Autorin – Dr.-Ing. Frauke Weichhardt, Geschäftsführerin Semtation GmbH
Die Abbildung und Verwaltung von Geschäftsprozessen gehört inzwischen zu den etablierten Instrumenten der Gestaltung von organisatorischen Abläufen und deren technischer Unterstützung. Wurden früher Prozesse vor allem mit Blick auf die Gestaltung und Optimierung organisatorischer Abläufe modelliert, sehen wir heute zunehmend neue Nutzungsmuster und Anforderungen für die semantische Modellierung von Prozessen, Informationen und Wissensstrukturen. Vor diesem Hintergrund erläutert dieser Artikel die Besonderheiten der semantischen Modellierung und ihr zusätzliches Nutzenpotential.
Evolution der Prozessmodellierung
Prozessmodellierung ist keine neue Disziplin, sondern kann auf eine lange Historie zurückblicken und in verschiedene Bewusstseinsstufen gegliedert werden. In der ersten Stufe dienen einfache, wenig formale Formen der Prozessbeschreibung wie textuelle oder tabellarische Arbeitsanweisungen der Dokumentation von Vorgehensweisen. Einfache Schaubilder unterstützen in der nächsten Stufe vor allem bei der Darstellung und Optimierung von Abläufen. Es gibt aber noch keinerlei Prüfung der Syntax oder Konsistenz und keinen Brückenschlag über die einzelnen Modellgrenzen hinweg. Der Modellierer hat keinerlei Hilfestellung und kann dementsprechend sowohl formale als auch inhaltliche Fehler machen.
Die dritte Stufe enthält die eigentliche Modellierung. Es werden formale Regeln eingesetzt, die meistens durch Tools in Form von Notationen und Modellierungsmethoden bereitgestellt werden. Der Modellierer kann durch Syntaxprüfungen dazu gebracht werden, dass formale Anforderungen umgesetzt werden. Ebenso können auf dieser formalen Ebene Konsistenz-Checks gemacht werden. Wenn ein Prozess beispielsweise zwei Eingangselemente erwartet, muss der vorherige Prozess auch zwei Elemente bereitstellen. Damit wird angestrebt, dass nur syntaktisch korrekte Modelle veröffentlicht werden. Der Modellierer wird also dahingehend unterstützt, dass das, was er modelliert, im Sinne der Syntax korrekt ist. Inhaltlich kann nach wie vor kompletter Nonsens modelliert werden.
Kontrolliertes Vokabular verbindet Welten
Auf der in der technischen und methodischen Entwicklung derzeit aktuellen Stufe sehen wir zunehmend semantische Aspekte in die Modellierung Einzug halten. Dabei wird nicht nur auf die Syntax des Modells Wert gelegt, sondern auch auf die Bedeutung der einzelnen Modellbestandteile. Konkret ergeben sich daraus vier Anforderungen an die Modellierung.
• Für den Anwendungskontext wird eine definierte Anzahl an eindeutigen Begriffen vorgeschlagen. Gegebenenfalls werden Synonyme verwendet, die aber auch bekannt sind.
• Es gibt einen Katalog oder Lexikon dieser Begriffe, in dem bei Bedarf nachgeschlagen werden kann.
• Die Bedeutung der Begriffe ist einem Großteil der Nutzer bekannt.
• Es muss eine Instanz geben, die die Menge der Begriffe und ihre Verwendung koordiniert.
So entsteht ein sogenanntes Kontrolliertes Vokabular, das die Begrifflichkeiten eines Anwendungsgebietes umfasst und strukturiert. Die Größe des Anwendungsgebietes ist dabei variabel und kann sich auf einen Unternehmensteil, ein ganzes Unternehmen oder gar eine Branche beziehen.
Übertragen auf die Praxis der Prozessmodellierung bedeutet dies: Für ein Business-Objekt „Auftrag“ gibt es diese definierte Bezeichnung. Sofern notwendig, können Synonyme („Bestellung“) verwendet werden, müssen aber ebenfalls klar definiert sein. Auf ein Business-Objekt „Auftrag“ gibt es zwar verschiedene Sichten, aber das Objekt existiert nur einmal. Anstatt bei der Modellierung ständig neue Objekte anzulegen, wird aus einem Katalog an Business-Objekten ausgewählt und oder dieser Katalog koordiniert erweitert. Es gibt ein Team oder eine Person, die die Modellierung übergreifend betreut und für die Koordination und das Promoten der Objekte verantwortlich ist.
Modellierung steht im Zentrum des Informationsmanagements
Mit dem Einbezug der Bedeutung des Modellierten in den Erstellungsprozess wird versucht, den Modellierer auch bei der inhaltlichen Korrektheit der Modelle zu unterstützen, Doppeldeutigkeiten und Interpretationen zu vermeiden, Duplikate und Nebeneffekte auszuschließen und somit qualitativ zu einem besseren Modell zu kommen. Die Nutzung kontrollierter Vokabularien führt zu weniger „Durcheinander“ in der Modellierung, hebt so Prozessmodelle auf ein höheres Qualitätsniveau und erleichtert die Übersetzbarkeit und das Verständnis zwischen verschiedenen Teilen der Organisation. Die Vorteile der Wiederverwendbarkeit spiegeln sich in branchenspezifischen Vokabularien für bestimmte Domänen wieder, wie sie von Beratungshäusern aufgebaut werden.
