Interview mit Jim Heppelmann, President and Chief Executive Officer von PTC
Einmal im Jahr findet in Boston eine der wichtigen IoT-Veranstaltungen weltweit statt: die Anwenderkonferenz ‚LiveWorx’. In diesem Jahr trafen sich über 4.000 Teilnehmer, um unter anderem von Branchenführern sowohl etwas über visionäre IoT-Strategien und Best-Practice-Anwendungen als auch über die Vision zur Verknüpfung des IoT mit den Möglichkeiten der Augmented Reality (AR) zu erfahren. Woher das zunehmend große Interesse resultiert und welche Bedeutung die neuen Technologien für Unternehmen haben, erklärt Jim Heppelmann, President and Chief Executive Officer des Veranstalters PTC.
Herr Heppelmann, wie erklären Sie sich das große Interesse an der Veranstaltung?
Wir befinden uns gerade in einer fundamentalen Transformationsphase. Zwar ist die Technologie bereits in der Realität angekommen, wodurch die Umstellung bemerkbar und greifbar werden konnte, weil nahezu jeder von uns auf verschiedenen Ebenen damit konfrontiert wird. Ich denke, es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass wir aktuell eine sehr außergewöhnliche Zeit erleben.
Trotzdem gilt es, die Gegebenheiten richtig zu bewerten und einzuordnen. Denn selbstverständlich stellt sich – wie bei der Einführung jeder neuen Technologie – die Frage, ob das alles nur ein Hype ist. Passend in diesem Kontext möchte ich auf das so genannte ‚Amara Law’ von Roy Amara, Gründer des ‚Institutes oft the Future’ verweisen: „Wir tendieren dazu, die Effekte einer wichtigen neuen Technologie auf kurze Sicht zu überschätzen aber langfristig zu unterschätzen.“ Es gibt so viele Entwicklungen, anhand derer sich dieses Phänomen nachweisen lässt – beispielsweise bei mobilen Endgeräten oder Social Computing. Dies sind, neben vielen anderen, alles großartige Ideen, die irgendwann langsam ins Rollen kamen und heute nachhaltig unser Leben verändert haben. Und genau das wird meiner Meinung nach so auch mit dem Internet of Things passieren.
Was veranlasst Sie zu Ihrer Aussage bezüglich des großen Veränderungspotenzials?
Gemeinsam mit Michael E. Porter, Professor an der Harvard Business School, und einem großen Team von weiteren Experten haben wir das Phänomen rund um IoT untersucht und zu diesem Zwecke auch eine großangelegte umfangreiche Befragung von Unternehmen durchgeführt. Im Ergebnis zeigen diese Studien, dass IoT mittel- bis langfristig das Potenzial zu einer substanziellen Veränderung bietet. Denn zukünftig wird es keine einfachen physischen Produkte mehr geben, vielmehr werden smarte Produkte in Produktsystemen zusammengeführt und letztendlich einzelne Produktsysteme in übergeordnete Systeme integriert.
Können Sie das vielleicht anhand eines Beispiels verdeutlichen?
Gut illustrieren lässt sich dies im Landwirtschaftsbereich, konkret an dem amerikanischen Unternehmen „OnFarm“. Dieses bietet folgende Lösung: Unter Einsatz von ThingWorx – an dieser Stelle muss ich das Produkt benennen – war es dem Unternehmen möglich, die umfassendste Plattform für den Bereich Landwirtschaftsmanagement zu realisieren. Diese gestattet – auf Basis des IoT – unterschiedlichste Endgeräte sowie generelle und unternehmensspezifische Informationen nicht nur zentral zusammenzuführen, sondern im Weiteren auch nutzbar zu machen. Die einfache Plug-and-Play-Implementierung ermöglicht den Kunden einen schnellen Zugang zu relevanten Daten wie Wettervorhersagen, Empfehlungen hinsichtlich der Aussaat oder über Bodenbedingungen, ermittelt durch Sensoren. Der Grundgedanke dahinter ist, dass Landwirten exakt die Informationen zur Verfügung stehen, mittels derer sie ihre Erträge maximieren können.
Setzen bereits viele Unternehmen vergleichbare Optionen um?
Nein, in dieser Dimension ist eine Umsetzung von IoT noch nicht allzu häufig anzutreffen. Es ist eher so, dass ein Großteil der Unternehmen gerade erst beginnt, die Idee der komplexen Vernetzung sowie deren Auswirkungen zu verstehen. So sind heute vielfach nur einzelne Anwendungen im Einsatz. Aber das ist meiner Meinung nach genau der richtige Weg: nicht gleich zu groß anzufangen, eventuell sogar mehrere kleinere Projekte nebeneinander aufzusetzen und darüber herauszufinden, wo tatsächlich ein nachvollziehbarer Wert durch die Technologie entsteht. Denn – davon bin ich überzeugt – das IoT bietet definitiv die Voraussetzung zur Lösung vieler Probleme.
