Autor – Dr. Tobias Kämpf,
Wissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München
Der Aufstieg der IT-Technologien in einer globalisierten Wirtschaft hat zu einer neuen Qualität der Informatisierung geführt. Sie ist der zentrale Motor der Umbrüche, die sich gegenwärtig in der Arbeitswelt vollziehen. Auf der Basis des Internets entsteht damit ein verwendungsoffener „Informationsraum“. Dieser erweist sich für jene Tätigkeitsbereiche, deren Arbeitsgegenstand digitalisierbar ist – zum Beispiel in der Softwareentwicklung oder in wachsenden Bereichen der Ingenieursarbeit – als ein neuartiger, global zugänglicher „Raum der Produktion“ und als neue soziale Handlungsebene. Wissensarbeit kann so ort- und zeitunabhängig erbracht und in global vernetzte Wertschöpfungsketten eingebettet werden.
„Informationsraum“ – die Grundlage für Innovationsprozesse
Der Informationsraum bildet eine neue Basis für die Arbeits- und Innovationsprozesse und ist für das Unternehmen der Zukunft von zentraler Bedeutung. Gerade in der Wissensarbeit werden neue Möglichkeiten der Kommunikation und der Vernetzung von Know-how zum Ausgangspunkt neuer Arbeitsformen und flexibler Organisationskonzepte. Auf der einen Seite sorgen IT-gestützte Prozesse nun auch in hochqualifizierten Arbeitsbereichen für den „flow“ von Information, strukturieren Schnittstellen neu und werden zum Rückgrat systemisch integrierter Organisationen. Auf der anderen Seite werden mit dem Einsatz von social media Kommunikationsplattformen im Netz zur Basis neuer „Öffentlichkeiten“, in denen sich Mitarbeiter als community vernetzen und ihr Wissen teilen.
Zudem entwickeln sich komplementäre Formen der Arbeitsorganisation, die auf Wissenstransfer, kontinuierliche Lernprozesse und ein Empowerment der Teams setzen. Dabei spielen agile Methoden wie scrum im Kontext des Lean Development genauso eine Rolle wie neue Formen global verteilten und flexiblen Arbeitens auf der Basis von IT wie home office und cloud working. Auch offene Büro- und Raumkonzepte, die gerade in vielen Unternehmen entstehen, sind Ausdruck dieses Wandels der Arbeitswelt
Digitaler Umbruch erfasst alle Branchen
Auch hierzulande erkennen immer mehr Unternehmen die Notwendigkeit sich neu zu erfinden. Viele von ihnen arbeiten auf Basis des Informationsraums bereits an einem neuen Bauplan für die digitale Zukunft. Wie diese Entwicklung im Sinne der Menschen gestaltet werden kann, untersucht das BMAS-Projekt „Wing – Wissensarbeit im Unternehmen der Zukunft nachhaltig gestalten“.
Die Forschungen des Wissenschaftlerteams vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München und von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zeigen, dass der digitale Umbruch, der zunächst vor allem die IT-Industrie erfasste, sich inzwischen auch in anderen Branchen vollzieht. In den gegenwärtig ablaufenden Suchprozessen werden die Weichen für die Entwicklung der Arbeitswelt neu gestellt. Dieser Wandel betrifft alle Ebenen des Unternehmens: die Arbeitsorganisation und Innovation, den Arbeitsplatz der Zukunft, das Verständnis von Führung, die berufliche Entwicklung und Karrieren sowie die Sozialbeziehungen und Unternehmenskultur.
Beteiligungsorientierte Konzepte sind Voraussetzung
Die Nutzung dieser Potenziale für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit ist kein Selbstläufer. Um die Umbrüche in der Arbeitswelt produktiv und erfolgreich bewältigen zu können, ist die nachhaltige Gestaltung des Wandels von Wissensarbeit unabdingbar. Dreh- und Angelpunkt sind hierbei beteiligungsorientierte Konzepte, die auf die Befähigung der Mitarbeiter zielen. Wer auf solche nachhaltigen Konzepte verzichtet und die gezielte Beteiligung der Mitarbeiter außer Acht lässt, landet schnell in einer Sackgasse.
