, dass sich der Charakter von Arbeit verändert – weg von der reinen Bewältigung von Routineaufgaben, hin zur Wissensarbeit: Wissen muss zur Erledigung der Aufgaben zur Verfügung stehen und es muss (weiter-)entwickelt werden, damit neues oder aktuelles Wissen wiederum zur Verfügung steht. Hinzu kommt eine fortschreitende Spezialisierung im Arbeitskontext: Von außen, d.h. auch nicht seitens des Managements, lässt sich nicht mehr vollständig einschätzen, welches Wissen Mitarbeiter eigentlich benötigen, um die gewünschten Ergebnisse liefern zu können. Arbeit wird zunehmend selbstorganisiertes lernendes Arbeiten – also Collaboration.

Wissensmanagement und selbstorganisiertes Lernen werden Teil der Arbeit

Die Trennung von Arbeit und Wissensmanagement wird damit zunehmend künstlich. Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass Wissensmanagement keine Bedeutung mehr hätte für die Planung einer zielführenden Arbeitsumgebung, im Gegenteil. Aber Wissensmanagement wird zunehmend ein Teil des Arbeitsprozesses selbst. Man macht nicht „Wissensmanagement“ parallel zur Arbeit, es ist Teil der Arbeit.

Das „klassische“ Wissensmanagement, vor allem im IT-Kontext, beschränkt sich häufig auf Ansätze, die auf Dokumentation und eLearning hinauslaufen. Dabei wird Dokumentation verstanden als Speicherung von Inhalten, deren Kontextualisierung und Sicherung von Auffindbarkeit. Die Notwendigkeit, explizites Wissen auf diese Weise zugänglich zu machen, steht völlig außer Frage. Auch eLearning hat seine Existenzberechtigung. Es ist gut geeignet, bestehendes Wissen weiterzugeben, zeitversetzt und ortsunabhängig. Doch weder mit Dokumentation noch mit eLearning wird neues Wissen geschaffen. Die meisten “Wissensmanagement”-Ansätze sind zu mechanistisch, denn es fehlen die Aspekte des (selbstorganisierten) Lernens.

In diese Lücke stoßen MOOC-Konzepte: Dieser Ansatz des selbstorganisierten Lernens stammt aus dem Pädagogik-Kontext und wurde dort spätestens 2012 zum Thema. In der IT bzw. dem IT-gestützten Wissensmanagement spielte er bislang noch keine Rolle. Zu Unrecht: MOOCs im Unternehmen, also Corporate MOOCs, sind geeignet, um eine Brücke zu schlagen zwischen Collaboration und Wissensmanagement. Wie MOOCs funktionieren, welche Szenarien mit Corporate MOOCs denkbar sind und wie der Ablauf eines Corporate MOOC mit SharePoint 2013 realisiert werden kann, ist Gegenstand des Artikels.

MOOCs – offener, gemeinsamer Lernprozess

MOOC ist ein Akronym für Massive Open Online Course, also eine freiwillige offene Lernveranstaltung mit vielen Teilnehmern. Die Teilnehmerzahlen beginnen bei 100 oder mehr, können aber auch mehrere hunderttausend Personen umfassen, wie es an der Stanford University schon vorgekommen ist. Spricht man über MOOCs, muss man zwei Typen voneinander unterscheiden, da es sonst zu größeren Missverständnissen kommen kann:

Plattformen wie die Khan University oder Udacity werden ebenfalls als MOOCs bezeichnet, genauer: als xMOOCs. Die Teilnahme an den Kursen ist freiwillig, Materialien werden gestellt, Gelerntes wird über Quizze abgefragt und am Ende stehen für gewöhnlich Zertifikate in irgendeiner Form. Diese Form von MOOCs interessiert hier nicht weiter, denn mit ihrer konzeptionellen Nähe zum eLearning sind sie nicht Gegenstand des Artikels.

