Interview mit Haris Husain, Thomson Reuters
Auf dem Finanzmarkt fließen täglich Millionen Datensätze zusammen. Die richtigen Daten im richtigen Moment zu finden, die von den Akteuren benötigt werden – das ist das entscheidende Kriterium für die Strategie und Entwicklung einer Suchtechnologie. Mit dieser Frage beschäftigt sich Haris Husain, der bei Thomson Reuters Eikon den Bereich „Suche“ verantwortet. Im Interview mit dem Dok.magazin erklärt er, vor welchen Herausforderungen er dabei steht, warum Suchmaschine nicht gleich Suchmaschine ist und wann wir uns mit Google unterhalten können.
Dok.magazin: Herr Husain – wann haben Sie das letzte Mal etwas gegoogled?
Haris Husain: Wie viele Leute heutzutage, nutze auch ich Google oder andere Suchmaschinen nahezu täglich, wann immer ich eine Frage habe, Anleitungen benötige oder irgendetwas schnell online finden möchte. Als Vorbereitung für unser Gespräch habe ich mich beispielsweise gestern via Google über das DOK.magazin informiert.
Dok.magazin: Waren Sie mit den Ergebnissen Ihrer letzten Suche zufrieden?
Haris Husain: In der Regel beinhaltet die Liste der Suchergebnisse auch die Information, die ich suche. Beim DOK.magazin bin ich schnell fündig geworden. Zudem habe ich ja immer die Möglichkeit, meine Suchbegriffe zu bearbeiten oder auszuweiten, um die Ergebnisse einzugrenzen. Google steht mit seinen Antworten allerdings oft vor dem Problem der Relevanz – schließlich versucht Google in die riesigen Informationsmengen aus ganz verschiedenen Sektoren irgendwie Sinn und Ordnung zu bringen – und das für so viele, ganz individuelle Suchanfragen von Nutzern auf der ganzen Welt.
Dok.magazin: Und wie ließe sich dieses Problem bekämpfen? Wie sähe die perfekte Suchmaschine aus?
Haris Husain: Die perfekte Suchmaschine würde in den meisten Fällen exakt verstehen, was genau wir suchen und was wir wissen wollen. Dadurch könnte sie uns auch die exakte und einzig richtige Antwort oder Information liefern, die wir benötigen – und das in einem leicht zu verstehenden Format, zum Beispiel als Grafik oder Tabelle. Zudem könnte sie gleichzeitig Schritte für unsere weitere Vorgehensweise empfehlen. Wenn die Suchmaschine auf die Bedürfnisse und den Kontext ihrer Nutzer eingestellt ist, kann sie ihnen personalisierte Antworten liefern.
Genau das wäre der Unterschied: Frage ich nach einer langen Liste von Websites, die möglicherweise irgendwo die Information beinhalten, die ich suche – oder frage ich einen Experten, dem ich vertraue, dass er mir die einzig richtige Antwort liefert.
Dok.magazin: Warum haben sich solche Suchmaschinen noch nicht durchgesetzt? Was sind die Schwierigkeiten, an denen es scheitert?
Haris Husain: Die Schwierigkeit für eine perfekte Suchmaschine ist die Größe des Datenvorkommens, welches abgedeckt werden muss. Nehmen wir als Beispiel wieder Google: Dort hat man den sogenannten „Knowledge Graph“ entwickelt, um der semantischen Suche näher zu kommen. Der „Knowledge Graph“ liefert, zusätzlich zu unseren Suchergebnissen, übersichtliche und leicht interpretierbare Informationen in einem visuellen Format.
Dok.magazin: … der graue Kasten rechts neben den Ergebnissen…
Haris Husain: Genau! Suchen Sie zum Beispiel nach „Obama“, finden Sie dort bereits erste Informationen zur Person oder zu Äußerungen des US-Präsidenten. Dieses Feature funktioniert aber noch lange nicht für all die verschiedenen Dinge, nach denen Google-Nutzer suchen.
