Gerhard Unger, General Manager DACH bei Bizagi
Die Digitalisierung und Automatisierung definierter Geschäftsprozesse ist für Unternehmen kein rein technischer, sondern vor allem ein betriebswirtschaftlicher, unternehmensweiter Kommunikationsprozess – verstanden als interdisziplinärer und abteilungsübergreifender Prozess unter Beteiligung von C-Level, Fachabteilungen und IT. Wie jeder betriebswirtschaftliche Vorgang können sie auch Mehrwert schaffen.
Eine wirkliche Digitalisierung besteht dabei nicht nur aus dem Implementieren von Applikationen am Front-End, sondern auch aus dem Anbinden dieser Anwendungen an die geschäftskritischen Kernsysteme und Datenbestände im Back Office.
Der Druck zum Einsatz automatisierter Betriebsabläufe kommt dabei hauptsächlich von den Kunden: Diese digitalisieren zunehmend ihre Customer Journey und ihre Interaktionen mit Unternehmen, indem sie Angebote und Dienste online per Smartphone oder Laptop sichten und auch in Anspruch nehmen. Gerade jüngere Generationen verlangen immer mehr nach der Dienstleistung im App-Look-and-Feel. Gestandene Unternehmen stehen hier vor großen Herausforderungen, da sie häufig parallel dazu ihre konservativere Klientel mit konventionelleren Abläufen, wie einem Beratungsgespräch oder auch der schriftlichen Korrespondenz per Brief bedienen müssen. Zudem haben sie einen größeren Bestand an Daten und Applikationen, in die die neuen Prozesse einzubinden sind.
Konsequent zu Ende gedacht
Unternehmensintern erzeugen Rationalisierung und das Verlangen nach höherer Effizienz den Druck, bestehende Prozesse so effizient und schnell wie möglich ablaufen zu lassen. Zudem definieren Regularien und Vorschriften strengere Kriterien an die Compliance.
Ein aktuelles Beispiel ist die neue EU-DSGVO (EU-Datenschutzgrundverordnung). Sie stärkt ab Mai 2018, wenn sie verbindlich in Kraft tritt, die Rechte des Verbrauchers zur informationellen Selbstbestimmung. Wenn ein Kunde nach einem Anbieterwechsel eine Herausgabe und Weiterleitung seiner persönlichen Daten vom alten Dienstleister verlangt, müssen Prozesse definiert werden, um diesem Ersuchen in jedem Fall Folge zu leisten. Vergessen ist nun kein Kavaliersdelikt mehr: Bei einer meldepflichtigen Offenlegung von Verstößen gegen den Datenschutz ist es unternehmenskritisch, alle Betroffenen innerhalb von 72 Stunden zu informieren. Automatisierung kann hier helfen, hohe Bußgelder zu verhindern.
Transformation ist eine kollaborative Aufgabe
All diese Faktoren erzeugen häufig ein diffuses Krisenbewusstsein und setzen digitale Transformation auf die Tagesordnung. So erklärten 86 Prozent von rund 1000 Entscheidern, die 2016 weltweit im Rahmen des „The Agility Trap Research Report“ [1] befragt wurden, dass die digitale Transformation eine strategische Herausforderung für ihre Geschäftsmodelle darstelle.
Weitere Ergebnisse der von Bizagi beim Marktforschungsunternehmen Loudhouse beauftragten Studie zeigen, wer die Transformation antreibt: Laut Einschätzung der Befragten kommen Ideen zur digitalen Transformation am wahrscheinlichsten von Entscheidungsträgern in den Bereichen Operations (so 57 Prozent der Befragten), IT (55 Prozent) und den Fachabteilungen wie HR, Finance, Sales oder anderen (52 Prozent) – für knapp 40 Prozent der Befragten aber durchaus auch von den Verantwortlichen für die Customer Experience. Nur 26 Prozent der eigentlich zuständigen Experten im Bereich Business-Prozesse spielen laut Einschätzung der Befragten beim Definieren der Ziele und Ideen rund um die Digitalisierung eine Rolle. Sobald die digitale Transformation dann wirklich starten soll, sehen dann aber 57 Prozent der Befragten die Business-Prozess-Experten als die effektivsten Umsetzer der digitalen Transformation in der Pflicht.
Viele Interessen treiben die Umwandlung an und müssen an einem Tisch zusammengebracht werden. Diese Initiativen beeinflussen dabei den Ablauf von Geschäftsprozessen – sowie damit den unternehmerischen Erfolg – und haben zugleich auch Folgen für die IT-Infrastruktur und die Funktion von Dienstleistungen oder Anwendungen. C-Level, Business-Manager und IT-Fachleute stehen vor einer gemeinsamen Aufgabe, die sie nur kollaborativ lösen können.
Integration aller Geschäftsprozesse
Viele Digitalisierungsprojekte scheitern aber – nicht am Mangel an Ressourcen und Technologien, sondern an der Unklarheit der Ziele, einer mangelhaften Kommunikation der Beteiligten sowie an einer rein oberflächlichen Digitalisierung. Schon der Begriff „digitale Transformation“ ist ein weites Feld. Oft verstehen Entscheidungsträger darunter nur eine schnelle Installation einer App oder eines Web-Formulars als zusätzlichem Touch-Point für Kunden. Dabei übersehen Unternehmen, dass selbst ein Post oder eine Anfrage in Social-Media-Kanälen unter Umständen einen Geschäftsprozess auslösen kann – oder zumindest auslösen sollten.
