Deutschland und KI: Wo spielt die Musik?
„Weniger reden. Mehr machen.“
Petra Spitzfaden, Kommunikations-Profi und leidenschaftliche Autorin für IT und Nachhaltigkeit, befragt für uns regelmäßig bekannte Persönlichkeiten zu Themen des Digital Business, die uns aktuell bewegen.
Für diese Ausgabe sprach sie mit:
Sirko Pelzl, CEO des Start-ups apoQlar, wie KI-freundlich er den Standort Deutschland erlebt, was sich hinter Holomedizin verbirgt und wie weit wir noch vom Holodeck à la Star Trek entfernt sind.
Viele der weltweit anerkannten Innovationsschmieden für Technologien der Künstlichen Intelligenz kommen aus Deutschland. In einer Studie zählte das Bundeswirtschafts-ministerium im Jahr 2021 über 6.000 aktive KI-Start-ups [1]. Was aber nicht automatisch bedeutet, dass die hier gegründeten Unternehmen auch kommerziell weltweit die erste Geige spielen. Denn mit technisch-wissenschaftlichem Know-how allein ist es im globalen Business nicht getan. Wer auf internationalem Parkett Erfolge feiern will, braucht noch ganz andere Qualitäten.
Herr Pelzl, Sie haben vor fünf Jahren gegründet. Wie erleben Sie die Start-up-Szene in Deutschland?
Es kommt darauf an. Was unsere Fachgebiete Mixed Reality und Künstliche Intelligenz angeht, ist Deutschland sehr stark. Es wird viel entwickelt und geforscht, wir arbeiten hier intensiv auch an Projekten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit. Technologische Lösungen ‚Made in Germany‘ genießen international hohes Ansehen. Wenn es dagegen um Cloud-Infrastrukturen geht, dann dominieren die großen Plattformanbieter aus den USA und man sollte nicht mehr versuchen, diese nachzubauen. Für uns und den Kunden ist es wichtiger, die medizinischen Anwendungsfälle zu erstellen und diese Herausforderungen zu lösen, um das Arbeiten zu vereinfachen oder zu verbessern.
Wo sehen Sie Schwächen? Was müsste Ihrer Meinung nach noch besser werden?
Eine Stärke Deutschlands sind sicherlich die Ingenieurwissenschaften, manchmal jedoch mit etwas zu viel Liebe fürs Detail. Es wird sehr lange über das Klein-Klein diskutiert, bevor überhaupt das erste Produkt auf den Markt kommt. In den USA ist das anders. Dort geht es darum, möglichst schnell etwas im Einsatz zu testen. Wird das gut angenommen, wird weiterentwickelt.
In puncto Vermarktung dürfen wir uns also noch etwas von anderen Ländern abgucken. Ich sage immer: Wir brauchen deutsches Ingenieurwissen und amerikanisches Marketing. Wobei es dabei nicht nur um das „Wie“, sondern auch das „Wie schnell“ geht. Es ist großartig, dass es in Deutschland viele Fördermittel für Forschung und Entwicklung gibt, sie müssen aber auch in entsprechender Höhe und Geschwindigkeit wie im Ausland bewilligt werden. Nur so können deutsche Lösungen am Weltmarkt ihre Wettbewerbsvorteile auch ausspielen.
“Am Ende zählt nicht die technologische Raffinesse, sondern auch wie schnell man in den jeweiligen Markt kommt.”
Wie sah denn die Förderung in Ihrem Fall konkret aus?
Ich hatte das Glück, dass ich 2019, zwei Jahre nach der Gründung von apoQlar, bei einer Vortragsveranstaltung Claus Karthe von German Accelerator traf. Damals waren wir gerade dabei, uns zu überlegen, ob und wie der Weg ins Ausland aussehen könnte. Dieses vom Bundeswirtschaftsministerium finanzierte Förderprogramm aus Workshops, Arbeit mit handverlesenen Mentoren und Experten im jeweiligen Zielland fand ich sofort spannend.
Um den asiatischen Markt für uns auszuloten, sind wir dann relativ zeitnah mit dem Programm von German Accelerator in Singapur gestartet. Was sich dort vor Ort sehr schnell gezeigt hat: Den Markteintritt in Asien zu schaffen ist fast noch schwieriger als in Europa. Das liegt einerseits an kulturellen Aspekten. Es ging aber auch um sehr spezifische Fragen wie die Zertifizierung von Medizinprodukten – da ist jedes Land unterschiedlich. Inzwischen arbeiten wir in Singapur nach ersten Projekten auch an einer wichtigen 5G-Krankenhausimplementierung mit. Zusätzlich haben wir das Accelerator-Programm für die USA absolviert – und dort im Anschluss ebenfalls eine Niederlassung in Miami gegründet.
German Accelerator ist mit Sicherheit das beste internationale Accelerator-Programm, das ich kennengelernt habe. Anders hätten wir es nie geschafft, in der Kürze der Zeit zwei Auslandsstandorte erfolgreich aufzusetzen. Denn am Ende zählt nicht die technologische Raffinesse, sondern auch wie schnell man in den jeweiligen Markt kommt.
Wie sehen denn die Use Cases in Ihrem Bereich, der Medizin, aus?
