Autor – Andreas Klug, CMO der ITyX AG
In Zeiten der Digitalisierung sind Mut und Innovationskraft von CIOs und IT Managern gefragt wie nie. Doch zwischen alten Mainframe-Programmen und modernen Kunden-Apps muss in erster Linie der Betrieb sichergestellt sein. Robotic Process Automation ist eines der Instrumente, die für die Übergangsphase von analoger Infrastruktur hin zu einem modernen vernetzten Prozess-Ökosystem von entscheidender Bedeutung sein kann. Doch was steckt hinter diesem Begriff?
In der Produktion ist die Automatisierungstechnik schon lange ein maßgeblicher Faktor, wenn es um die Steigerung der Produktivität geht. Doch in Kundenservice, Sachbearbeitung und Buchhaltung herrscht analoger Pioniergeist. Trotz PC und Internet: In vielerlei Hinsicht sind Bürojobs statisch geblieben. Gleichzeitig hat sich die Informationstechnologie im gesellschaftlichem Umfeld rasant weiterentwickelt. Privat steuern wir per Sprachbefehl unsere Smartphones, beruflich tippen wir Zahlen und Adressen von Papier mit Tastaturen ein – zum Teil mehrfach, weil Vorgangsdaten in unterschiedlichen Anwendungen erfasst werden müssen. CIOs und IT Entscheider stehen daher vor schwierigen Zeiten: Sie müssen Akzente für die Modernisierung der Arbeitswelten setzen, kämpfen aber gleichzeitig mit Kernsystemen, die in manchen Branchen aus den 80er und 90er Jahren stammen.
Lernumgebung für digitale Lösungen
Die Kosten für die vielen manuellen Arbeitsschritte steigen, Medienbrüche und manuelle Erfassung verzögern die Prozesslaufzeiten, Kontext-Informationen aus weiteren Informationsquellen bleiben unerkannt. Wem es gelingt, die mit der Flut von unstrukturierten Daten verbundenen Inhalte nutzbar zu machen, wird einen enormen Wettbewerbsvorteil generieren. Robotic Process Automation (kurz: RPA) bietet dazu entscheidende Möglichkeiten: um zwischen modernen Prozessen und traditioneller Systemlandschaft Brücken zu bauen und dennoch schnell auf Veränderung zu reagieren.
Robotic Process Automation kann manuelle Aufwendungen in Fachbereichen minimieren, ohne die de-facto IT-Umgebung zu verändern. Denn RPA liefert Software-Roboter, die die Anwendungsoberflächen bestehender Systeme verwendet, um Routineaufgaben automatisiert zu erledigen. Dieses Vorgehen schafft Zeit und eine „Lernumgebung“, um für die veränderten Anforderungen einer Digitalen Welt eine Lösung zu schaffen – und in den Fachbereichen das Aufkeimen einer Schatten-IT zu verhindern.
Simulation von regelbasierten Prozessen
Robotic Process Automation bezeichnet das wiederkehrende, regelbasierte Ausführen von Prozessen in Front und Back Office, die normalerweise von menschlichen Bearbeitern abzuwickeln wären. Dazu wird das Verhalten von Menschen auf einem virtuellen Arbeitsplatz (Virtual Agent) bei der Bedienung von Rechnern und Anwendungen simuliert. Im Kontext einer modernen Dokumentenverarbeitung (Document Processing) unterstützt Robotic Process Automation die automatisierte Erfassung von strukturierten Inhalten (Rechnungen, Formulare) mit bestehenden Unternehmensanwendungen, ohne dass hierfür eine technische „Schnittstelle“ benötigt wird.
Robotic Process Automation kann demnach „regelbasierte Informationsabläufe im Unternehmen präziser und effizienter machen“, urteilt Gartner in 2013 im Briefing „Cool Vendors in Business Process Service“ [1]. „Eine Schlüsseltechnologie zur Automatisierung von Benutzeraktivitäten bei der Bedienung unterschiedlicher Applikationen“, kommentiert Forrester in 2014 [2]. Die Spezialisten von HfS Research sehen in RPA die Chance für CIO´s Automatisierungsansätze „schnell zu entwickeln und in Betrieb zu nehmen ohne wertvolle IT Ressourcen mit langwierigen Integrationsprojekten“ zu blockieren [3].
