Interview mit Harald Grumser, Vorstand Compart AG.
Lange betrachtete man die automatisierte Produktion von Dokumenten (Automated Document Factory, ADF) einerseits sowie deren Erfassung, Erstellung und Verwaltung (Enterprise Content Management) andererseits getrennt voneinander: Hier das Output Management (OM), das sich zunächst auf den effizienten Versand konzentrierte; dort die ECM-Welt mit ihren Ursprüngen im Archivumfeld. Zeitweise hatte es den Anschein, dass ECM den OM-Bereich „annektieren“ wolle („Das bisschen Versand machen wir auch noch.“). Bis man feststellte, dass die hochvolumige Dokumentenproduktion doch komplexer ist als gedacht; nicht zuletzt aufgrund der Vielfalt an Datenformaten und Ausgabekanälen.
Die batchorientierte ADF-Welt wiederum war nur so lange klar umrissen wie gedruckt wurde. Spätestens seit Smartphone, iPad und Tablet Einzug in die Geschäftswelt hielten und zu elektronischen Alternativen zum physikalischen Versand wurden, stieß dieses Prinzip an seine Grenzen. Seitdem müssen sich auch die OM-Experten mit der Erstellung von Dokumenten beschäftigen. Kernfrage hier ist: Wie lassen sich Dokumente so formatieren, dass sie über jeden physikalischen und digitalen Kanal ausgegeben werden können. Die Loslösung vom A4-Seitenformat spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Input wird zu Output
Fest steht: Enterprise Content Management und Output Management bewegen sich aufeinander zu. Man denke nur an systemübergreifende Workflows wie Freigaben und Formularbearbeitung. Plötzlich taucht beim automatisierten „Abarbeiten“ von Prozessschritten (dem Kernprinzip von ADF) eine manuelle Komponente auf: Eine Interaktion zwischen Maschine und Mitarbeiter ist erforderlich – der Prozess läuft erst dann weiter, wenn das Schriftstück bearbeitet und freigegeben wurde. Solange verbleibt es – und hier kommt das ECM ins Spiel – in der „Warteschleife“ (Storage). Mit anderen Worten: Es geht hier um eine Mensch-System-Schnittstelle, die typischerweise in Form eines virtuellen Arbeitskorbes, sprich am PC-Arbeitsplatz des Sachbearbeiters, zum Ausdruck kommt. Natürlich lässt sich dieses Beispiel ausweiten auf die Bearbeitung von Rechnungen, Angeboten, Kostenvoranschlägen, Kreditanträgen etc. Auch hier sind für den Fortgang des Prozesses individuelle Entscheidungen erforderlich.
Denkt man dieses Szenario weiter, gelangt man schnell zur Erkenntnis, dass sich Tätigkeiten der Posteingangsverarbeitung mit denen des Versands – ob nun digital oder physisch – verknüpfen lassen. Wie schön wäre es doch, wenn beispielsweise der Mobilfunkanbieter das Kündigungsschreiben seines Kunden automatisiert erfasst (Capture), indiziert, an den zuständigen Sachbearbeiter zur Prüfung und Freigabe weiterleitet, archiviert (Input-Management) und aus diesem Vorgang heraus die Kündigungsbestätigung generiert (inklusive Formatierung, Konvertierung und DV-Freimachung) sowie auf dem vom Kunden gewünschten Kanal verschickt (Output Management)!
Streng genommen ließe sich diese Inbound-Outbound-Kommunikation mittels eines Workflows in einem System abbilden, vorausgesetzt, die Schnittstellen zu den vor- und nachgelagerten Systemen sind richtig gesetzt. Dann wäre es beispielsweise ein leichtes, auch Hochleistungsscanner in den Prozess zu integrieren und somit auch Bilddaten digital auszulesen und für neue Kommunikationsvorgänge zu verwenden, beispielsweise für die Erstellung und den Versand der seit Januar 2014 in Deutschland gültigen neuen elektronischen Gesundheitskarten (eGK); in Batchverarbeitung und ohne Medienbruch, versteht sich.
Nichts geht ohne Metadaten
Deutlich wird: Bei ADF und ECM lassen sich drei wesentliche Schnittmengen identifizieren:
- der Workflow als Prozessautomation mit interaktiven Möglichkeiten
- das Archiv als Ausgabekanal im Output Management
- das Input-Management, das Papier, elektronische Dokumente sowie Informationen, die über Webportale, Internetplattformen und Social-Media-Kanäle übermittelt werden, einschließt
„Bindeglied“ zwischen Input- und Output Management sind zum einen die Rohdaten des Schriftstücks und zum anderen die entsprechenden Kommunikationskanäle. Grundsätzlich ist darauf zu achten, dass die per OCR (Optical Character Recognition) ausgelesenen Daten mitgeführt bzw. zentral vorgehalten werden. Für die Kündigungsbestätigung, um bei diesem Beispiel zu bleiben, müssen sie dann nur abgerufen, gegebenenfalls mit Zusatzinformationen (ein neues Angebot zum Beispiel) angereichert und entsprechend der Corporate Identity formatiert werden. Die Übergabe an das Versandzentrum erfolgt dann automatisiert.
