Frank Zscheile, freier IT-Journalist, für PROCAD GmbH & Co
Diese Zahlen lassen aufhorchen: 85 Prozent der Entwickler in der mechatronischen Produktion mangelt es an einer gemeinsamen und abteilungsübergreifenden Datenbasis für die Produktdaten und -dokumente aus CAD-Systemen und Softwareentwicklung [1]. Der Grund liegt nicht selten darin, dass in den hochkomplexen Umgebungen des Maschinen- und Anlagenbaus, der Chemie- oder Energieversorgerbranche herkömmliche Dokumentenmanagement-Systeme an ihre Grenzen stoßen, da eine Dokumentenverwaltung in diesen Branchen zusätzliche Anforderungen erfüllen muss.
Für die Kategorisierung dieses DMS-Segmentes wird der Begriff „DMStec“ verwendet. Dabei geht es um zwei zentrale Aspekte: die Ablage von Dokumenten und Daten in die Strukturen, die eine Anlage oder ein Projekt repräsentieren (Bild 1) sowie, darauf aufbauend, eine Unterstützung im Prozess- und Projektmanagement. Hier gilt es, für solche Anlagen und Maschinen eine transparente Dokumentenlenkung zu realisieren, die erfahrungsgemäß eng mit diesen Strukturen verbunden ist. Zwar existieren seit langem verschiedenste Softwarelösungen für das Daten- und Dokumentenmanagement: PDM-Systeme in der Produktentwicklung, ERP/SCM-Suiten für Herstell- und Logistikprozesse, CRM-Lösungen als Verbindung zum Kunden und DMS für das Management von kaufmännischen Dokumenten. Das grundsätzliche Problem dabei: Innerhalb aller Kernanwendungen entstehen Dokumente, die bislang getrennt verwaltet werden. Dies erschwert eine abteilungsübergreifende, durchgängige Arbeit mit produktrelevanten Daten und Dokumenten – aber genau dies ist die Grundlage für durchgängige Prozesse und ein unternehmensweites Product- and Document Lifecycle Management.
Bild 1: Maschinenstruktur mit Dokumenten (Quelle: PROCAD)
Einheitliches Product Data Backbone
Technisch geprägte Unternehmen mit komplexen Produkten benötigen ein einheitliches Product Data Backbone, das sowohl DMS als auch PDM auf einer Datenbasis abdeckt. Einen solchen Ansatz hat der Anbieter PROCAD mit seinem System PRO.FILE entwickelt: ein PDM- und DMStec-System, das die Anforderungen an ein Product Data Backbone erfüllt und den Ausbau zu PLM ermöglicht: Produktinformationen können damit entsprechend des Produktaufbaus strukturiert werden, eine sachgerechte Dokumentenlenkung für die typischen Arbeitsabläufe lässt sich abbilden (Bild 2).
Die Strukturinformationen zu einem Bauteil entstehen traditionellerweise in der Entwicklung und werden in der Fertigung und im Vertrieb verwendet. CAD-, PDM-, ERP- und CRM-Systeme arbeiten aber in den seltensten Fällen in durchgängig gemanagten Strukturen. Betrachtet man darüber hinaus die Ablage in klassischen File-Systemen wie der Windows Explorer-Struktur und die damit verbundene Menge an unstrukturierten Daten, wird schnell klar: Versionen, Freigaben und Kollaboration lassen sich auf dieser Basis nicht ausreichend lenken. Denn klassische Ordnerstrukturen sind nicht geeignet, um ein strukturiertes Product Data Backbone bereitzustellen. Ist zum Beispiel eine Pumpe in einer Anlage an zwei oder mehr verschiedenen Stellen verbaut, liegt die Spezifikation an verschiedenen Stellen innerhalb der Ordnerstruktur des Filesystems. Ändert sie sich, muss dies an allen Stellen synchronisiert werden. Und hierbei ist noch nicht berücksichtigt, dass die Spezifikation der Entwicklungsabteilung, der Fertigung, des Einkaufs und die Produktbeschreibung des Vertriebes in völlig unterschiedlichen Ordnerstrukturen oder gar Systemen abgelegt sind, obwohl sie sich mit ein und derselbe Pumpe beschäftigen.
Über die Ablage und Verschlagwortung klassischer DMS lässt sich eine Zusammengehörigkeit von Dokumenten zwar über gleiche Keywords herstellen. Der Zusammenhang ist über die „Tags“ eines Dokumentes aber nicht eindeutig herstellbar. Wirkliche Transparenz erhält man erst über die Struktur der Anlage, denn diese ist zunächst einmal unabhängig von einem Dokument. So wie die Patientenakte zum Patienten, gehören auch die technischen Dokumente zu der Baugruppe der Anlage oder Maschine.