Erlernen menschlicher Lösungskompetenz
Im Zusammenwirken mit lernfähiger Software (Cognitive Software) können selbst unstrukturierte Inhalte aus Briefen und E-Mails nachweisbar präziser, weitreichender und effizienter in relevante Unternehmensinformationen transferiert werden als dies bei traditionellen Makro- und Script-Lösungen der Fall ist. Künstliche Intelligenz bildet die heute technisch machbare Ausbaustufe von RPA. Sie kann eigenständig Parameter validieren und Entscheidungen treffen. Erreicht KI dabei keine ausreichenden Konfidenzwerte, schaltet sie automatisch menschliche Bearbeiter ein und erlernt schrittweise deren Lösungskompetenz.
Das Konzept der Robotic Process Automation an sich ist nicht neu. Für sich alleine ist RPA ein Roboter, der – in einer virtuellen Arbeitsumgebung – den immer gleichen Schritt durchführt und einen sich wiederholenden Schritt dadurch eigenständig durchführt. Nicht mehr – aber auch nicht weniger. „Robs“ in deutscher Übersetzung bedeutet so viel wie „berauben“. Beraubt uns die Robotic unserer menschlichen Wertschöpfung? Im Gegensatz zu Makros und Skripts können die „Robs“ mit weitaus komplexer Logik operieren und Aufgaben ausführen. Sie können zum optimalen Zeitpunkt auf mehrere Systeme zugreifen und abhängig von Inhalt und Dauer Informationen beschaffen und Operationen durchführen. Wie ein Virtual Agent – ein Client ohne Bildschirm, Tastatur, Maus und Mensch.
„Automatisierung alleine ist nicht klug“
Und doch: Automatisierung alleine ist nicht klug. Weil sie sofort nutzlos ist, sobald sich die Rahmenparameter auch nur geringfügig ändern. Das Konzept der Robotic Automation geht davon aus, dass eine einmal trainierte Verhaltensweise immer wieder eingesetzt werden kann, und sich im Unternehmen nichts verändert. In der Realität herrschen allerdings ständig ändernde Bedingungen. Sie zwingen Unternehmen, dynamisch auf Veränderungen reagieren zu können.
„Du kannst vor ihnen weglaufen, aber Du kannst Dich ihnen nicht verschließen.“ So denkt Marina Gorbis vom US Think Tank „Institute for the Future“ über disruptive Technologien und Veränderungen. Prozesse müssen in der Tat robust gegenüber der Dynamik der Veränderung sein. RPA gewinnt in Zeiten „mitdenkender“ Software und Künstlicher Intelligenz daher eine ganz neue Bedeutung. Im Verbund mit den neuen Technologien kann sie nämlich ihren „Wirkungsgrad“ enorm verbessern. Sehen wir uns die Brücken-Technologien von RPA näher an.
„Gesunden Menschenverstand“ trainieren
Cognitive Software kann als Meilenstein auf dem Weg zur vollständigen Automatisierung schriftbasierter Informationsprozesse bezeichnet werden – und als ideale Ergänzung zu RPA. Denn neben den strikten, regelbasierten Eingriffen ermöglicht Cognitive Software das flexible Anwenden von Erfahrungen und Wahrscheinlichkeiten. Algorithmen erkennen eigenständig Ähnlichkeiten zu erfolgreich abgeschlossenen Prozessabläufen der Vergangenheit. Sie ziehen logische Rückschlüsse.
Diese auch als „Intelligent Document Recognition Software“ bezeichneten Verfahren sind bei der Inhaltsklassifikation und Fachdatenextraktion aus unstrukturierten Textinhalten bei weitem flexibler und effizienter als klassische Robotic Automation.
