Interview mit
Thomas Kuckelkorn, rechts, Manager PR & Kommunikation, BCT Deutschland GmbH
und
Christian Maasem, links, Leiter des Centers Connected Industry im Cluster Smart Logistik auf dem RWTH Aachen Campus
Um Instandhaltungsprozesse in der Industrie vorhersehbarer zu machen, entwickelt der Softwareanbieter BCT Deutschland gemeinsam mit dem Center Connected Industry und dem Bildverarbeitungsspezialisten Cognex Corporation einen Demonstrator für sein cloudbasiertes Object Management System (OMS). Mit diesem werden reale Objekte wie Maschinenkomponenten, aber auch ganze Produktionshallen zu digitalen Informationsquellen. DOK.magazin traf Thomas Kuckelkorn, Manager PR & Kommunikation bei BCT Deutschland, und Christian Maasem, Leiter des Centers Connected Industry im Cluster Smart Logistik auf dem Campus der RWTH Aachen, zum Interview.
Herr Kuckelkorn, mit dem Object Management System, kurz OMS, hat Ihr Unternehmen eine neue Form des Informationsmanagements entwickelt. Erklären Sie uns kurz diese Technologie?
Kuckelkorn: Ausgangspunkt für unsere Entwicklung ist die Tatsache, dass wir – speziell auf industrieller Ebene – jede Maschine, jedes Werkzeug und jede Produktionshalle als digitale Informationsquelle verstehen. Das OMS sorgt nun dafür, dass beliebig viele oder komplexe reale Objekte virtuell definiert und verwaltet werden können. Die Objekte können mittels Sensorik außerdem eigenständig kommunizieren. Schließlich ist gerade in Industrieunternehmen ein einwandfreier Betrieb ein wichtiger, weil wirtschaftlicher Faktor. Informiert beispielsweise ein Filter autonom über den Grad seiner Abnutzung, kann er ausgetauscht werden, bevor die ganze Maschine ausfällt und die Produktion stoppt.
In diesem Zusammenhang kommt die zweite Funktion des OMS zum Tragen: Es ermöglicht eine kontextbasierte Informationsbereitstellung. Dazu verknüpft es die verschiedenen im Unternehmen verwendeten Systeme so miteinander, dass Nutzer eigenverantwortlich auf alle für den jeweiligen Arbeitsablauf relevanten Informationen zugreifen können – über eine App oder ein Webportal mit spezifisch festgelegten Zugangsdaten. Dazu zählen Dokumente, aber auch visualisierte Prozesse, die entsprechend einer zu erledigenden Aufgabe oder einer zu treffenden Entscheidung bereitgestellt werden. Der dynamische Kontext der Informationen ist dabei das Kernattribut des OMS: Es bildet neben statischen Zuständen bzw. Angaben zu den Eigenschaften auch das konkrete Verhalten der Objekte ab, also alle erfolgten Zustandsänderungen.
Können Sie uns die Abläufe vielleicht an einem Beispiel veranschaulichen?
Kuckelkorn: Ein Mitarbeiter stellt beispielsweise fest, dass eine Maschine nicht richtig funktioniert. Über ein mobiles Endgerät liest er den DataMatrix-Code an der Maschine aus, identifiziert sie über eine OMS-App als eben jene Maschine und leitet eine Fehlermeldung an den zuständigen Instandhaltungsmeister weiter. Diesem wird über ein Webportal sowohl die eigentliche Fehlermeldung angezeigt als auch alle weiteren relevanten Informationen: Welche Maschine ist defekt? Welcher Mitarbeiter hat die Fehlermeldung geschickt? Welche Form der Störung liegt vor? Er startet über das Portal den Instandhaltungsprozess, indem er Aufgaben an den verantwortlichen Mitarbeiter seines Teams weitergibt. Dieser erhält auf seinem mobilen Endgerät, das mit einer weiteren OMS-App ausgestattet ist, seine Aufgabe – inklusive Informationen zur Maschine und zur Fehlerbeschreibung. Nach der eindeutigen Identifizierung der defekten Maschine werden ihm über die App vordefinierte Teilprozesse der Instandhaltung angezeigt, aus denen er seine nächsten Arbeitsschritte auswählt und eine konkrete Handlungsaufforderung erhält.