Bild 1: Modellierung ist Bindeglied und Transformator zwischen den Grundelementen von Wissens- und Informationsmanagement
Mit der Aufwertung durch semantische Technologien rückt die Modellierung vollends in das Zentrum des modernen Wissens- und Informationsmanagements. Die Modellierung ist damit gleichzeitig Bindeglied und Transformator zwischen den vier Grundelementen von Wissens- und Informationsmanagement (siehe Bild 1) und erlaubt es, aus implizitem Wissen greifbare Datenstrukturen abzuleiten. Umgekehrt können durch die Modellierung schlichte Daten in den richtigen Kontext gesetzt werden und somit die Basis für neues Wissen bilden. Die Semantik liefert hier den notwendigen Kontext zur Interpretation der Daten. Prozesse werden durch die Modellierung genau beschrieben und sind so Anforderungsbeschreibungen an IT-Systeme, die die Umsetzung der Abläufe übernehmen. Damit erlaubt die Modellierung die Transformation zwischen Wissen, Daten, Prozessen und IT-Systemen.
Semantik bietet weitere Nutzungsmöglichkeiten
Wir können derzeit auf allen Ebenen die Auflösungen von getrennten, siloartigen Strukturen zugunsten von deutlich feingliedrigeren, netzartigen Strukturen beobachten: Auf der Ebene von Organisationseinheiten lösen sich starre Abteilungs- und Bereichsstrukturen zugunsten von flexiblen Projekt- oder Teamstrukturen auf. Auf der Ebene der Datenhaltung sehen wir, dass isolierte Repositories wie Datenbanken oder Dokumentmanagementsysteme von übergreifenden Ansätzen und Kommunikationsformen abgelöst werden. Bei der Ablage von Dokumenten werden hierarchische Baumstrukturen durch dynamische Sichten und Vernetzungen auf der Basis von Tagging und Verlinkung ersetzt. Auch auf der Ebene der Umsetzung von Prozessen als IT-Lösungen ist dieser Trend zu beobachten. Monolithische Anwendungen werden aufgeteilt in wiederverwendbare Services im Sinne einer service-orientierten Architektur. Durch die Verwendung von Cloud Services wird auch der räumliche Silo zugunsten eines Netzwerks an Standorten aufgegeben.
Alle diese Veränderungen – die durchaus gewollt und wünschenswert sind – haben eine wichtige Konsequenz: Sie erhöhen die Komplexität durch höhere Vernetzung und auch die Anzahl an Objekten steigt dramatisch an. Hier kann nun die semantische Modellierung eine weitere Nutzungsebene erschließen und so Komplexität und Menge beherrschbar machen. Aus dem semantischen Modell wird quasi ein Bauplan, eine Landkarte der abgebildeten Realität.
Bild 2: Semantik eröffnet eine zweite Ebene mit Zusatznutzen wie Suche, Navigation und Reporting
Ohne Frage erhöht semantische Modellierung die Transparenz und das Verständnis komplexer Strukturen und Vorgänge (siehe Bild 2). Das semantische Modell kann zudem auch zur Navigation genutzt werden. Da ein gutes Modell Prozesse, Strukturen, IT-Systeme und Dokumentation im Zusammenhang darstellt, kann ein Nutzer schnell über das Modell zu den betroffenen Aspekten navigieren. Fragen wie beispielsweise, welche Business-Objekte von einer geplanten Prozessänderung betroffen sind oder wo „Aufträge“ verwendet werden, lassen Nebeneffekte und Abhängigkeiten schnell sichtbar werden. Neben Abfragen zur Struktur können – wenn Leistungskennzahlen aus der Prozessausführung in das Modell ergänzt werden – auch Reports und Vergleiche über die Prozessperformance gezogen werden. Damit erzeugt das semantische Modell eine noch bessere Basis zur Optimierung.
Ausblick: Auf dem Weg zum Corporate Semantic Web
So schafft die Einführung der Semantik in die Modellierung eine Vielzahl von neuen Nutzungsmöglichkeiten und Vorteilen im Detail. Damit kommen wir dem neuen Idealbild für Informationsmanagement, dem sogenannten Corporate Semantic Web, näher. Das Corporate Semantic Web verknüpft alle Informationen, Systeme, Akteure und Prozesse auf Basis ihrer Bedeutung miteinander.
Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Modellierung nicht – wie in den meisten Werkzeugen – isoliert in einer proprietären Umgebung erfolgt, die sich nur schwer mit anderen Applikationen oder der vorhandenen (Wissens-)Infrastruktur integrieren lässt. Zwischen Modellierung und Informationssystemen gibt es ein lohnendes Integrationspotential, mit dem sich Synergieeffekte auch kurzfristig und pragmatisch heben lassen. Als Zukunftsweg integrieren sich innovative Modellierungswerkzeuge in andere Wissensanwendungen in der Organisation. So integriert sich beispielweise das Modellierungswerkzeug SemTalk vollständig in die Portalplattform Microsoft SharePoint und bietet über SemTalk Services die oben genannten Funktionen der zweiten Nutzungsebene wir Navigation oder Reporting an.
Semantische Modellierung wird sich in den nächsten Jahren durchsetzen. Mit Industrie 4.0 oder dem Internet of Things stehen bereits zwei neue, wichtige Anwendungsbereiche in den Startlöchern, die ohne leistungsstarke Modellierungskonzepte nicht beherrschbar sein werden. Es bleibt also spannend.
www.semtalk.de
Dr.-Ing. Frauke Weichhardt, Geschäftsführerin Semtation GmbH. Die Semtation GmbH mit Sitz in Potsdam ist seit mehr als zehn Jahren spezialisiert auf Werkzeuge und Beratung zur unternehmensweiten Modellierung von Prozessen. Mit dem Produkt SemTalk unterstützt Semtation viele Kunden im In- und Ausland im BPM auf der Basis von Microsoft Visio und SharePoint oder Office 365.