Petra Spitzfaden, Kommunikations-Profi und leidenschaftliche Autorin für IT und Nachhaltigkeit, befragt für uns regelmäßig bekannte Persönlichkeiten zu Themen des Digital Business, die uns aktuell bewegen.
Für diese Ausgabe sprach Sie mit:
Russ Fadel, CEO und Mitbegründer von Augmentir, einer Plattform für vernetztes Arbeiten in der Industrie, über das Thema Nachhaltigkeit in der IT.
“Es gibt nicht die eine, große Maßnahme: In Sachen IT-Nachhaltigkeit ist es die Summe aller Effekte, die den Unterschied macht.“
Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Welchen Beitrag neue Technologien dazu leisten können, ist allerdings umstritten. Denn für jeden Businessflieger, der durch Online-Meetings wegfällt, stehen auf der anderen Seite stromfressende Datencenter-Leistungen. Stellt sich also die Frage: Was lässt sich von der digitalen Transformation realistisch erwarten?
Herr Fadel, wie groß ist der Hebel, den die Digitalisierung auf ein nachhaltiges Wirtschaften hat?
Er ist groß. Zwei Prozent der weltweiten Treibhausemissionen kommen schließlich aus den Rechenzentren. Das ist etwa genauso viel wie aus der Luftfahrt. Die IT in Sachen Klimaschutz und Ressourcenschonung unter die Lupe zu nehmen, birgt also Verbesserungspotenzial im großen Stil. Das wird auch gesehen: In einer Studie von Ceous Consulting bestätigen 80 Prozent der Befragten, dass IT und Nachhaltigkeit untrennbar verbunden sind. 85 Prozent geben aber auch zu, dass noch mehr getan werden muss. Unternehmen, denen es gelingt, ihre Nachhaltigkeitsziele erfolgreich mit ihren Plänen für die digitale Transformation zu verknüpfen, können ihre Produktivität erheblich steigern und zugleich Abfälle und Ausschuss reduzieren. Die Digitalisierung bietet somit die Chance, deutliche Verbesserungen zu erzielen.
Könnten Sie dazu ein paar Beispiele nennen?
Eine Möglichkeit wäre es zum Beispiel, auf Cloud-basierte Services umzusteigen, statt das unternehmenseigene Rechenzentrum auszubauen. Dadurch können IT-Chefs mithelfen, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Ein weiteres Beispiel ist die Digitalisierung von Arbeitsabläufen, die in der bisherigen Form manuell erfolgen und fehleranfällig sind. Jeder Prozess, der zum Beispiel die Ausschussquote in der Produktion senken kann, ist ein Gewinn.
Allerdings ist die Digitalisierung wegen ihres hohen Energieverbrauchs auch ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, nehmen wir nur das Thema Videokonferenzen …
Das ist ein gutes Beispiel: Dank der Digitalisierung lassen sich viele Geschäftsreisen einsparen – wir machen einfach mehr Online-Meetings. Und wer mehr im Homeoffice arbeitet, braucht nicht zu pendeln, spart damit C02 und reduziert Feinstaub. Umgekehrt hat die Zunahme an Video-Konferenzen aber auch ihre Schattenseiten. Vor allem, wenn sich die Teilnehmer über das Mobilnetz einwählen: So verbraucht eine Stunde HD-Videostreaming im 5G-Netz beispielsweise fünf Gramm CO2 pro Stunde. Bei einer Übertragung mit 4G dagegen schon 13 Gramm. Klimafreundlicher sind da die traditionellen Festnetze. Wer hier einen Glasfaser-Anschluss nutzt, spart am meisten Treibhausgas ein: Die Belastung liegt bei zwei Gramm CO2 pro Stunde HD-Videostreaming. Über das Kupferkabel schlagen vier Gramm CO2 pro Stunde zu Buche.
Die Bandbreite der Übertragung spielt ebenfalls eine Rolle: je geringer die Qualität, desto geringer das Datenvolumen, desto niedriger der Energieverbrauch. Wenn Sie eine Stunde Videos in Ultra-HD statt HD auf Ihrem Fernseher schauen, streamen Sie sieben Gigabyte Daten statt 700 Megabyte, also zehnmal so viel. Als Betreiber einer Plattform für Connected Work, die Arbeiter im Außeneinsatz und in der Fertigung mit mobilen Apps unterstützt, sehen wir uns hier auch gefordert. Unser Ziel ist es, unsere Kunden so zu beraten, dass sie Technologie möglichst ressourcenschonend einsetzen.