Ist der Prozess beendet, wird die entsprechende Meldung an den Instandhaltungsmeister weitergeleitet, der die Maschine über das Portal wieder freigibt. Über regelmäßige Statusmeldungen bleibt er während des gesamten Prozesses up-to-date. Im Sinne einer Prozessbeschleunigung und -automatisierung sollen Maschinen aber auch eigenständig Defekte an den Instandhaltungsmeister melden können.
Abläufe bei einem Object Management System (© BCT Deutschland)
Gemeinsam mit dem Center Connected Industry haben Sie nun einen Demonstrator für die kontextbasierte Informationsbereitstellung entwickelt …
Kuckelkorn: … ja, genau. Mit unserem cloudbasierten OMS können maschinenzugehörige Daten und Dokumente effizienter verwaltet und dadurch Wartungs- und Instandhaltungsprozesse vorhersehbarer werden. Im Rahmen des Centerprojekts definieren wir etwa einen Markierlaser und eine Absauganlage aus der Stückgutfertigung als virtuelle Objekte. Die hier hinterlegten Dokumente und Informationen können über die auf den Bauteilen angebrachten DataMatrix-Codes ausgelesen werden. Dazu wird die OMS-Software als Android-App auf dem Smartphone installiert, das als Recheneinheit des mobilen Scanners des Bildverarbeitungsspezialisten Cognex Corporation fungiert.
Herr Maasem, wo sehen Sie die Herausforderungen bei der Entwicklung des Demonstrators?
Maasem: Die Voraussetzung für den Einsatz des OMS ist eine digitalisierte Informationssammlung, in der Daten strukturiert hinterlegt sind, sowie eine Anbindung an ein Endgerät, auf dem die Informationen angezeigt werden können. Man braucht also eine Gegenstelle, die die angefragten Informationen zur Verfügung stellt. Definieren wir etwa einen privaten PKW als Objekt, würde ich im Sinne eines OMS zunächst den Barcode auf meinem Auto scannen. Anschließend kann ich gebündelt alle ansonsten verteilten Informationen, die ich aktuell benötige, digital über mein Smartphone abrufen wie etwa Angaben zur Versicherung, den Tankzettel für die Steuer oder die Anleitung fürs Radio.
Wenn man Informationen einzelner Komponenten eindeutig erfassen will, muss man außerdem in der Lage sein, die jeweiligen Komponenten zu identifizieren. Dazu müssen zunächst eindeutige Merkmale festgelegt werden, die standardisiert und automatisiert ausgelesen werden können. Als Standard nutzen wir beim Demonstrator einen DataMatrix-Code, der viele Informationen tragen kann und optisch einem QR-Code sehr ähnlich ist. Dieser kann mit den mobilen Cognex-Scannern sehr schnell und sehr zuverlässig – auch bei großer Distanz und selbst im abgenutzten Zustand – noch gut ausgelesen werden.
Bei diesem Projekt kooperieren Sie sehr eng miteinander. Welchen Mehrwert sehen Sie für die Beteiligten?
Maasem: Als Center Connected Industry fördern wir eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschungs- und Wirtschaftspartnern. Dabei geht es vor allem darum, neue Technologien und Möglichkeiten des Internet of Things durch frühzeitige Bewertung und Erprobung auf direktem Wege in produktiven Nutzen zu überführen. Mit dem Demonstrator schaffen wir zusammen mit BCT Deutschland und Cognex aktuell einen Proof-of-Concept, der die Grundlage für weitere 4.0-Services und -Lösungen bildet und von dem wir uns auch eine Einsetzbarkeit in größerem Umfeld erhoffen. Wir verstehen unsere Cluster-Community als Netzwerkplattform spezialisierter Partner. Daher ist allen Projektbeteiligten auch bei der aktuellen Zusammenarbeit eine offene und agile Vorgehensweise sowie eine Hands-on-Mentalität wichtig.
