Über mitdenkende Künstliche Intelligenz und warum der Heilige Gral erfolgreicher Medienproduzenten in der bereichsübergreifenden Verknüpfung und Steuerung aller relevanten Daten in einer zentralen Plattform für Datenmanagement und -analyse zu finden ist.
Text: Dr. Heiko Beier, Professor für Medienkommunikation und Gründer des Unternehmens MORESOPHY GmbH
Egal ob wir es gutheißen oder nicht. Die großen Hyperscaler setzen die Standards im Hinblick auf Nutzererlebnis und Qualität im Bereich digitaler Medien. Und prägen somit die Erwartungshaltung von uns allen. Reichweite und individualisierte Services gehen Hand in Hand und binden Milliarden von Nutzern. Geradezu ohnmächtig ob dieser Allmacht treibt es in dem Kampf nach Aufmerksamkeit auch die Produzenten digitaler Informationen, Medienschaffende aller Art ebenso wie Marketer und PR-Profis in die Netzwerke. Und das ungeachtet teils ethisch fragwürdiger Praktiken, die Hassrede fördern und Datenschutz hintenanstellen.
Der nachhaltige Erfolg dieser Plattformen ist vor allem dem konsequenten, zielgerichteten Einsatz intelligenter Algorithmen zu verdanken. Sie filtrieren die von Dritten kostspielig produzierten Inhalte und integrieren sie perfekt in unseren Alltag. Google und Facebook sind Protagonisten der Shareeconomy und somit auch Nutznießer der Kostenloskultur im WWW.
Für Produzenten digitaler Inhalte – „Content Creators“ – braucht es daher andere, eigenständige Strategien, um diesem Wettbewerb zu entkommen und Zielgruppen erfolgreich an eigene Angebote zu binden. Letztlich bleiben sie – und eben nicht die Plattformen – verantwortlich für die Qualität von Inhalten. Wie kann dies nachhaltig gewinnbringend erfolgen, ohne Click-Bait und ständigem Clinch zwischen Datenschützern, Rechtsabteilungen und Politik?
Künstliche Intelligenz, na klar! Aber wie?
Die prinzipielle Antwort ist offensichtlich: Ohne Automatisierung kann der Spagat aus Wirtschaftlichkeit und immer höheren Ansprüchen der Zielgruppen nicht gelingen. Künstliche Intelligenz (KI) lautet das Zauberwort. Doch auch die wichtigsten Innovationen im Bereich der KI stammen überwiegend aus den Händen der Quasi-Monopolisten. Zudem ist zu bedenken: KI auf Basis des Maschinellen Lernens ist weiterhin eine Technologie, die zur Lösung spezifischer Probleme optimiert ist und damit zunächst natürlich perfekt die Geschäftsmodelle der Plattformen unterstützt. Mit BERT und dem nun angekündigten Nachfolge-Modell „Mum“ ist Google in der Lage, selbst komplexe Fragen zu beantworten [1].
So gewaltig die Fortschritte auch sind, die Algorithmen leisten stets nur das gut, wozu sie entwickelt wurden. Selbst Modell GPT-3, das als eines der umfassendsten geltende, ist zwar in der Lage, Texte fehlerfrei zu produzieren – von Syntax, Zeichensetzung bis hin zur Formatierung. Die Ergebnisse sind jenseits einfacher Fakten aber weiterhin fern jeglicher Realität und für ernsthafte Redaktionskonzepte keine Alternative [2].
Zuerst die Datenstrategie …
Vor diesem Hintergrund stehen Medienhäuser wie Brand-Promotor vor der Frage, wie sie Künstliche Intelligenz erfolgreich nutzen. Dazu bedarf es einer durchdachten Datenstrategie, die auf drei Säulen ruht:
- Design der KI
Wie stets gilt die Devise „Design follows Function“: die Intelligenz sollte darauf optimiert sein, die Wertschöpfung von Content-Produzenten zu optimieren. Die Anforderungen unterscheiden sich deutlich von denen der Such- und Social Media-Plattformen. - Wirtschaftliche Steuerung
Die Messung von Verlässlichkeit und Business-Impact der KI sollte systematisch in den Betrieb integriert sein. - Governance
Einsatz von KI unterliegt grundlegenden Vorgaben der Corporate Governance. Zudem sind externe Regularien zu berücksichtigen wie Datenschutz (Privacy), Datensicherheit und für Medienproduzenten zusätzlich ein journalistischer Codex.
Die Rahmenbedingungen für den KI-Einsatz sind mit diesen drei Parametern formuliert.
