Von einer Expedition, für die es Daten, Mut und ein starkes Team braucht.
«Die Achillesferse einer erfolgreichen Digitalisierung liegt nicht in der Technik. Der entscheidende Faktor sind die Daten.»
Text: Gunnar Schug, Chief Technology Office CTO bei proALPHA

„Männer für waghalsige Reise gesucht. Geringe Löhne, extreme Kälte. Monatelange, völlige Dunkelheit. Permanente Gefahr, sichere Heimkehr ungewiss. Ehre und Ruhm im Falle eines Erfolgs.“
Auf diese Ankündigung des Forschers Sir Ernest Shackleton in der Times zu einer Expedition zur Durchquerung des antarktischen Kontinents im Jahre 1914 bewarben sich mehr als 5.000 Menschen. Die ungeschönte Offenheit machte sie neugierig auf die Reise. Dass dieser Entdeckergeist heute noch lebendig ist, zeigen mittelständische Unternehmen täglich auf ihrer eigenen Expedition. Das Ziel heißt Digitalisierung und der Weg dahin ist alles andere als einfach. Viele betreten Neuland, erfahren Rückschläge und stecken die Route neu ab. Was können Mittelständler von Männern lernen, die sich vor 100 Jahren aufmachten, Neues zu entdecken?
« Neue Wege beschreiten heißt auch, eine Fehlerkultur zu etablieren, die Lerneffekte nutzbar macht »
Wie bei jeder Expedition ist der Aufbruch in die Digitalisierung nur durch das richtige Zusammenwirken verschiedener Akteure und Faktoren erfolgreich. Dazu gehören neben einer durchdachten Vorbereitung auch ein starkes Expeditionsteam, die richtige Technik und vor allem fähige und inspirierende Navigatoren. Doch jedes Unternehmen muss sich im Klaren über die Wirkkraft dieser Reise sein. Denn Digitalisierung bedeutet Veränderung: Wie wird die Arbeit geleistet, wie funktionieren Prozesse, wie werden Entscheidungen getroffen? Diesem Change-Prozess ist das gesamte Unternehmen unterworfen – von den Fachabteilungen über die HR und IT bis hin zum Top-Management.
Digitalisierung verändert Prozessabläufe im Kern und lockt mit Flexibilität in den Geschäftsmodellen, Resilienz, Transparenz und Sichtbarkeit im Unternehmen. Doch (tradierte) Prozesse zu verändern, heißt mit Bedenken zu kämpfen und Gegenwind zu spüren.
“If you’re a leader, a fellow that other fellows look to, you’ve got to keep going.”
In der Digitalisierung geht es nicht darum, existierende Prozesse, so wie sie sind, in ein digitales Format zu gießen. Ganz im Gegenteil: Sie bietet die einmalige Gelegenheit, Abläufe zu überdenken und ein Process Re-Engineering durchzuführen. Die Unterstützung durch das Top-Management ist hier zentral, denn solche Prozessveränderungen sind von unternehmensweiter Tragweite. Dies erfordert, Digitalisierung im Kontext strategischer Entscheidungen zu begreifen, statt sie nur als rein IT-gesteuertes Projekt zu leiten. Nur durch eine starke Unterstützung durch die Unternehmensführung lässt sie sich auch zum Erfolg führen.
Es erfordert natürlich Mut von diesen Führungskräften, die eigenen unternehmerischen Prozessketten sowie das persönliche Mindset kritisch unter die Lupe zu nehmen. Denn viele Abläufe im Unternehmen sind historisch gewachsen und hatten irgendwann sicherlich eine Legitimation. Nur diese kann sich heute längst überholt haben.

Antarktis, digitalisiert
Kurz: Um die Komfortzone eingefahrener Prozesse zu verlassen, braucht es engagierte Anführer, die unbequeme Entscheidungen vor allem glaubwürdig vertreten: In einer früheren Expedition näherten sich Shackleton und seine Crew bis auf 97 Meilen dem Südpol, dem Ziel ihrer Reise. Ihn als Erster zu erreichen, hätte dem Briten Weltruhm eingebracht. Doch mit Blick auf den Gesundheitszustand seiner Männer brach er ab. Diese Entscheidung sicherte ihm auf seiner Antarktisdurchquerung wenige Jahre später das unbedingte Vertrauen der Crew in seine Führungsqualität.
„The only true failure would be not to explore at all.“
Digitalisierung ist kein Einzelprojekt, sondern setzt sich aus vielen kleineren Projektinitiativen zusammen, wobei die Prozessgestaltung dieser Initiativen im Vordergrund steht. Es müssen daher Führungskräfte an Bord sein, die diese Prozesssicht im Auge behalten und vorantreiben. Dazu brauchen sie Vollmachten, Entscheidungen über Abteilungen hinweg treffen zu können. Um alle Mitarbeiter mitzunehmen, geht es zudem darum, in der Projektstruktur das richtige Governance Model zu schaffen, mit konkreten Arbeitspaketen und definierten Teamleistungen. An den Führungskräften liegt es, die vielen kleinen Projektteams zusammenzuführen und die einzelnen Teams für den Projekterfolg zu begeistern.
