Kommentar – Neue Horizonte jenseits der Cloud

    Autor – Reinhard Karger, Leiter Unternehmenskommunikation DFKI und DGI-Präsident

    Die Cloud hat fulminant erfolgreiche Dienste ermöglicht, Kommunikation und Kollaboration demokratisiert. Cloud Computing ist mit seinen Serverfarmen aktuell die technische Basis für Social Media und eine Perspektive für die Sharing Economy, in der Zugang wichtiger wird und das Haben an Bedeutung verliert. Ein populäres Beispiel für ein neues cloudgestütztes Geschäftsmodell ist Uber, das eine ganze Branche aufwühlt, die Gerichte beschäftigt und die Taxifahrer auf die Plätze der Metropolen treibt.

    Aber der Erfolg trägt den Samen für den noch größeren Erfolg in sich und dieser wiederum könnte die Stars von heute marginalisieren – und lässt sie morgen möglicherweise dann ganz harmlos und niedlich aussehen – wie Microsoft in den 90ern wegen Machtkonzentration zerschlagen werden sollte und 2014 als Konzern immer noch wichtig ist, aber in der Öffentlichkeit weder als Macht des Bösen noch als Innovationstreiber angesehen wird, diese Position haben heute Google, Amazon oder Facebook.

    Wem gehören die Daten?

    Neue Horizonte jenseits der Cloud zeichnen sich ab, denn diese hat prinzipielle Probleme. Und die Information Professionals werden diese Debatte und diese Entwicklung begleiten. Dabei geht es um Datenschutz und im Speziellen um die Frage, wem die Daten gehören. Für diese Aspekte interessierten sich bis Mitte 2013 eher Datenschützer, Doktoranden oder Post Privacy Apologeten, und seit der sogenannten NSA-Affäre sind sie ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit geraten. Denn es gilt: Der Dateneigentümer ist nicht immer der Datenbesitzer – und es ist zumindest erstaunlich, dass sich mit diesem Unterschied Milliarden verdienen lassen. Juristisch fallen Besitz und Eigentum fundamental auseinander – das kann man veranschaulichen mit dem Verhältnis von Mieter, Mietwohnung und Wohnungseigentümer. Der Mieter besitzt die Wohnung, dem Vermieter gehört sie, doch der Vermieter ist und bleibt der Eigentümer. („Im Mietvertrag wird der Mieter Besitzer, der Vermieter bleibt jedoch Eigentümer.“ [1])

    Beim Cloud Computing bleibt der Clouddienstenutzer selbstverständlich Eigentümer seiner Daten. Aber im Moment des Uploads hört er auf sie zu besitzen. Der Cloud-Betreiber wird zum Besitzer der Daten. Was bedeutet das? Der Besitzer hat die Verfügungsgewalt. Der Besitzer ist der eigentliche Herrscher – und auch im Fall der Cloud ist der Clouddiensteanbieter deshalb der Herrscher über die Daten. („Vom Eigentum zu unterscheiden ist der Besitz, der sich auf die tatsächliche Herrschaft über eine Sache bezieht.“ [2])

    Welche Rechte und Pflichten das jeweils beinhaltet, ist vertraglich geregelt. In der analogen Lebenswelt wird der Wohnungsmietvertrag sowohl von Mietern als auch von Vermietern relativ gut verstanden und es gibt eine akzeptierte und lesbare Standardfassung auf wenigen Seiten. Jeder Mieter liest den Vertrag, bevor er ihn unterschreibt. Der Vergleich mit der Mietwohnung ist natürlich schief. Der Wohnungseigentümer darf eine vermietete Wohnung nur nach Ankündigung und Terminabsprache oder unter anderen sehr dringlichen Umständen überhaupt betreten und schon gar nicht darf er Dritten einen unbeobachteten Zugang zu der Wohnung gewähren – so sehr er auch Eigentümer des ganzen Hauses ist.

    Privatsphäre?