Hier tut sich schon sehr viel, nehmen Sie allein die OP-Planung. Aus MRT- und CT-Scans sowie Ultraschall-, Mikroskop- und Endoskop-Aufnahmen entstehen dreidimensionale Hologramme. Wir nennen das Holomedizin. Setzt der Arzt dann eine 3D-Brille auf, sieht er oder sie nicht nur das 3D-Modell, sondern kann auch andere Chirurgen virtuell zur gemeinsamen Planung dazuholen. Im Vorgespräch mit den Patienten lässt sich so auch viel anschaulicher erklären, was bei einer Operation gemacht wird und warum. Für die OP-Vorbereitung muss sich der Mediziner die Befunde nicht mehr vorher einprägen oder auf einen Monitor schauen. Mit Mixed Reality projiziert er sich CT-Aufnahmen direkt in seine Sicht, wobei die reale Umgebung vollständig sichtbar bleibt. Klingt futuristisch, ist aber heute schon Realität. So hat er immer beide Hände frei und bleibt steril. Hinzu kommt die Ausbildung angehender Fachärzte. Sie verstehen im 3D-Modell Zusammenhänge viel besser und können auch virtuell üben.
Und wie kommt hier Künstliche Intelligenz zum Einsatz?
KI spielt in der Medizin eine große Rolle. Sie kann Bilddaten und Pathologien segmentieren, aber auch in Zukunft bei der Navigation unterstützen. Segmentierungen und die Darstellung in 3D sind wichtig. Wir wissen von Fällen, wo Tumorpatienten auf der Grundlage herkömmlicher bildgebender Verfahren als inoperabel galten. Die dreidimensionale Analyse der radiologischen Bilder, unterstützt von manueller oder KI-Segmentierung, zeigte dann doch noch einen möglichen Weg, den Patienten erfolgreich zu operieren.
Ist das nicht alles sehr zeit- und personalintensiv? Es herrscht doch sowieso schon ein Ärztemangel.
Ganz im Gegenteil. Ein Krankenhaus kann innerhalb von nur einer Woche mit unserer Lösung starten, das Training für einen Arzt dauert nicht länger als zwei bis drei Stunden. Die neuen, virtuellen Wege der Zusammenarbeit bieten zudem gerade für die medizinische Versorgung im ländlichen Raum, wo Fachkräfte besonders knapp sind, neue Chancen. Eine kleinere Klinik kann so bei komplexen Planungen schnell einen Experten aus einer anderen Klinik virtuell dazuholen. Dieser steht dann gefühlt neben dem Chirurgen, und sie können gemeinsam den Eingriff planen und besprechen. Ziel ist, dass sich durch die neuen Technologien die Patientensicherheit erhöht.
Wo sehen Sie aktuell noch Hürden und Grenzen?
Natürlich kann der zugeschaltete Experte nicht selbst eingreifen und Hand anlegen. Auch die Abrechenbarkeit neuer Technologien ist nicht immer einfach. Das führt dann dazu, dass deutsche Krankenhäuser vielleicht zunächst nur eine Handvoll Brillen bestellen, während asiatische Kliniken bereits im ersten Schritt einige Dutzend oder mehr ordern. Die asiatischen Kunden sind einfach schneller, wenn es darum geht, Neues in der Breite zu testen und zu implementieren. In der Vergangenheit war manchmal auch die Hardware, also die Brillen, der limitierende Faktor. Aber auch sie werden immer besser, sprich schneller und robuster. Davon profitiert übrigens nicht nur der Medizinbereich, sondern auch die Industrie.
Technisch gibt es heute so gut wie keine Hürden mehr. Verbesserungspotenzial bezüglich des Standortes sehe ich allerdings noch bei der Schulbildung. Verglichen mit anderen Ländern fördern wir offenes, unsystematisches und experimentierfreudiges Denken zu wenig. So haben Studien gezeigt: Auf die Frage, was man alles mit einer Büroklammer machen könnte, haben kleine Kinder zig Ideen. Ältere Schüler und Schulabgänger machen hier lediglich zehn bis 15 Vorschläge. Unser Bildungssystem müsste dieses divergente Out-of-the-Box-Denken stärker fördern. Wer heute bestehen will, braucht mehr als nur viel Fachwissen und Fleiß, er braucht sehr viel Kreativität.
Wie weit sind wir denn von einem Holodeck à la Star Trek noch entfernt?
Mixed Reality kommt heute schon in vielen Bereichen zum Einsatz – etwa in der Architektur, im Automobil- oder Flugzeugbau. Weil die Brillen allerdings noch recht teuer sind, finden sich Anwendungen eher im professionellen als im privaten Umfeld. Zum Holodeck der Science-Fiction-Filme und -Serien fehlt uns aber noch einiges. Die Leinwandhelden brauchen natürlich keine Brillen mehr und auch das sensorische Erleben ist ein anderes. Aber was die visuellen Möglichkeiten angeht, sind wir bereits sehr weit.
Herr Pelzl, haben Sie vielen Dank für dieses Interview.
Das Hamburger Unternehmen apoQlar GmbH steht für medizinischen Fortschritt und ist weltweit Vorreiter für Holomedizin. Alle Anwendungsfälle werden in enger Kooperation mit Forschungsinstituten, Kliniken, Krankenhäusern und Ärzten herausgearbeitet und umgesetzt. Dabei legt apoQlar sehr großen Wert auf Sicherheit, Benutzerfreundlichkeit und medizinischen Mehrwert. Durch die Anwendungen der apoQlar GmbH erschließen sich neue medizinische Fähigkeiten mit der innovativsten 3D-Holomedizin-Technologie, die folgende Prozesse abdeckt: OP-Planung, Patientenaufklärung, 3D-Telemedizin, Dokumentation und Ausbildung.