Auch ist es nötig, den Abteilungen die Angst vor digitalen Kerntechnologien zu nehmen. Daher ist maximale Transparenz des Managements bei der Umsetzung der einzelnen Digitalisierungsetappen von zentraler Bedeutung. Denn niemand kennt die Prozesslandschaft besser als die Fachabteilungen selbst. Ohne ihre proaktive Unterstützung bei der Identifizierung ineffizienter Abläufe wird Digitalisierung nur schwer gelingen.

Antarktis, analog
Im Grunde tat Shackleton nichts anderes, als ein solches Governance-Modell zu schaffen und situativ umzusetzen. Seine transantarktische Durchquerung war, selbst für Verhältnisse einer Expedition, ausgesprochen minutiös geplant. Die Expedition sollte aus zwei Gruppen und zwei Schiffen bestehen. Eine Gruppe würde in das Gebiet der Vahsel-Bucht vordringen. Von dort sollten sechs Männer unter Shackletons Kommando die Durchquerung in Angriff nehmen. Die zweite Gruppe hatte den Auftrag, auf die andere Seite des Kontinents zu segeln und Vorratslager anzulegen, um die dann entkräfteten Männer auf dem zweiten Teil des Weges zu unterstützen.
Bei der Auswahl seiner Mannschaft nutzte er durchaus eigenwillige HR-Methoden. So interessierten ihn neben den fachlichen Qualitäten der Bewerber vor allem soziale Aspekte. Die Fähigkeit singen zu können war, in Monaten absoluter Dunkelheit im antarktischen Winter und eingepfercht an Bord des Schiffes, eine durchaus wichtige Qualität. Shackleton sagte einmal, die vier wichtigsten Eigenschaften eines Entdeckers seien: Optimismus, Geduld, Vorstellungskraft und Mut.
Diese Eigenschaften zählen gerade auch in Digitalisierungsprojekten. Denn es gilt, bei der Auswahl der Projektteams auf eine Diversität von Interessen, Erfahrungen und weichen Faktoren zu achten. Kleine, schlagkräftige Teams, die interdisziplinär und aus völlig unterschiedlichen Bereichen zusammengesetzt sind, helfen Projekte zu skizzieren und Neues auszuprobieren. Über ein abteilungsübergreifendes Kreativteam, angereichert durch Datenspezialisten, Verfahrenstechniker oder HR-Manager, lassen sich gemeinsam Innovationen, digitale Geschäftsmodelle und tragfähige Digitalisierungskonzepte entwickeln. Projektmanagement-Strategien wie SCRUM oder Design Thinking unterstützen dabei.
„Everything that the experience of the leader and his expert advisers can suggest.“
Nicht alleine Shackletons Planung der Reise stach heraus. Auch verwendete er modernste Technik wie motorisierte Schlitten und eine Ausrüstung, die auf die harschen Bedingungen im Südpolarmeer zugeschnitten war. So wurde sein Flaggschiff, die Endurance, ursprünglich in Norwegen speziell für Arktis-Reisen gebaut und galt als eines der massivsten Schiffe ihrer Zeit. Das Vertrauen in die Endurance war so groß, dass Lloyds of London den Dreimaster als erstes Schiff für die Gewässer der Antarktis versicherte.
Auch hier drängt sich eine Parallele zur Expedition Digitalisierung auf. Denn neben einer fähigen Führungsmannschaft und engagierten Crew hängt der Erfolg von Digitalisierungsprojekten an der passgenauen technischen Umsetzung. Ein hochleistungsfähiges ERP bildet das digitale Rückgrat einer intelligenten Fabrik mit optimierten digitalisierten Wertschöpfungsketten. Es dient als Daten- und Prozessintegrationsplattform, schafft eine Durchgängigkeit von Prozessen über alle Ebenen und gewährleistet eine einheitliche Datenbasis. Es hilft, die Kommunikation und Interaktion über Abteilungen hinweg, aber auch zu Lieferanten und Kunden zu verbessern. Auf C-Level ermöglicht es in Verbindung mit Business-Intelligence-Tools schnelle Entscheidungen.