Sehr viel interessanter sind die sogenannten cMOOCs. Das „c“ im Namen kommt von „Connectivism“ und bezieht sich ursprünglich auf das Lernen im und über das Internet. Ein cMOOC ist eine Lernveranstaltung, die konzipiert und von einem Kernteam moderiert wird. Lernen findet selbstbestimmt über digitale Werkzeuge statt, die – im weitesten Sinn – als Social Media bezeichnet werden können. Im Verlauf können beliebige digitale Möglichkeiten zum Austausch genutzt werden. Ein cMOOC ist vor allem eine spezifische Form des sozialen Lernens, bei der die Leute das Gefühl haben, dass andere „im Raum“ sind. Man kann es sehen als einen organisatorischen Rahmen für einen gemeinsamen Lernprozess. Freiwilligkeit der Teilnahme ist bei diesem Konzept eine Grundvoraussetzung, weswegen die intrinsische Motivation wichtig ist. Sehe ich als Teilnehmer einen Sinn, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen? Ist es ein interessantes Thema oder sogar ein für mich dringliches?

Umgekehrt betrachtet ist ein MOOC kein eLearning. eLearning kann Auslöser oder begleitender Teil eines MOOCs sein, ist aber nie dasselbe. eLearning ist strukturiertes Lernen, dem Klassenzimmer recht ähnlich. Ein MOOC demgegenüber ist weniger strukturiert, zielorientiert, aber ergebnisoffen. Die Frage ist deshalb immer auch: Welche Themen sind in klassischen Lernszenarien besser aufgehoben?

MOOCs, Collaboration und Wissensmanagement

Wo sind also die Verbindungen zwischen cMOOCs, Collaboration und Wissensmanagement zu suchen? MOOCs sind ein Konzept für das Lernen über das Internet. Sowohl was die Masse der verfügbaren Informationen als auch der zur Verfügung stehenden Mittel betrifft, lassen sich Internet und Intranet durchaus vergleichen. Gerade SharePoint 2013 bietet viele Möglichkeiten für Austausch und Kommunikation, die im Netz selbst auch zur Anwendung kommen.

Ganz grundsätzlich betrachtet, kann Collaboration als ein (emergenter) Arbeits- und Lernprozess bezeichnet werden, Wissensmanagement als umfassender Querschnittsprozess, der Teil der (IT-gestützten) Collaboration ist. Enterprise 2.0 lässt sich in diesem Kontext als eine bestimmte Organisationsform und Unternehmenskultur definieren, die die so verstandene Collaboration und das Wissensmanagement möglich macht.

 artikel4_1Bild: Collaboration, Wissensmanagement, Enterprise 2.0

Gemeinsames soziales Lernen ist der ausdrückliche Zweck eines MOOC. Lernen, um Wissen zu entwickeln, ist ein wichtiger Teil des Wissensmanagements. Gleichzeitig hat auch emergente Collaboration eine ausgeprägte Lernkomponente. Hinzu kommt, dass Selbstorganisation, einer der Kernaspekte von cMOOCs, ebenfalls ein Kernaspekt von Collaboration und Enterprise 2.0 ist. Collaboration und Lernmanagement haben zwar unterschiedliche Ausprägungen des Strukturierungsgrades, ihr eigentlicher Unterschied aber liegt im Zweck: Collaboration ist per se Zusammenarbeit, und alle Handlungen dienen ergebnisorientiert der Aufgabenerfüllung. Der Zweck von eLearning und MOOCs liegt dagegen auf der Hand. Sie unterscheiden sich vor allem im Grad der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

artikel4_2Bild: Social Collaboration und MOOC

Insofern überschneiden sich Collaboration und MOOCs: Arbeit wird zunehmend selbstbestimmter und eigenverantwortlicher. Das Konzept der cMOOCs greift das auf, es ist geradezu eine Voraussetzung für die Teilnahme. Denn cMOOCs entsprechen einem Modell der partizipativen Organisation des Lernens, vergleichbar mit einer (temporären) Community, in der mit- und voneinander gelernt werden kann. So gesehen, sind Corporate MOOCs ein halbinstitutionalisiertes Werkzeug für das Wissensmanagement, das Mitarbeitern einen Rahmen zur Entfaltung des intrinsisch motivierten “Wissen-Wollens” bietet.