Eine solche „echte“ Digitalisierung besteht aber nicht nur aus dem Entwickeln und dem Implementieren von Applikationen am Front End, sondern auch aus der Anbindung an die Kernsysteme und Datenbestände von Unternehmen mit umfangreichen Alt-Systemen. Die gesammelten Daten und Kundenanfragen versanden, wenn sie nicht an Back-Office-Anwendungen und -Datenbanken weitergegeben werden. Für den Kunden bedeutet dies dann schlicht und einfach, dass seine Anfrage ignoriert wurde. Automatisierung darf nicht am Front End stoppen, sondern muss alle notwendigen Applikationen und Infrastrukturen umfassen. Sie schafft auch keine neuen Datensilos, die einen punktuellen Prozess schnell bedienen können, aber nicht in die sonstige Architektur der Unternehmensprozesse und IT-Infrastruktur eingebettet sind. Diese Architektur muss dabei helfen, aktuelle Technologien und ältere Datensysteme als auch zukünftige Technologien zu verknüpfen.
Modellierung von Geschäftsprozessen: Low-Code-Lösungen ermöglichen die Planung von Geschäftsbläufen per Drag & Drop
Plattform-Lösung als technologische Basis
Dies erfordert ein Zusammenspiel von Business-Abteilungen und IT-Verantwortlichen. Das wiederum führt zu neuen Problemen: Die Fachabteilung sieht ihre Geschäftsvorgaben, die IT die technischen Möglichkeiten. Dabei können die Beteiligten Vorschläge und Ideen der jeweils anderen Seite nicht beurteilen. Jeder hat zudem seine eigenen Erwartungen an und Befürchtungen gegenüber den Veränderungen, die eine digitale Transformation mit sich bringt. Der Business-Prozess-Spezialist sieht sich mit enormem Erfolgsdruck konfrontiert. IT-Leader scheuen die Herausforderungen und rufen insgeheim nach einer externen Consulting-Firma. Administration und Support fürchten vor allem die Beeinträchtigung ihrer täglichen Arbeit. Mitarbeiter im Kundenkontakt wollen zum Beispiel nur die Applikation eines Live-Chat-Tools, nicht aber die Möglichkeiten zur Steigerung und Überprüfung ihrer Effizienz.
Bei der Definition und Implementierung von automatisierten Geschäftsprozessen brauchen IT und Business daher Technologien, die einen Dialog und kollaborativen Ansatz ermöglichen. Low-Code-Plattformlösungen zur Digitalisierung bieten dafür eine gemeinsame Sprache, Diskussionsplattform und Arbeitsgrundlage für alle Beteiligten im Unternehmen.
Fazit
Durchgängige Automatisierung und effektive Kommunikation in einer gemeinsamen „Sprache“ sind aber nur zwei Kriterien für eine erfolgreiche digitale Transformation. Diese beruht zudem auch auf der Akzeptanz der Prozesse durch die Kunden und Sachbearbeiter, die mit den Abläufen leben müssen. Kunden wollen neu definierte, einfache, nachvollziehbare Prozesse mit schneller Rückmeldung. Gleich über welchen Kanal der Kunde mit dem Unternehmen interagiert, erwartet er dabei immer die gleiche Service-Qualität.
Die Mitarbeiter wiederum sollten mit den Prozessen gut arbeiten können. Sie müssen über alle relevanten Informationen verfügen, um die an den Kundenwünschen, aber auch an Unternehmensinteressen gemessenen richtigen Entscheidungen treffen zu können. Digitale Transformation definiert daher nicht nur Abläufe, sie präsentiert die richtigen Daten zur richtigen Zeit im jeweiligen Kontext.
Die Definition von Prozessen ist ein permanenter Prozess
Digitale Prozesse funktionieren dann reibungslos, wenn sie sich an den vorhandenen personellen oder technischen Unternehmensressourcen orientieren. Daher erkennen gut definierte und automatisierte Prozesse mögliche Engpässe und verteilen die verfügbaren Ressourcen bedarfsgerecht. Kognitive Technologien aus dem Bereich des Machine Learning ermöglichen zum Beispiel die Analyse von Anfragen an das Service Desk und eignen sich für eine effiziente Steuerung von Prozessen der Kundeninteraktion.
Nicht zuletzt muss Digitalisierung schnell vonstattengehen und sich flexibel an wachsende Anforderungen anpassen. Plattformlösungen zur digitalen Transformation ermöglichen die einfache Festlegung von Prozessen, deren Test im Alltag, die schnelle Änderung und im schlimmsten Fall auch das rasche Verwerfen von Prozessen. Digitale Transformation erfolgt nicht unbedingt durch den großen strategischen Plan von oben, der – wenn er dann endlich verwirklicht wurde – in aller Regel schon wieder überholt ist, weil sich die Marktbedingungen geändert haben. Häufig startet sie im Kleinen, um schrittweise das Unternehmen immer weiter zu digitalisieren.
Digitale Transformation darf und muss also keine Vision sein. Sie ist vor allem die an der Praxis orientierte Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen. Sie funktioniert daher am besten, wenn alle Beteiligten miteinander die Ziele konkret – im Kleinen und Bottom-up – definieren. Agile Technologien zur Low-Code-Definition von Abläufen ermöglichen die Interaktion aller Beteiligten. So entstehen effektiv und schnell optimale, bedarfsgerechte Prozesse – die nicht nur funktionieren, sondern auch Mehrwert generieren.
Über 500 Unternehmen weltweit nutzen Bizagi zur Modellierung und Automatisierung ihrer Geschäftsprozesse. Sie verbessern so ihre operative Effizienz, beschleunigen die Markteinführung ihrer Dienstleistungen und Produkte und erhöhen die Agilität ihrer Geschäftsmodelle sowie ihres Unternehmens.
[1]
http://go.bizagi.co/EMEA_DACH_2016_Q2_AgilityTrap_LPAG_01_Registration.html