Die Zunahme psychischer Arbeitsbelastungen und der erhebliche Anstieg stressbedingter Erkrankungen wie burn-out zeigen schon jetzt einen dringenden Handlungsbedarf. Daher ist es unabdingbar, die Arbeitsprozesse so zu gestalten, dass sie den Beschäftigten erlauben, ihre Kreativität und Schaffenskraft optimal zu entfalten. Entscheidend ist auch, den Informationsraum nicht nur als eine technische Infrastruktur zu sehen, sondern ihn vielmehr als neuen sozialen Handlungsraum zu begreifen. Mit der Umsetzung dieser neuen Leitorientierung können die Unternehmen Arbeit grundlegend transformieren.
Good Practices für eine nachhaltige Gestaltung
Bei der Entwicklung innovativer Ansätze zur nachhaltigen Gestaltung des Wandels von Wissensarbeit stellt „WING“ alle wichtigen Unternehmensdimensionen als Handlungs- und Lernfelder ins Zentrum der Forschung. In den Bereichen Forschung und Entwicklung sowie IT-Arbeit sollen praxistaugliche Instrumente entwickelt werden, die Beschäftigte dazu befähigen, zum aktiven Gestalter einer nachhaltigen und innovativen Arbeitswelt zu werden. Pilot-Initiativen bei den Partnerunternehmen bilden dabei den gemeinsamen Ausgangspunkt des anwendungsorientierten Forschungsprojekts. Good Practices und innovative Instrumente sollen gezielt auf ihre Anwendbarkeit in Klein- und mittelständischen Unternehmen geprüft und angepasst werden.
Um die Brücke von der Wissenschaft in die Praxis zu schlagen, sollen die Projektergebnisse im Rahmen eines mehrdimensionalen Transferkonzepts als „gute Beispiele“ aufbereitet und zugänglich gemacht werden: in Form von Workshops, Tool-Baukästen, Broschüren und Schulungskonzepten für Wirtschaft und Unternehmen sowie die betriebliche Interessenvertretung und Multiplikatoren; auf Konferenzen und im Rahmen einer prominent platzierten Buchpublikation für eine breite Öffentlichkeit.
Fazit
Wir stehen heute an einem Scheideweg: Wird es ein digitales Fließband und Daten-Panopticum geben oder wollen wir die Digitalisierung für einen Aufbruch in eine neue Humanisierung der Arbeitswelt nutzen? Welches Szenario am Ende eintritt hängt davon ab, in welche Richtung die Unternehmen in den entscheidenden Handlungsfeldern jetzt die Weichen stellen. Eines jedoch ist klar: Die Digitalisierung braucht die Menschen. Ohne eine angemessene und nachhaltige Beteiligung der Beschäftigten wird die digitale Transformation nicht gelingen.
Dr. Tobias Kämpf, Wissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München. Das Projekt Wing ist ein Verbundprojekt unter Leitung des ISF München in Kooperation mit der IG Metall und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Es wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert und im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit durchgeführt sowie durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fachlich begleitet. Die Zusammenarbeit mit der Initiative Neue Qualität der Arbeit ist ein zentraler Bestandteil des Projekts.
Die Initiative Qualität der Arbeit ist eine gemeinsame Initiative von Bund, Ländern, Verbänden und Institutionen der Wirtschaft, Gewerkschaften, Unternehmen, Sozialversicherungsträgern und Stiftungen. Ihr Ziel: mehr Arbeitsqualität als Schlüssel für Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland. Dazu bietet die im Jahr 2002 ins Leben gerufene Initiative inspirierende Beispiele aus der Praxis, Beratungs- und Informationsangebote, Austauschmöglichkeiten sowie ein Förderprogramm für Projekte, die neue personal- und beschäftigungspolitische Ansätze auf den Weg bringen.