Im Gegensatz zu Google haben wir bei der Eikon-Datenbank den Vorteil, dass wir eine individuelle Nutzergruppe haben, die Datenbank ist ein Werkzeug ausschließlich für Finanzmarkt-Fachleute. Die Charakteristiken und Verhaltensweisen unserer Zielgruppe sind leichter zu durchschauen, daher können wir unser Produkt – und damit auch unsere Suchmaschinen – viel leichter an die Bedürfnisse dieser Zielgruppe anpassen.
Dok.magazin: Wie lange dauert es noch, bis wir uns mit unseren Suchmaschinen „unterhalten“ können?
Haris Husain: Meiner Meinung nach ist das gar nicht so unrealistisch und vielleicht nur eine Frage von wenigen Jahren. Es gab und gibt signifikante Fortschritte bei der semantischen Suche bei populären Suchmaschinen wie Google und Bing. Außerdem gibt es auch vielversprechende Entwicklungen bei Spracherkennungen, nehmen Sie Siri oder Google Now.
Dok.magazin: Sie arbeiten für einen Anbieter von Finanzdaten – welche Funktion erfüllen Suchmaschinen in diesem Bereich?
Haris Husain: Suchmaschinen werden von Kapitalmarktteilnehmern vor allem genutzt, um Neuigkeiten und Finanzdaten zu Quartalsergebnissen oder Preisbildung zu finden und nachzuvollziehen. Dabei suchen die Nutzer Informationen in diversen Asset-Klassen, beispielsweise für Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, Wechselkurse oder Rohstoffe.
Dok.magazin: Das klingt nach einer Menge Daten …
Haris Husain: Richtig, all diese Daten finden sich in unserer Datenbank und werden von ganz verschiedenen Akteuren am Finanzmarkt benötigt und gesucht. Darunter z.B. Händler, Banker oder Broker. Tatsächlich sind es so viele Daten, dass unsere Kunden einerseits immer wieder begeistert sind, andererseits aber auch sagen: „Helft uns, die richtigen Daten zu finden!“
Bild 1: Daten und Zahlen zu Unternehmen, Transaktionen und Märkten in der Datenbank
Dok.magazin: Und Sie helfen?
Haris Husain: Wir versuchen unsere Suchmaschine „Eikon Answers“ zu einer Art Concierge für den Kapitalmarkt zu machen. Ein Concierge, der die Charakteristik und Bedürfnisse des Nutzers versteht und ganz individuell zugeschnittene Ergebnisse liefert. Wir haben da immer den Vergleich mit einem echten Concierge vor Augen. Sie kommen in ein Hotel in einer neuen Stadt und kennen sich nicht aus. Sie fragen den Concierge, ob er Ihnen Tipps für Ihre Abendgestaltung geben kann. Er sucht Ihnen eine schöne Veranstaltung heraus und organisiert für Sie Hin- und Rückfahrt.
Dok.magazin: Das klingt zwar sehr schön, aber auch noch sehr abstrakt. Haben Sie ein ganz konkretes Beispiel, welchen Vorteil die semantische Suche Ihren Nutzern bietet?
Haris Husain: Stellen Sie sich vor, Sie sind im Finanzbereich tätig, z.B. als Anlageberater. Ihr Kunde sucht eine attraktive Investitionsmöglichkeit. Deswegen wollen Sie nun die Umsätze von drei großen Autoherstellern über die letzten zwei Jahre vergleichen. In den meisten Finanzdatenbanken und -plattformen würden Sie damit beginnen, unterschiedlichste Finanzdaten runterzuladen. Diese würden Sie wahrscheinlich in eine Excel-Tabelle übertragen und anschließend ein Diagramm erstellen, um die drei Firmen miteinander zu vergleichen.