Corporate MOOCs – Innovationsmanagement im weitesten Sinn

Unternehmen haben mit Corporate MOOCs also ein Mittel zur Hand, um Lernprozesse anzustoßen, die nicht unbedingt einen konkreten Output haben müssen, aber Wissen schaffen, das dem Unternehmen mittelfristig nützt. Anforderungen an Lern- und Wissensmanagement, die sich aus dem Tagesgeschäft ergeben, sind dagegen weniger für Corporate MOOCs geeignet. Statt Tagesgeschäft sollte der Fokus also auf Anforderungen abzielen, die „über den Tag“ hinausreichen. Damit sind Corporate MOOCs Teil des Innovationsmanagements. Hier kann ein Corporate MOOC seine Stärke ausspielen, da es grundsätzlich ergebnisoffen ist und „Neues“, das über das Bekannte hinausweist, nur unter dieser Bedingung entstehen kann. Das kann beispielsweise die Produktentwicklung sein oder die Erschließung neuer Geschäftsbereiche. Genauso denkbar ist die spielerische, aber systematische Einarbeitung in Großthemen, z.B. für große Consulting-Firmen in den neuen SharePoint 2013, die eine Vielzahl von parallelen Lernprozessen erzeugt und neue Einsatzmöglichkeiten eröffnet, die evaluiert werden wollen.

artikel4_3Bild: Corporate MOOC

Ein anderes Beispiel wäre die Entwicklung einer neuen Wissensmanagement-Strategie in einem größeren Unternehmen. Hier sind zwei Voraussetzungen für erfolgreiche Corporate MOOCs zu nennen: einerseits eine hohe Komplexität des Themas, das zur Erschließung gemeinsames Lernen erfordert, und andererseits eine hohe Dringlichkeit des Themas aus Sicht der Mitarbeiter. Denn ein cMOOC sollte auf Freiwilligkeit beruhen, und die Teilnehmer bei ihrer intrinsischen Motivation abholen. In einem solchen Projekt-Szenario übernimmt der Corporate MOOC teilweise die Aufgabe der „Anforderungsanalyse“. Daneben wird das Change Management unterstützt, denn die Ergebnisse des Corporate MOOCs entsprechen auch dem, was von den Mitarbeitern selbst entwickelt wurde.

Unterstützung eines Corporate MOOC mit SharePoint 2013

Die folgende Aufzählung über den Ablauf eines MOOC findet sich im Wikipedia-Artikel zu MOOCs. Dabei wird vorausgesetzt, dass ein MOOC nach der Phase des „Teilens“ gegebenenfalls ein neuer Zyklus beginnt:

  1. Orientieren (Aggregate): sich einen Überblick verschaffen und auswählen, was interessant erscheint
  2. Ordnen (Remix): ein Thema für sich strukturiert festhalten und nach Anknüpfungspunkten und Verbindungen zum eigenen Alltag suchen
  3. Beitragen (Repurpose): einen eigenen Beitrag oder Kommentar zu einem Thema verfassen
  4. Teilen (Feed Forward): die eigenen Beiträge mit anderen Teilnehmenden teilen

SharePoint 2013 bietet weit mehr Möglichkeiten als der Vorgänger, um einen Corporate MOOC mit Standardmitteln umzusetzen (siehe Kasten).

Fazit

Mit Massive Open Online Courses entstand im Pädagogik-Kontext ein Konzept, das als Corporate MOOCs auch für das IT-Consulting interessant ist. Gerade für größere Unternehmen bietet sich die Möglichkeit über Corporate MOOCs collaborative Prozesse in das Wissensmanagement hineinzutragen und in Richtung Innovationsmanagement weiterzuentwickeln – grundsätzlich auch unter Hinzuziehung von externen Stakeholdern, womit die Brücke zur Open Innovation geschlagen wäre.