… und dann der Algorithmus
Wie sollte nun eine KI für Medienproduzenten designet sein? Google, Facebook und andere skalierende Social Media Plattformen sind keine Content-Creators. Die von Ihnen entwickelten Algorithmen skalieren in der Breite und sind darauf ausgelegt in einem Raum nahezu unendlicher vieler Möglichkeiten das jeweils Beste herauszufischen. Die Anforderungen für die Content-Produktion sind aber ganz andere. Und Redaktionen verfügen über weitaus weniger Daten. Es geht um konstruktives Gestalten und die Optimierung digitaler Kommunikation. Dafür benötigt es eine kontext-sensitive, idealerweise zielgruppen-spezifisch mitdenkende KI.
Eine zentrale Rolle spielen dabei nicht nur „klassische“ digitale Daten wie z.B. Logs, Page-Clicks, IP-Adressen oder andere Daten, mit denen sich das Verhalten von Usern profilieren lässt, sondern im Fokus der Strategie sollten Daten über den Content selbst stehen. Content ist das zentrale Produkt und die KI unterstützt idealerweise den vollständigen Prozess: von der Analyse von Zielgruppeninteressen, über Kreation und Produktion relevanter Inhalte bis hin zu nachgelagerten Aufgaben der Betreuung und Bindung einmal gewonnener Nutzer.
Content – fokussiert auf Themen- und Zielgruppen-interessen
Bedarfsgerechte KI für die Content-Produktion benötigt Modelle, welche die Sprache verschiedener Märkte und Zielgruppen gelernt haben und Content-Creators darin unterstützen, ihre digitalen Angebote auf die Bedürfnisse und Sprache ihrer Zielgruppen auszurichten. Die KI hilft somit Themen zu verstehen und voneinander abzugrenzen. Ein Automobil-Blog kann sich in seinen Beiträgen vielfältig mit dem Spezialthema der Lackierung beschäftigen. Aufbau und Funktion von Lacken ist aber ein ganz anderes Thema als z.B. die versicherungstechnische Perspektive bei Schäden nach einem Unfall. Ganz abgesehen von dem Verwendungszusammenhang in der Welt der Popkultur (siehe Bild 1).

Die KI bringt Kontextwissen in den Redaktionsprozess, welches aus großen Mengen von Inhalten kontinuierlich abgeleitet wird. Und befreit Redakteure davon, sich in Sprache und Details jedes möglichen Themas in der Tiefe einarbeiten zu müssen. Zudem lassen sich über diesen Ansatz auch existierende Inhalte systematisch mehrfach verwerten, indem sie auf die Sprache neuer Zielgruppen angepasst werden. Derartig optimierte Inhalte sind nicht nur für die Zielgruppen interessanter, sondern werden auch nachweislich besser in den Suchmaschinen gerankt.
“Spannend wird es nun, wenn intelligent aufbereitete Daten, die Wissen über die Inhalte abbilden, mit Daten über Leserverhalten kombiniert werden. “
Ebenso lassen sich Zielgruppen nicht nur Verhaltens-, sondern auch Interessen-basiert über solche Formen der KI systematisch analysieren. Am weitesten fortgeschritten sind Lösungen dieser Art im Bereich der Werbeindustrie, die zunehmend nicht nur aus Gründen des Datenschutzes die Vorteile kontextuell ausgespielter Kampagnen nutzt. Der Prozess sieht wie folgt aus: Basierend auf einem feingranularen Kontextverständnis schlägt die KI für eine Werbekampagne automatisiert interessenbasierte Persona-Segmente vor. Zum Beispiel fokussiert die KI für eine Kampagne eines Luxus-Haarpflegemittels alternativ die Zielgruppen Beauty Queens, Party- und Festivalgänger sowie Hoffnungslose Romantiker. Die KI ermittelt nicht nur die am besten geeigneten Werbeplätze im Medieninventar, sondern liefert nachgelagert sogar Einsichten, wie die Zielgruppenansprache für das beworbene Produkt optimiert werden kann.
Von dezentraler zu einer prozess-übergreifenden Intelligenz: Die Datenleitzentrale
Ein automatisiertes kontext-bezogenes Verständnis von Inhalten ist der Erfolgsfaktor für die bedarfsoptimierte Produktion hochwertiger Inhalte. Für den nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg liegt der Schlüssel in der Verzahnung dieser Daten mit vielen anderen Daten. Moderne Datenmanagement-Plattformen sind mittlerweile in der Lage, Daten beliebigen Formats und unterschiedlicher Herkunft bedarfsgerecht miteinander zu verbinden.
Spannend wird es nun, wenn intelligent aufbereitete Daten, die Wissen über die Inhalte abbilden, mit Daten über Leserverhalten kombiniert werden. So können Nachfrage und Akzeptanz für Angebote bei verschiedenen Zielgruppen nicht nur quantitativ (Clicks und Click-Throughs) bemessen, sondern auch das „Warum“ analysiert werden. Diese Auswertungen können agil in Redaktionskonzepte und Themenpläne integriert werden.