Bild 2: Funktion eines einheitlichen Product Data Backbone (Quelle: PROCAD)
Dokumente ‒ aufgehängt in der Anlagenstruktur
DMStec verwaltet eine Produktstruktur, eine Anlage oder ein Infrastrukturobjekt deshalb in einer vom Dokument losgelösten Form. Strukturen werden etwa durch die technische Ausprägung der Anlage/des Produktes oder den Aufstellort gebildet und es kann sie mehrfach und unabhängig voneinander geben. Gebildet wird die Struktur über Verknüpfungen. Die Strukturen bilden also den Zusammenhang ab und die Dokumente und Daten werden darin abgelegt bzw. eingehängt. Wenn ein Objekt wie die genannte Pumpe mehrfach vorhanden ist, liegen in der Struktur selbstverständlich keine Kopien, sondern immer nur die Referenzen auf die originären Dokumente bzw. Daten. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass dieselbe Information nur einmal vorhanden ist und bearbeitet wird. Für die Pumpe im Kühlsystem kann es zum Beispiel noch Informationen aus dem Lebenszyklus der Anlage geben, die für die Pumpe im Speisewassersystem nicht zutreffen (siehe Bild 1).
Damit wird ein Schritt vollzogen: weg von der Filesystem-orientierten Ordnerstruktur hin zu dynamischen Sichten auf eine gemeinsame Datenbasis. Jedes Dokument wird im System nur einmal mit bestimmten Informationen hinterlegt und in Strukturen mit einem logischen Zusammenhang verknüpft. Unabhängig davon wird nun eine Ordnerstruktur als dynamische Sicht darauf aufgebaut. Das Dokument liegt also nicht in einem festgelegten Ordner, sondern die Ordnerstruktur ist nur eine Sicht auf das Dokument.
Dynamische Sichten für einzelne Abteilungen
Möglich wird mit diesem Ansatz, dass beispielsweise die Konstruktionsabteilung ihre Sicht auf Zeichnungen und CAD-Modelle eines Bauteils anders gestaltet als die Produktion, die sich für Montage- und Fertigungsberichte interessiert. Der Service benötigt dagegen alle zur Anlage gehörenden Schadensberichte einschließlich der Information, welche Pumpe beschädigt war. Weil aber jedes Dokument nur einmal im DMStec abgelegt wird, greift jeder stets auf die richtigen und aktuellen Dokumentversionen zu.
Product Data Backbone als Basis für Dokumentenlenkung
Der Product Data Backbone ist die informationstechnische Grundlage, um solche Strukturen aufzubauen, die in der Praxis als Projekt-, Maschinen- oder auch Lebenslaufakten bekannt sind. In der Praxis werden alle im Lebenslauf entstehenden Dokumente vom Pflichtenheft und dem CAD Modell in der Entwicklung über Schaltpläne und Stücklisten in der Produktion bis zu Angeboten, Bestellungen und Auftragsbestätigungen an den technischen Strukturen z.B. einer Anlage, einer Maschine oder eines Aufstellortes der Infrastruktur abgelegt bzw. zugeordnet. In dieser DMStec-Struktur arbeiten die verschiedenen Abteilungen von der Entwicklung bis zum Service mit verschiedenen Sichten auf das Gleiche. So können alle Produktdaten und Dokumente auf Basis eines Product Data Backbone abteilungsübergreifend bearbeitet werden: CAD-Modelle, Zeichnungen, Konstruktionsstücklisten der Mechanischen Entwicklung, Schaltpläne, Stücklisten, externe Datenblätter der Elektro-Konstruktion (,Pflichtenhefte, Kundenzeichnungen, E-Mail-Verkehr, Fertigungsdatenblätter der Projektierung , und Abnahmeprotokolle der Qualitätssicherung. Nach Auslieferung kommen noch Unterlagen aus dem Service (Serviceberichte) hinzu. Das bedeutet durchgängige Dokumentenlenkung.
Dokumentenlenkung bedeutet in diesem Zusammenhang das Steuern von Dokumentenänderungen und -flüssen. Nach DIN 9001 versteht man darunter die Zuordnung von Dokumenten zu Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Diese muss auf Strukturen basieren, die unabhängig vom Dokument „leben“, und genau diese Dokumentenlenkung ist Teil des nächsten Evolutionsschrittes in Richtung Product Lifecycle Management (PLM).
Bild 3: (falls noch Platz)
Realisierung von Product Lifecycle Management im Maschinen- und Anlagenbau (Quelle: PROCAD)
Fazit
Die komplexen Strukturen im Maschinen- und Anlagenbau, bei Infrastruktur- oder Chemieunternehmen lassen sich mit herkömmlichen DMS nur schlecht abbilden. DMStec beschreibt die spezielle Ausprägung eines DMS, das die Abbildung solcher Strukturen erlaubt und sowohl als PDM-System wie auch als DMS eingesetzt werden kann. Dies ermöglicht die Bereitstellung eines durchgängigen Product Data Backbones, das wiederum die Basis für die Abbildung von PLM-Prozessen darstellt. Unternehmen der betreffenden Zielgruppen müssen sich bei der Einführung von DMS- oder PDM-Systemen über diese Zusammenhänge im Klaren sein.
Quellenangabe
[1] VDMA-Umfrage: VDMA Engineering Schnittstellen im Maschinenbau 2012
Frank Zscheile, freier IT-Journalist, München. Die PROCAD GmbH & Co. KG mit Hauptsitz in Karlsruhe ist Spezialist für Lösungen im PLM, PDM und DMS und beschäftigt mehr als 120 Mitarbeiter/innen. Das Produktportfolio umfasst die PDM-/DMS-Lösung PRO.FILE zur Verwaltung aller Daten und Dokumente im Produktlebenszyklus, PRO.CEED zur Lenkung und Automatisierung durchgängiger PLM-Prozesse sowie die Dokumentenaustauschplattform PROOM.