Auch wenn ECM (Input Management) und Gartners ADF 2.0 (Multi-Channel-Output Management) erst beginnen, sich aufeinander zuzubewegen: Die immer stärkere Verknüpfung zwischen ihnen ist bereits Realität. Schließlich gibt es auch keinen Grund, beide Bereiche weiterhin separat zu betrachten und womöglich für ein- und denselben Prozess unterschiedliche Systeme einzusetzen. Fakt ist: Durch die Verschmelzung von Input- und Output Management lassen sich nicht nur Durchlaufzeiten und Kosten in der Kundenkommunikation reduzieren – auch die Einhaltung der firmeninternen Service Level Agreements (SLA) wie Lieferfristen, Antwortzeiten etc. kann besser überwacht werden.
Es ist also nur allzu logisch, dass beide Welten der Kundenkommunikation immer stärker zusammenwachsen. Nicht zuletzt deshalb, weil sie viele gemeinsame technische Komponenten haben, beispielsweise das Archiv. Sowohl Input- als auch Output Management benötigen hier eine Schnittstelle. Trotzdem existieren sie in vielen Unternehmen immer noch als separate Einheiten bzw. doppelt oder redundant. Sicher hat diese Trennung auch ein wenig mit persönlichen Befindlichkeiten zu tun. Doch gerade aus Kosten- und Effizienzgründen ist diese „Spaltung“ nicht sinnvoll.
Erst die Organisation, dann die IT
Gerade für serviceorientierte Branchen wie Banken, Versicherungen und Telekommunikationsdienstleister sind Schnelligkeit und Qualität in der Kommunikation ein wettbewerbsdifferenzierendes Merkmal. Kunden erwarten nicht nur mehr Komfort, sondern auch schnellere Antwortzeiten. Das umständliche Herunterladen, Drucken, Ausfüllen, Scannen und Verschicken eines Dokuments sind nicht mehr zeitgemäß. Umso wichtiger ist eine durchgängige Prozesskette zwischen Eingangs- und Ausgangsverarbeitung ohne Medienbruch, um hier Zeit- und Informationsverluste zu vermeiden.
Das setzt die Restrukturierung der bestehenden Organisationsabläufe im Unternehmen voraus. Dabei geht es unter anderem um folgende Punkte und Fragen:
- eine Vereinheitlichung von Regelwerken, zum Beispiel bei interaktiven Prozessen wie Freigaben und Signaturen (Wer darf welches Dokument unterschreiben, zur Zahlung veranlassen, beantworten etc.?). Letztlich ist die Freigabe für eine Rechnung (Input Management) nichts anderes als ein „Gut-zum-Druck“ (Output Management)
- Wo in der Dokumentenverarbeitung sind die Schnittstellen zwischen der Automation und dem manuellen Eingreifen zu setzen?
- Wie können die bestehenden, voneinander getrennten ECM- und ADF-Anwendungen für einen höchstmöglichen Automatisierungsgrad miteinander verknüpft werden?
Die daraus resultierenden neuen Strukturen lassen sich dann mit entsprechenden Lösungen für ein integratives Dokumenten- und Output Management umsetzen (siehe Kasten). Dabei ist auf die zunehmende Vielfalt an Ein- und Ausgangskanälen zu achten, die Abhängigkeiten zwischen ihnen sind genau zu definieren und zu managen. Wenn die neu etablierten Workflows dann noch mit entsprechender Logik (Regelwerke, Text-/Syntaxbausteine) „veredelt“ werden, ist man quasi schon bei der Modellierung von Prozessen (BPM = Business Process Management), der höchsten Stufe der durchgängigen Automation von Eingangs- und Ausgangsverarbeitung.
Hier beginnt eine neue Ära der Dokumentenverarbeitung. Dazu ergaben sich einige DOK.Fragen an Harald Grumser, Gründer und Vorstand der Compart AG:
Herr Grumser, die Welt der Dokumentenverarbeitung ist im Umbruch. Wie sieht die Kundenkommunikation des 21. Jahrhunderts aus?