Ein ERP-System unterstützt zudem, mit Ressourcen jeglicher Art intelligent und effizient umzugehen. Es optimiert Routen in der Logistik, den Materialeinsatz in der Produktion und hilft Prozesse durch optimierte Planung effizienter zu gestalten. In einer „lernenden Fabrik“ führt ein solches ERP-System Daten aus unterschiedlichsten KI-gesteuerten Einheiten zusammen: aus selbststeuernden, selbstoptimierenden Prozessen und digitalen Assistenten, aus der RPA (Robotics Process Automation) oder einem Business Analytics Tool. Umfang und Güte der verfügbaren Daten definieren wiederum die Möglichkeiten, daraus datengetriebene und wertstiftende Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Die Achillesferse einer erfolgreichen Digitalisierung liegt jedoch nicht in der Technik. Der entscheidende Faktor sind die Daten. Die Qualität von Stamm- und Bewegungsdaten beeinflusst unter anderem, wie effizient Prozesse arbeiten. Doch gerade in Digitalisierungsprojekten nehmen die Herausforderungen in der Datenpflege deutlich zu – die Fehleranfälligkeit steigt. Für automatisierte Fertigungsprozesse greifen die miteinander kommunizierenden Maschinen und Logistiksysteme auf eine Vielzahl von Stammdaten wie Materialnummern, Fertigungsanlagen, Transportmittel, Werkzeuge oder Lieferadressen zu, die das ERP-System zur Verfügung stellt. Ein falscher Datensatz an einer einzigen Stelle wird – bedingt durch den hohen Vernetzungsgrad der Systeme – weitervererbt und führt zu Folgefehlern und -kosten. Daher ist ein professionelles Datenqualitätsmanagement gerade in autonomen Prozessen ein absolutes Muss.
„Then came a fateful day of Wednesday, October 27.“
Digitalisierungsprojekte können scheitern oder kommen allzu häufig aus dem Tal des Prof-of-Concept nicht hinaus. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Fehlender Investitionsmut, eine überhastete Implementierung neuer Prozesse im Hau-Ruck-Verfahren oder Fehleinschätzungen in der Bedarfsplanung sind oft anzutreffen. Auch wird gerne vernachlässigt, dass zur Digitalisierung von Prozessen die Einbindung der betroffenen Mitarbeiter essenziell ist. Sind sie es doch, die die sie umgebenden Abläufe am besten kennen und Potenziale für Prozessverbesserungen realistisch einschätzen können.
Hinzu kommt eine eher deutsche Tugend: Perfektionismus. Die Bereitschaft zur Veränderung muss von der Geschäftsleitung gelebt, gefördert und auch eingefordert werden. Inklusive der Bereitschaft, Fehler zuzulassen. Denn neue Wege beschreiten heißt auch, eine Fehlerkultur zu etablieren, die Lerneffekte nutzbar macht. Damit tun sich mittelständische Unternehmen bislang oft schwer – in Deutschland noch mehr als in anderen Ländern.
Es ist Aufgabe der Unternehmensleitung, hier voranzugehen und den Belegschaften die notwendige Sicherheit zu geben, um Ideen zu kreieren und zu verproben. Bei kleinen Projektschritten statt groß angelegter Initiativen sind etwaige Fehler leichter zu korrigieren. Mitarbeiter fühlen sich dabei besser mitgenommen und Entwicklungen sind eher nachzuvollziehen. Zudem lassen sich nötige Weiterbildungsmaßnahmen einfacher in den Betriebsalltag integrieren. Das Management hat also die Fäden in der Hand, über die Prozessdigitalisierung hinaus zusätzliche Potenziale zu heben. Ein Blick über den Tellerrand kann hier nicht schaden: In anderen Ländern geht der Trend bereits stärker in Richtung digitale Produkte.
Nachdem die Endurance vom Packeis des Weddellmeers gefangen und letztlich zerdrückt wurde, folgte eine kräftezehrende Reise des Expeditionsteams rund um Shackleton über Eis, das sturmgepeitschte Südpolarmeer und monatelanges Ausharren auf der unbewohnten Elefanteninsel. Auch wenn Shackletons Expedition letztlich nicht vom erhofften Erfolg gekrönt war – vor allem durch die schwierigen Wetterbedingungen im Jahr 1915: Es ist dem Ausnahmeanführer Shackleton zu verdanken, dass alle Crewmitglieder am 30. August 1916 unverletzt gerettet werden konnten – mehr als zwei Jahren nach ihrem Aufbruch. Sein Führungsstil ist bis heute Leitbild für Navigatoren auf See und in Unternehmen.

Antarktis, analog
proALPHA Gruppe
Seit rund drei Jahrzehnten ist proALPHA mit 49 Standorten und 1.550 Mitarbeiter*innen weltweit der digitale Sparringspartner der mittelständischen Wirtschaft. Die leistungsstarken ERP-Kern- und -Zusatzlösungen von proALPHA und seinen Partnern bilden das digitale Rückgrat der gesamten Wertschöpfungskette von mehr als 7.700 Kunden – Unternehmen aus der industriellen Fertigung, dem Großhandel und weiteren Branchen.