Künstliche Intelligenz imitiert Expertendenken, erkennt Zusammenhänge, reagiert dynamisch auf Veränderungen
Die Zukunft gehört aber zweifelsohne den neuronalen Systemen, die die Brücke zur wirklichen künstlichen Intelligenz bilden. Weil sie präzise Entscheidungen treffen können – unter Abwägung einer Vielzahl von Parametern. KI-Software kann mit exemplarischen Trainingsmengen angelernt werden. In Abgrenzung zu Cognitive Software verwendet KI u.a. Algorithmen, die „Fuzzy Logic“ (also: unscharfe Suchergebnisse) verarbeiten können. Sie sorgt dafür, dass RPA-Lösungen lernen „gesunden Menschenverstand“ anzuwenden.
KI stellt das realisierbare Optimum bei der Mensch-Maschine-Zusammenarbeit dar (www.ityx.de)
RPA in der Anwendung
Wenn Sie sich mit dem Einsatz von RPA für die Vermeidung von wiederkehrenden Routine-Aufgaben in Fachbereichen (Posteingang, Rechnungsverarbeitung, Beschwerde- und Schadenmanagement etc.) auseinandersetzen, sollten Sie die betreffenden Prozesse vorab exakt nach folgenden Gesichtspunkten analysieren:
- Potenzial für Robotic Process Automation identifizieren: Nicht jeder Prozess in Service und Verwaltung eignet sich für den Einsatz von Robotic Process Automation. Ein schlechter Prozess wird mit dem Einsatz von RPA zwar automatisiert, bleibt aber auch danach ein schlechter Prozess. Prozesse eignen sich insbesondere dann für den Einsatz von RPA, wenn ein ausreichendes Vorgangsvolumen damit erfasst wird.
- Abläufe richtig kategorisieren: Prozesse sollten nicht zu kompliziert sein. Wählen und beobachten Sie Ihre Routineprozesse. Expertenprozesse lassen sich wirtschaftlich nur mit geeigneter KI-Software automatisieren. Holen Sie sich in jedem Fall Anbieter mit einer entsprechenden Expertise ins Haus.
- Schnell Rentabilität erreichen: Auch ein Routineprozess kann mit Robotic Process Automation nicht immer einen kurzfristigen ROI erreichen. Folgende Diagnosen am Arbeitsplatz sprechen meist für einen Einsatz von RPA: häufige Medienbrüche wegen des Wechsels zwischen Anwendungen, hoher manueller Suchaufwand, mehrere Mitarbeiter sind gleichzeitig involviert.
- Risiken ausschließen: Insbesondere wenn es um die Erfassung von Daten in Kundenkommunikation und Buchhaltung geht, sollten Sie auf KI-Software setzen. Sie bezieht menschliche Mitarbeiter in die Qualitätssicherung ein und reagiert eigenständig auf Veränderungen und Auffälligkeiten.
RPA und KI: ein Zukunftsmarkt
Mit der Digitalisierung und Automatisierung von Vorgängen in Service und Verwaltung ist Software aus Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) zu einer Schlüsseltechnologie des Digitalen Wandels geworden. Die Analysten von Tractica schätzen, dass in 2016 weltweit rund 300 Mio. USD mit KI Software umgesetzt werden. Bis 2025 wird ein Marktpotential von über 11 Mrd. USD prognostiziert [4].
Andreas Klug, CMO der ITyX AG, gilt als Evangelist für den Digitalen Wandel, mit dessen Ausprägungen er sich in Vortragsreihen und Fachzeitschriften regelmäßig auseinandersetzt. Er engagiert sich im ECM Vorstand des Bitkom und ist Mitbegründer der i-Service Initiative. Seine Leidenschaft gilt dem Einsatz von KI Software zur Automatisierung von Prozessen im Umfeld von Contact Centern und Back Office Organisationen.
Quellen
[1] https://www.gartner.com/doc/2443215/cool-vendors-business-process-services.
[2] http://neoops.com/wp-content/uploads/2014/03/Forrester-RA-COE.pdf.
[3] Reassessing the Intelligent Automation Continuum, © 2016, HfS Research,