Früher bedeutete Output Management ausschließlich Drucken, dann kam das PDF-Format auf und im Zuge dessen begann man über unterschiedliche digitale und physikalische Ausgabekanäle zu diskutieren. Heute sprechen wir über die geräte- und seitenunabhängige Aufbereitung von jeder Art von Dokumenten. Mit anderen Worten: Es geht nicht mehr um Seiten, sondern um Inhalte. Die Output-Prozesse müssen sich von der A4-Norm lösen und stattdessen die Daten an das Versandsystem übergeben. Erst dort wird entschieden, in welchem Format, variabel oder seitengebunden, das Dokument verschickt wird; möglicherweise gar beides. Wenn Schriftstücke bereits als Seiten formatiert sind, ist es sehr mühsam, daraus wieder ein geräteunabhängiges Format zu generieren. Unternehmen müssen in der Lage sein, unter Ausnutzung ihrer historisch gewachsenen IT-Infrastruktur jede Art von Dokument, unabhängig von Typ, Format, Alter, und Quelle, so aufzubereiten, dass sie über alle zur Verfügung stehenden Medien ausgegeben werden können. Die Dokumentenlogistik ist also heute viel komplexer als noch vor zehn Jahren.
Was müssen Unternehmen tun, um diese Flexibilität zu erreichen?
Sie müssen die Formatierung beziehungsweise die Dokumentenaufbereitung zum Teil des Versandprozesses machen oder mit anderen Worten: Erstellung und Ausgabe sind zu entkoppeln, dabei bilden die Daten das Bindeglied zwischen beiden Bereichen. Diese strenge Trennung von Daten und Präsentation ist ja keine neue epochale Forderung, wird aber angesichts einer zunehmenden Vielfalt an Ausgabekanälen wichtiger.
Dabei spielt HTML5 eine wichtige, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle. Es ist derzeit das einzige Format, das alle Kanäle bedient und seit jeher unabhängig von der Größe des Anzeigegerätes funktioniert. Besonders wichtig an diesem Format ist die Möglichkeit, den Aufbau und die Anordnung der Informationen innerhalb des Dokuments insgesamt an die Bildschirmgröße anzupassen und etwa von einem mehrspaltigen Design auf ein einspaltiges Design umzuschalten, wenn das Display kleiner als vier Zoll ist. Dieses „adaptive Design“ wird durch immer mehr spezielle Techniken in Verbindung mit der Beschreibungssprache Stylesheet unterstützt. HTML5 richtig eingesetzt, bedient Geräte mit Bildschirmgrößen von vier bis 30 Zoll.
Stichwort elektronische Ausgabe: Wie sehen Sie die Zukunft von De-Mail, E-Postbrief & Co.?
Auch wenn diese Lösungen im B2B noch keine hohe Akzeptanz haben – die Diskussion, ob sich der rechtssichere, digitale Postverkehr in der Geschäftskommunikation durchsetzt, ist müßig. Natürlich wird er kommen, es ist nur eine Frage der Zeit. Nur muss diese Art der Kommunikation vertraulich, verbindlich und genauso sicher sein wie der klassische Briefversand. In Deutschland hat der Gesetzgeber dafür sehr hohe Hürden gesetzt, die nicht gerade die Akzeptanz bei Unternehmen und Bürgern gefördert hat. Aber in anderen Ländern wie Dänemark und Spanien mit ihren virtuellen Postportalen ist man da schon viel weiter. Irgendein System wird sich letztlich durchsetzen; ob es mehrere sind oder nur eines, ist schwer zu sagen. Fakt ist: Es wird keine Zukunft geben ohne elektronischen Dokumentenaustausch.
Automated Document Factory (ADF)
ADF ist ein Mitte der 90-er Jahre von Gartner entwickeltes Modell zur Automatisierung der Dokumentenproduktion zur Ausgabe von Papierdokumenten (ADF 1.0). Kern des ADF-Modells ist eine genau definierte, automatisierte Abfolge von wiederkehrenden Prozessschritten ohne manuelles Eingreifen: fertige Dokumente empfangen, modifizieren, konvertieren, bündeln, ggf. mit Beilagen versehen, kuvertieren, frankieren und versenden. Mit dem Einzug von E-Mail, Webportalen und mobilen Endgeräten in die Geschäftswelt wurde auch der elektronische Versand ein Thema (ADF 2.0).
Auch ADF 2.0 basiert aber noch auf einem festen Seitenformat, was die Anzeige und Ausgabe auf Smartphone, Tablet & Co. erschwert. Künftig muss die Produktion hier die Inhalte kanalunabhängig aufbereiten, Dokumente müssen zu multikanalfähigen umgewandelt werden. Dazu reichert man sie auf ihrem Weg zur Ausgabe mit möglichst vielen Informationen wie Metadaten, Hyperlinks und Hinweisen zur Textstrukturierung an. Idealerweise trennt man dazu Erstellung, Formatierung und Ausgabe voneinander und schafft eine zentrale „Output-Instanz“: Sie entscheidet, wie ein Dokument in welcher Größe und auf welchem Weg verschickt wird. Daher wird inzwischen auch die Formatierung als wesentlicher Bestandteil von ADF gesehen.