Die Customer Journey beginnt weit außerhalb der Reichweite von Owned Media. So ist es möglich, das eigene Medieninventar qualitativ mit dem externen Angebot von Mitbewerbern zu vergleichen. Eigene Stärken können auf diese Weise gezielt ausgebaut oder auch Synergien in Kooperationen mit anderen Anbietern gefunden werden.
Kontinuierliche KI-Analyse verhilft zur Content-Strategie
Eine systematische Analyse der Zielgruppen wie Ihrer Interessen ermöglicht zudem eine zielgerichtete Content-Strategie. Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie ein automatisiertes Verständnis von Inhalten einen Business-Wert durch die gesamte Wertschöpfungskette von Content-Produzenten schafft.
Dabei ist es entscheidend, nicht isoliert in verschiedenen Abteilungen wie Redaktion, Produktmanagement oder Controlling zu planen und zu handeln, sondern eine bereichsübergreifende Datenstrategie zu entwickeln. Eine in das CRM-System integrierte KI kann helfen, Kündigungsverhalten zu verstehen. Aber sie weiß nicht, welche Auswirkungen Veränderungen in der Abonnentenstruktur auf die Redaktionskonzepte haben sollten. Dies erfordert eine intelligente Verknüpfung von Daten aus dem CRM mit smarten Meta-Daten über die eigenen Inhalte. Genauso ist es zielführend, Redaktions- und Vermarktungsperspektive miteinander zu verzahnen. Wer den Bedarf auf Seiten der Werbewirtschaft laufend analysiert, kann sein Medieninventar kontinuierlich daraufhin ausrichten.
Résumé
Der Heilige Gral erfolgreicher Medienproduzenten liegt in der bereichsübergreifenden Verknüpfung und Steuerung aller relevanten Daten in einer zentralen Plattform für Datenmanagement und -analyse (siehe Bild 2). Was sehr ehrgeizig klingt, ist dank fortgeschrittener Lösungen Schritt für Schritt einfach umsetzbar und zudem so, dass sich schnell Erfolge in einzelnen Bereichen erzielen lassen und dann in der Verbindung miteinander potenzieren.

Das Digital-Entwicklungsland Deutschland kann hier wieder einmal lernen vom Vorbild Automobilität. Deren Nutzen wird schon lange über Verkehrsleitzentralen gesteuert. Auf unzähligen Monitoren werden lokal an verschiedenen Punkten Daten erhoben und in Echtzeit ausgewertet. Schadstoffausstoß und Verkehrsfluss – als wichtigste Key Performance Indikatoren (KPI) – werden einzeln und auch in ihrer Abhängigkeit analysiert und optimiert. Die Leitfunktion der Zentrale liegt jedoch in der Verknüpfung sämtlicher Datenpunkte und lokal gemessener KPIs zu einem übergreifenden Lagebild. Dort kann der „Gesundheitszustand“ des gesamten Verkehrssystems diagnostiziert und sogar seine Entwicklung vorausgesagt werden.
Übertragen auf die Performance und Effektivität eigener Web-Portale bedeutet dies: lokale KPIs wie Content-Qualität, Traffic-Entwicklung, TKPs für Inventar bis hin zu betriebswirtschaftlichen Kennzahlen wie Subscription Revenue oder Kosten pro Artikel lassen sich kombinieren. So erhält nicht nur jeder Bereich Analysewerkzeuge und Optimierungsservices an die Hand. Sondern auch das TOP-Management erhält ein verdichtetes, jederzeit aktuelles Lagebild. Und die Organisation als Ganzes hat alle Stellhebel in der Hand, um Content-Produktion nachhaltig erfolgreich zu machen.
Lesen Sie gleich weiter – hier mehr von Dr. Heiko Beier im DOK./DIGITUS – Es lohnt sich:
Die kognitive Business-Revolution: Mensch und Maschine vereint. Friedlich.
www.moresophy.com moresophy ist führender Anbieter von Softwarelösungen für hochwertige, relevante Daten mit Aussagekraft und Struktur. In ihrer Softwareplattform CONTEXTSUITE kombiniert moresophy Künstliche Intelligenz, Machine Learning und ausgefeilte Semantik für Suche, Matching, Strukturierung und Auswertung von Daten und Content aller Art. Mit 20 Jahren an Erfahrung im Einsatz kognitiver Technologien begleitet MORESOPHY Konzerne und Marktführer aller Branchen erfolgreich bei der Automatisierung und Wertoptimierung digitaler Geschäftsmodelle und -prozesse.
Referenzen
[1] Google Search On: Mum kommt schneller als gedacht, T3N, Berlin, https://t3n.de/news/google-search-on-mum-1411297/.
[2 GPT-3, Bloviator: OpenAI’s language generator has no idea what it’s talking about, Technology Review, Harvard, https://www.technologyreview.com/2020/08/22/1007539/gpt3-openai-language-generator-artificial-intelligence-ai-opinion/