Wo kann denn zum Beispiel der typische deutsche Fertigungsbetrieb durch Digitalisierung nachhaltiger agieren?
Da gibt es verschiedenste Möglichkeiten, vor allem im Bereich des operativen Personals, also in Produktion und Wartung. Nehmen Sie zum Beispiel die Digitalisierung der Arbeitsanweisungen: Dadurch wird weit mehr als nur Papier gespart. Digitale Standard Operating Procedures, sprich SOPs, helfen erwiesenermaßen, Fehler zu verhindern: Das reduziert Ausschuss, verringert die Abfallmenge und wirkt einer Verschwendung von Ressourcen entgegen. Überdies erhalten Hersteller so in der Regel weniger Reklamationen und damit Retouren, was sich wiederum vorteilhaft auf den Lieferverkehr auswirkt. Und zwar mit sämtlichen positiven Folgen wie Kraftstoffeinsparung, Feinstaubbelastung und so weiter.
Oder nehmen Sie Wartungstechniker im Außendienst: Wenn sie sich bei Fragen virtuelle Unterstützung bei einem Supervisor oder Experten holen können, steigert das die sogenannte First Time Fix Rate, also die Fehlerbehebungsquote beim ersten Reparaturversuch. Ist diese hoch, zieht das weniger Fahrten und weniger CO2-Ausstoß nach sich. Und wenn ich für den virtuellen Support nicht einmal Video-Streaming brauche, sondern von einem virtuellen Assistenten in Form eines KI-Bots selbständig Hilfe erhalten kann, dann kommt eine weitere Einsparung an Datenvolumen hinzu. Insgesamt muss man sagen: Es gibt nicht die eine, große Maßnahme. In Sachen Nachhaltigkeit ist es die Summe aller Effekte, die den Unterschied macht.
“Unternehmen, denen es gelingt, ihre Nachhaltigkeitsziele erfolgreich mit ihren Plänen für die digitale Transformation zu verknüpfen, können ihre Produktivität erheblich steigern und zugleich Abfälle und Ausschuss reduzieren. ”
Sie haben vornehmlich Umwelt- und Klimaaspekte aufgezählt. Für viele Unternehmen ist der Begriff „Nachhaltigkeit“ aber weiter gefasst.
Russ Fadel: Richtig – wie breit der Begriff zu sehen ist, zeigen schon die 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, die von der Armutsbekämpfung bis zum Umweltschutz reichen. Sie nehmen sowohl die Staaten und ihre Verwaltungen in die Verantwortung als auch die Unternehmen und die Zivilgesellschaft. Im Investment- und Finanzsektor haben sich daraus die sogenannten ESG-Kriterien entwickelt. Hier tut sich viel, denn: Geldgeber entscheiden seit einiger Zeit nicht mehr ausschließlich nach finanziellen Gesichtspunkten, wem sie ihre Finanzmittel zur Verfügung stellen. Das E in ESG steht dabei für Environment: Unternehmen müssen nachweisen, dass sie sich für den Umweltschutz einsetzen und im Social-Bereich Menschenrechte, Diversität und Arbeitsschutz ernst nehmen. Außerdem sollen sie zeigen, dass sie im Sinne einer Governance umsichtig und wertebasiert agieren – etwa in Form von Ethikrichtlinien, einem Risikomanagement oder mit Anti-Korruptions-Maßnahmen.
All dies gilt es dann in einem Lagebericht festzuhalten. Zwar sind die wenigsten Unternehmen in der EU tatsächlich dazu verpflichtet, aber da viele Großunternehmen die Anforderungen an ihre Lieferanten durchreichen, betrifft ESG auch eine Vielzahl von Zulieferern – und damit mehr Betriebe als man denkt. Jenseits der rein rechtlichen Verpflichtung steigt außerdem der gesellschaftliche Druck. Egal ob Investoren oder Kunden: Alle fordern, dass sich Unternehmen auch sozial verantwortungsvoll und werteorientiert aufstellen.