Kuckelkorn: Wir wollen unsere Technologie wiederum bereits in frühen Entwicklungsstadien erlebbar machen. Dafür bietet das Center Connected Industry und unser gemeinsames Projekt die ideale Plattform. Der Netzwerkgedanke ist in diesem Zusammenhang für uns so relevant, weil wir auf diese Weise einen Fuß in die industrielle Welt setzen. Und auch Cognex findet durch seine Beteiligung an diesem Centerprojekt ein neues Einsatzgebiet: Seine Scanner werden direkt an Informationsökosysteme angeschlossen und agieren somit als integraler Bestandteil der Nutzerinteraktion im Prozessablauf.
Zum Schluss noch ein kurzer Blick in die Zukunft: Welche weiteren Schritte stehen an?
Kuckelkorn: Den ersten Sprint unseres Centerprojekts haben wir bereits erfolgreich abgeschlossen. Das eigentliche Konzept des Demonstrators sowie eine erste Rohfassung der App, mit der der autorisierte Mitarbeiter etwa eine Maschine identifizieren und den Instandhaltungsprozess starten kann, haben wir erstmals vergangenen November auf der Aachener Informationsmanagement-Tagung vorgestellt. Aktuell prüfen wir anhand einer kleinen Anwendung, was gut funktioniert und an welchen Stellen wir weiter wachsen können.
Maasem: Beispielsweise wären durch die Anbindung an ein Mobilfunknetz auch Wartungseinsätze im Außenbereich möglich; derzeit fokussieren wir uns noch auf Indoor-Umgebungen. Definitiv werden wir aber über Schnittstellen dokument- und prozessverarbeitende Systeme mit der BCT-Technologie verknüpfen. Dazu zählen neben ERP- bzw. MES- auch PLM-Systeme, damit die Funktion des OMS als Datenweiche stärker zum Tragen kommen kann. Schließlich sollen am Ende wirklich alle Informationen, die zum Objekt gehören, bereitgestellt werden. Gleichzeitig sollen geänderte Informationsstände auch an die Ursprungssysteme zurückgespielt werden.
Im Sinne der Skalierbarkeit wollen wir unser kleines Tischsystem außerdem in einem größeren Test in eine Industrieumgebung integrieren. Hierbei kann es etwa innerhalb der Demonstrationsfabrik im Cluster Smart Logistik auf dem RWTH Aachen Campus reale Wartungsprozesse übernehmen. Nach dem Feinschliff wird das System bei einem konkreten Anwender eingesetzt und hier auf Herz und Nieren geprüft.
Kuckelkorn: Langfristig können wir uns außerdem gut vorstellen, dass mit Sensoren ausgestattete Objekte im Internet of Things selbstständig mit Systemen kommunizieren sowie automatisiert relevante Informationen aggregieren und dokumentieren. Im Sinne von Machine Learning planen wir zudem, dass unser OMS aus vorherigen Entscheidungen den nächsten Schritt des aktuellen Prozesses ableiten und dem Nutzer all jene Informationen bereitstellen, die in dem Zusammenhang relevant sein könnten. Dieser erhält somit eine auf eine ähnliche oder gleiche Situation basierende Handlungsempfehlung. Die Entwicklungen sind also noch nicht abgeschlossen!
Dann wünschen wir Ihnen für die weitere Zusammenarbeit alles Gute und viel Erfolg – und haben Sie vielen Dank für dieses Interview.
Mit seinen komponentenbasierten Produkten bietet BCT Unternehmen jeder Größe ein umfassendes Enterprise Information Management (EIM), um bestehende Geschäftsmodelle an den digitalen Wandel anzupassen oder gänzlich neu zu definieren. Neben dem 1985 gegründeten Hauptsitz in den Niederladen verfügt BCT auch über eine weitere Niederlassung in Belgien.
Im Center Connected Industry im Cluster Smart Logistik erproben und kombinieren Wissenschaftler des RWTH Aachen Campus mit Partnern aus der Industrie innovative Technologien und Verfahren des Internets der Dinge.Im einzigartigen Testbett einer realen Produktions- und Prozesslandschaft werden die neuen Losungen direkt gepruft und interaktiv.