    Auch die Clouddiensteanbieter schließen Verträge mit den Nutzern. Sie wissen und billigen, dass wenige Nutzer die Allgemeinen Geschäftsbedingungen lesen und noch weniger diese verstehen oder die Konsequenzen formulieren und beurteilen können. Denn der Clouddienstenutzer und eben Dateneigner kann seine hochgeladenen Daten verändern oder löschen, kann den Dienst kündigen oder den Zugang für beliebige Personen seiner Wahl öffnen, indem er ihnen die Zugangsdaten mitteilt – natürlich kann das der Vermieter einer Wohnung nicht. Aber, wie der Vermieter, der nicht wirklich weiß, was in seiner Wohnung geschieht, hat der Dateneigentümer als Clouddienstenutzer keinen tatsächlichen Überblick über die Datennutzung bzw. Datenauswertung – er weiß nicht einmal, wo genau die Daten physikalisch gespeichert sind.

    Der markanteste Unterschied ist, dass eine vermietete Wohnung nicht zur Privatsphäre des Vermieters gehört – die hochgeladenen Daten, die persönlichen Kontakte und Termine, Dokumente, Notizen, Mails, und Fotos, Videos, Musik, Bookmarks oder Status Updates geben aber häufig ein sehr hochaufgelöstes Bild des Lebens und der Privatsphäre des Clouddienstenutzers. Und dieser hat keine Möglichkeit, die Auswertung seiner Daten und den Zugriff auf seine Privatsphäre zu kontrollieren. Denn: Zugriff kann nur kontrollieren, wer den Datenspeicher kontrolliert.

    In vielen Fällen sind diese Differenzierungen nicht erheblich. Aber die Clouddienste sind überaus erfolgreich und die Daten, die wir über unser Leben und unsere Gewohnheiten, über persönliche und geschäftliche Beziehungen und Verträge digital sammeln, sind überaus privat, werden ständig umfangreicher und zunehmend intim. Je privater die Daten sind, desto mehr wächst das Missfallen, dass der Clouddienstenutzer prinzipiell keine Kontrolle über die Datenauswertung hat.

    Cloud-Alternative

    Was wird also geschehen? Die Cloud bietet ein Maximum an Convenience, bei einem Minimum an Kontrolle. Die Clouddienstenutzer merken, dass die Fülle der Daten ein feinkörniges Persönlichkeitsbild ergeben. Die Suche nach Alternativen wird ein neues Marktsegment kreieren, in dem das technisch Machbare und das ergonomisch Mögliche unternommen wird, damit Dateneigentum und -besitz wieder zusammenfallen. Der grandiose Erfolg der Cloud befeuert auch den Diskurs über die fundamentalen Konstruktionsprobleme.

    Die Nutzungsintensität der Social Networks, die Gefahr von Auswertungskartellen, die Gleichzeitigkeit von pandemischer Durchdringung und der öffentlichen Diskussion der bestehenden Datenschutzmankos bereiten den Markt für eine grundsätzliche Cloud-Alternative: die private Cloud auf einem privaten Server – aktuell ein Nischenmarkt, aber in den kommenden Jahren eine zusätzliche Consumer Hardwarekategorie.

    Wir sind im Zustand des digitalen Imperial Overstretch bei anschwellendem User­Grummeln. Der entstehende Markt allerdings ist gigantisch. Gerne hätte ich einen Ort für meine digitale Welt. Einen Ort, meine Insel. Und ich wäre der König. Punkt.

    Quellen:

    [1] http://de.wikipedia.org/wiki/Eigentum
    [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Eigentum

    www.dfki.de

    Reinhard Karger ist seit 2000 Leiter der Unternehmenskommunikation des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz GmbH, DFKI. Seit 2001 wurde er zusätzlich Leiter des Deutschen Demonstrationszentrums für Sprachtechnologie im DFKI und 2011 Unternehmenssprecher des DFKI. Er engagiert sich in der Jury von „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ und im Wissenschaftsjahr 2014 – Die digitale Gesellschaft. Seit Mai 2014 ist Reinhard Karger  Präsident der Deutschen Gesellschaft für Information und Wissen e.V.(DGI)