Das klingt aber doch eher nach HR-Abteilung als nach einer Aufgabe für den Chief Digital Officer …
Mitnichten. Digitale Apps helfen durchaus, die „Social“-Komponente der ESG-Kriterien zu adressieren. Nehmen Sie nur das große Thema Arbeitsschutz, von der Arbeitssicherheit bis hin zu Gesundheitsmaßnahmen im Betrieb. Das sichere Ausschalten und Abschließen gefährlicher Maschinen vor der Reinigung fällt ebenso darunter wie das korrekte und zuverlässige Anlegen von persönlicher Schutzkleidung. Das alles lässt sich mit digitalen Checklisten wunderbar anleiten und kontrollieren.
Und auch die Aus- und Weiterbildung wird erleichtert: Klare Anweisungen am Arbeitsplatz per Mobilgerät oder Smart Glasses für die Industrie ermöglichen nicht nur ein effektiveres Training on the Job. Indem die Anleitungen den Fähigkeiten und Kompetenzen der Arbeiterinnen und Arbeiter angepasst werden, tragen moderne, KI-gestützte Software-Tools dazu bei, unterschiedliche Bildungsstände auszugleichen. Denen, die ein niedrigeres Ausbildungsniveau oder einen geringeren Kenntnisstand haben, serviert ein solches System dann SOPs mit mehr Details, mehr Fotos und mehr Videos. Sie erhalten auch mehr Aufforderungen, sich per Videoschalte einen Schulterblick von einem Supervisor einzuholen. Das steigert Sicherheit und Selbstvertrauen. Für anderes Personal, das diese Hilfestellungen nicht oder nicht mehr braucht, blendet die KI Unnötiges aus.
„Digitale Werkzeuge helfen letztlich Geld zu sparen, und amortisieren sich mittelfristig bis schnell.”
Das kostet aber alles dann doch einiges – in Zeiten steigender Preise müssen Unternehmen mehr denn je aufs Budget schauen.
Die Finanzen spielen natürlich immer eine Rolle. Aber digitale Werkzeuge helfen letztlich, Geld zu sparen und amortisieren sich mittelfristig bis schnell: So können KI-gestützte Systeme unterstützen, anstelle von ressourcenfressenden Neuanschaffungen die vorhandene Infrastruktur sowie bewährte Prozesse zu optimieren, Stichwort Retrofitting. Dies gelingt, wenn Maschinen, Sensoren und Mitarbeitende mit mobilen Geräten untereinander vernetzt sind. So entsteht ein durchgehender digitaler Flow mit einer Vielzahl an Datenpunkten. Mit Hilfe einer KI lässt sich dann ableiten, an welchen Stellen im Prozess Optimierungen nötig und möglich sind.
Sie sagen, „es amortisiert sich mittelfristig bis schnell“ – von was für Zeitfenstern sprechen wir da?
In einer Forrester Studie haben Analysten für ein hypothetisches Unternehmen errechnet, dass sich Investitionen in die IT, welche die Nachhaltigkeit fördern, nach gut dreieinhalb Jahren zu rechnen beginnen, genauer gesagt nach 43 Monaten. Der ROI nach fünf Jahren belief sich in dem Modell auf 33 Prozent.
Aus meiner Erfahrung halte ich diese Berechnungen für zu konservativ. Denn Kunden von uns konnten zum Beispiel innerhalb weniger Monate die Zahl der Arbeitsunfälle und Verletzungen um 80 Prozent verringern. Andere berichten von 25 Prozent weniger Nacharbeiten oder 50 Prozent kürzeren Rüstzeiten. Wer seine Nachhaltigkeit mit digitalen Tools verbessert, hat gleichzeitig die Chance, viel für seine Produktivität zu tun – und in Zeiten steigender Preise können wir das alle gut gebrauchen.
Herr Fadel, haben Sie vielen Dank für dieses spannende Interview.
Augmentir™ ist der weltweit einzige Anbieter von KI-basierter Connected Worker Software. Die Augmentir Suite besteht aus KI-gestützten Tools für die Vernetzung von Arbeiterinnen und Arbeitern. Sie hilft Industrieunternehmen, die Sicherheit, Arbeitsqualität und Produktivität ihrer Belegschaft in einem hochdynamischen Umfeld zu steigern. Betriebe aus der Fertigungsindustrie und dem Dienstleistungssektor, aus der Energiewirtschaft sowie dem Bauwesen profitieren von der KI in Augmentir in Verbindung mit den digitalen Arbeitsanweisungen und virtuellen Kollaborationsmöglichkeiten der Plattform.