Dok.magazin: Das benötigt Zeit …
Haris Husain: Eine ganze Menge sogar! So viel Aufwand muss aber gar nicht sein. In Eikon könnten Sie etwa eingeben: „Daimler gegenüber VW gegenüber BMW, Umsätze, letzten drei Jahre“. In der Folge erhalten Sie sofort ein Ergebnis mit einer vollständig interaktiven Grafik, die die Umsätze vergleicht. Außerdem eine Tabelle, die die Datenbasis zeigt und einen Link, der Ihnen einen Download als Excel-Datei ermöglicht, weil Sie die Daten vielleicht für zukünftige Analysen nutzen möchten. Im besten Fall haben Sie dadurch eine halbe Stunde gespart – und in einer Branche, in der Zeit im wahrsten Sinne des Wortes Geld ist, bietet diese Option unseren Nutzern ganz neue Möglichkeiten.
Bild 2: Die Datenbank liefert passende Grafiken und Tabellen – hier einen Vergleich dreier Automobilhersteller.
Dok.magazin: Ganz neue Möglichkeiten?
Haris Husain: Wir haben in einer Umfrage mit unseren Nutzern festgestellt, dass ganz viele großartige Ideen nicht verfolgt werden, weil die nötigen Recherchen mit den bisherigen Systemen einfach zu viel Zeit in Anspruch nehmen würden. Durch die neuen Funktionen unserer Suchmaschine geben wir unseren Nutzern die Möglichkeit, Ideen nachzugehen, da das Verfolgen dieser Idee nur wenige Sekunden beansprucht.
Dok.magazin: Gibt es auf Ihren Plattformen schon länger Suchmaschinen?
Haris Husain: Ja. Vor Eikon Answers haben wir ganz grundlegende und einfache Suchmöglichkeiten für Finanzdaten angeboten. Diese haben dann eine Liste von Ergebnissen geliefert, in der irgendwo die richtige Antwort versteckt war. Das ist vergleichbar mit anderer aktueller Software.
Dok.magazin: Nutzten diese Suchen bereits natürliche Sprache?
Haris Husain: Bevor wir Anfang dieses Jahres Eikon Answers implementiert haben, funktionierten Suchmaschinen in der Finanzindustrie eher über Codes und spezielle Benennungsmechanismen und weniger über natürliche Sprache.
Dok.magazin: Wie arbeiten Sie an der Verbesserung Ihrer Suchmaschinen?
Haris Husain: Im Laufe der Zeit decken wir immer mehr Suchbegriffe ab. Außerdem versuchen wir die Relevanz unserer Suchergebnisse zu verbessern – unter anderem einfach durch Benutzung. Wir arbeiten außerdem an der Entwicklung innovativer Funktionen für unsere Suchen, um den Abstand zwischen Frage und gewinnbringender Antwort zu minimieren.
Dok.magazin: Nehmen wir an, jeder kann ganz einfach genau die Informationen finden, die er oder sie braucht. Wie wirkt sich das auf den Finanzmarkt aus?
Haris Husain: Die Zeit, die nötig ist, um einer Idee zu folgen, reduziert sich. Dadurch entwickelt sich der gesamte Markt weiter, denn Ideenfindung und -erforschung sind nicht länger eine Aufgabe, sondern viel mehr eine Möglichkeit. Eine Möglichkeit, die uns allen zugänglich ist. Finanzmarkt-Experten können sich dann viel mehr auf die Entscheidungsfindung konzentrieren, als darauf, Daten zu sammeln und zu analysieren.
Dok.magazin: Herr Husain, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Haris Husain leitet bei Thomson Reuters den Bereich „Suche“ in der Abteilung Finanzen & Risiken. Thomson Reuters ist der weltweit führende Anbieter von intelligenten Informationen für Unternehmen und Fachleute. Thomson Reuters kombiniert Industrie-Expertise mit innovativer Technologie und versorgt u.a. Entscheidungsträger in den Bereichen Finanzen, Recht, Steuern, Buchhaltung, Wissenschaft und Medien mit kritischen Informationen, unterstützt durch die weltweit vertrauenswürdigste News-Organisation. Mit Hauptsitz in New York und größeren Standorten in London und Eagan beschäftigt Thomson Reuters rund 60.000 Mitarbeiter in mehr als 100 Ländern.