Könnten Sie diese Perspektiven etwas konkreter ausführen?
Gerne. Ein Stück weit hat sich durch das IoT die Art und Weise verändert, wie Dinge entwickelt, betrieben oder gewartet werden. Denn mit Technologien, die bereits auf dem Markt sind, gelingt es, unsere Interaktionen und Erfahrungen zu modifizieren. Ich denke hier an AR als eine Technologie, die es erlaubt, mit digitalen Informationen in Form von Computergrafiken die reale Ansicht der physikalischen Welt zu überlagern und so beide Welten in einer visuellen Erfahrung zusammenzuführen.
Da AR jetzt – nicht zuletzt aufgrund des Hypes um Pokemon Go – in der Gesellschaft angekommen ist, gehe ich davon aus, dass in den nächsten 12 bis 18 Monaten mit einem rasanten Zuwachs an brandneuen tragbaren Geräten wie Brillen, Schutzbrillen und sogar Helmen von Unternehmen wie ODG, Microsoft, Magic Leap, Oculus, Epson, Daqri und vielen anderen zu rechnen ist. Die Zahl der Entwickler, die sich auf unserer – für diese Anwendung ausgelegten Plattform – registriert haben, ist innerhalb kürzester Zeit um 50 Prozent gestiegen.
Ist denn AR wirklich reif für den Einsatz im Unternehmen?
Ja, auch hier war Pokemon Go hilfreich. Denn vor diesem Spiel hat ein Großteil der Anwender AR nur mit Datenbrillen assoziiert, was nicht unbedingt nur hilfreich war. Obwohl sich die Technologie für den Unternehmenseinsatz sehr von der des Spiels unterscheidet. Hier werden Sensoren verwendet, um einen Spielcharakter zu platzieren, die Daten hierfür basieren beispielsweise auf GPS oder einem WIFI-Signal, wobei auch keine feste Verbindung der jeweiligen Figur mit der Umgebung stattfindet – sie schwebt und springt die ganze Zeit herum. Im Unternehmensumfeld werden hingegen auf Basis von präzisen Messungen aus verschiedenen Perspektiven via Kamera-Sensoren die bestimmten Elemente genau an die vorgesehene Stelle verankert. Das ermöglicht, ein genaues Bild der Umgebung zu entwerfen und die erweiterte Realität genau darin einzupassen. Das kann dann zum Beispiel für Marketingzwecke eingesetzt werden, um dem Kunden eine neue Anwendung zu demonstrieren.
Meines Erachtens werden Unternehmen effektiver, da sie für spezielle Aufgaben weniger Zeit und Geld benötigen, gleichzeitig werden Zufriedenheit und Loyalität der Kunden steigen. Es gibt schon zahlreiche Unternehmen, die diese Technologie einsetzen, heute oftmals für den Service-Bereich.
Lassen sich Ihre Beobachtungen anhand eines Kundenbeispiels untermauern?
Nehmen wir zum Beispiel KTM. Das Unternehmen entwickelt und produziert Motorräder. Da das Unternehmen rasant wächst, fehlt es speziell in den neuen Wachstumsmärkten an Personal mit entsprechendem Know-how – und daraus könnten Probleme in Bezug auf sach- und zeitgerechte Reparaturen entstehen. Hier sieht der Hersteller ein großes Potenzial der neuen Technologie: Mit Hilfe der erweiterten Realität sollen Techniker in die Lage versetzt werden, Wartungsarbeiten durchzuführen, selbst wenn sie mit dem jeweiligen Motorradtyp wenig oder gar nicht vertraut sind. Die Mitarbeiter sollen dazu befähigt werden, Diagnosen zu stellen und das Problem bei jedem beliebigen Motorrad zu lokalisieren, bevor sie mit der eigentlichen Arbeit beginnen. Ermöglicht werden soll dies unter anderem mittels iPad und einer Servicetechniker-App.
Ihr Fazit zur weiteren Entwicklung?
Aus dem Einsatz der neuen Technologien entstehen definitiv große Herausforderungen – allein aus dem Grund, weil es noch keine feststehenden Konzepte gibt, sondern die Entwicklung teilweise sehr rasante Änderungen mit sich bringt. Wichtig ist, dass in dieser neuen Dimension die Unternehmen auch bereit und offen für diese neuen Erfahrungen sind.
Herr Heppelmann, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
PTC (Nasdaq: PTC) ist ein globaler Anbieter von Technologieplattformen und Lösungen, die Unternehmen bei Entwicklung, Betrieb und Service der „Dinge“ im Internet der Dinge unterstützen. Die Unternehmenslösungen werden in 28.000 Unternehmen weltweit eingesetzt. Jim Heppelmann, CEO von PTC, ist in der Branche als Vorreiter mit diversen Auszeichnungen anerkannt.