Was B2B-Plattformen von Facebook & Co. lernen können

Autor -Andreas Thonig, Country Manager DACH bei Tradeshift

Bei den meisten Unternehmen steht die Digitalisierung und Rationalisierung ihrer Prozesse ganz oben auf der Agenda – denn viele dieser Vorgänge werden nach wie vor „mit Papier“ erledigt. Im Zuge der Umstellung wird schnell ersichtlich, dass diese Aufgabe nur im Zusammenhang mit einem weiteren „Problem“ gelöst werden kann: der fehlenden Konnektivität zwischen Geschäftspartnern. Denn oft stellt vor allem die Trennung zwischen Prozessen, Abteilungen, Mitarbeitern, Geschäftspartnern sowie dem Unternehmen und seinen Lieferanten eine Herausforderung dar. Das Rennen um eine digitale Vernetzung – intern und extern – hat für Unternehmen längst begonnen.

Die Voraussetzungen für die Entwicklung der digitalen Wirtschaft sind schnell genannt: die Erfindung des Internet, die Entstehung von Plattformen mit sozialen Technologien wie Facebook und LinkedIn, die zum ersten Mal das Teilen von Identitäten und Interaktionen im öffentlichen Netz ermöglichten, und zuletzt das Aufkommen von Plattformen für den mobilen Internetzugriff. Entsprechende Netzabdeckung vorausgesetzt, ist man mittlerweile praktisch immer und überall mit dem Internet verbunden: Fast zwei Milliarden Menschen nutzen heute soziale Netzwerke, und der Internetzugriff über mobile Geräte hat zum ersten Mal den Zugriff via Notebook oder Desktop-Computer überholt.

B2B: Digitale Lieferkette noch nicht realisiert

Auch wenn diese technischen Entwicklungen den Finanz- und Sozialbereich für Konsumenten sowie das B2C-Umfeld revolutionierten, im B2B-Bereich scheinen diese noch nicht „angekommen“ zu sein: Unternehmen bleiben nach wie vor grundsätzlich relativ „unverbunden“. Betrachtet man beispielsweise die Rechnungsstellung als einen der am stärksten digitalisierten B2B-Prozesse, wird die Verwendung einer vollständig elektronischen Rechnungsstellung mit rund acht Prozent beziffert – in der EU liegt dieser Wert bei etwa 24 Prozent. Die Zahlen für Europa zeigen auch, dass bereits 2010 rund 70 Prozent der elektronischen Rechnungen in Form von Bildern, PDFs oder anderen halb- oder unstrukturierten Formaten ausgeliefert wurden. Nur 7,2 Prozent des EU-Volumens sind echte, berührungslose elektronische Rechnungen. Global betrachtet, ergibt sich eine berührungslose, elektronische Rechnungsstellung von lediglich 2,4 Prozent. Angesichts des Gesamtvolumens von 170 Milliarden Rechnungen pro Jahr ist der Anteil elektronischer Rechnungen damit noch gering [1].

Vergleicht man die Konnektivität im B2B-Bereich mit sozialen Netzwerken, die normalerweise nicht national, sondern überregional verwendet werden, werden die Einschränkungen schnell deutlich. Zum Beispiel beträgt das gesamte grenzüberschreitende Rechnungsvolumen nur rund ein bis fünf Prozent, obwohl der globale grenzüberschreitende Fluss von Services, Waren und Finanzen 36 Prozent überstieg. Während soziale Netzwerke auf Zwei-Wege- oder One-to-Many-Systemen beruhen, sind Geschäftsnetzwerke normalerweise Einwegsysteme – und auch hier ist der Versand von Rechnungen ein gutes Beispiel. Denn die elektronische Rechnungsstellung wird zum Großteil von großen Unternehmen und Regierungen vorangetrieben. Dabei sind weltweit über 99,9 Prozent aller Firmen kleine und mittelständische Unternehmen (KMU). Die heute existierende Konnektivität im B2B-Bereich umfasst demnach nur einen winzigen Teil der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen. Anders ausgedrückt: Die digitale Lieferkette ist nur für eine kleine Elite umgesetzt – 0,1 Prozent der größten Unternehmen und Regierungsorganisationen der Welt stehen 99,9 Prozent der Unternehmen gegenüber, deren Geschäftsprozesse nicht sinnvoll mit anderen verbunden sind.

Neue Chancen durch digitale Lieferantennetzwerke

Einmal verbunden, sind die Möglichkeiten für alle Mitglieder der Lieferkette enorm. Zu sehen beispielsweise an Alibaba, dem chinesischen Giganten des Internethandels, der vor nicht allzu langer Zeit für einen der größten Börsengänge der Geschichte verantwortlich zeichnete. Das Unternehmen begann als B2B-Anzeigenservice, der Lieferanten in Asien mit Käufern im Westen verband und damit die Lieferkette verkürzte. Dadurch boten sich neue, kostengünstige Gelegenheiten für Lieferanten und für Käufer – und das, obwohl das Geschäftsmodell extrem einfach ist. Denn genau genommen handelt es sich bei diesem um eine elektronische Version der „Gelben Seiten“.

Werden Unternehmen also durch digitale Lieferketten verbunden, profitieren sowohl Käufer als auch Lieferanten von stromlinienförmigen Prozessen, weniger Ausnahmen, erhöhter Transparenz und der Möglichkeit, der Lieferkette günstige Finanzierungsoptionen in Form von Finanzservices anbieten zu können. Gerade die KMU, deren Wachstum häufig durch einen fehlenden Finanzierungs- und Marktzugang gebremst wird, können in einer digitalen Lieferkette vom Austausch und Teilen ihrer Identität profitieren und neue Kunden, Investoren und Kreditoptionen finden. Darüber hinaus kann die Digitalisierung ein Schlüssel sein, um die Kreislaufwirtschaft und das Lieferantennetzwerk zu realisieren. Dabei handelt es sich um aufstrebende ökonomische Konzepte, die zu einer nachhaltigeren globalen Produktion führen werden. Unternehmen sollten also anstelle der Kostenoptimierung die Agilität der gesamten Lieferkette in den Fokus ihrer Strategie rücken.

Wie könnte die B2B-Kollaboration aussehen?

Die neuen Möglichkeiten für Lieferanten, Käufer und Gesellschaft als Ganzes sind von untereinander verbundenen, digitalen Lieferketten abhängig. Innerhalb dieser Lieferkette müssen sämtliche Informationen, wie beispielsweise Stammdaten, liquide vorliegen und jederzeit verfügbar sein. Die eingesetzten Systeme sollten eine datengesteuerte Risikobeurteilung, einen Informationsaustausch über Produktionsparameter und Angebots-und Nachfragesignale erlauben. Außerdem sollten sie Entscheider dabei unterstützen, neue Chancen und Märkte zu suchen und zielgerichtet zu finden.

Dazu müssen die Daten eines bestehenden ERP-Systems entsperrt und im Rahmen der Compliance-Richtlinien liquide verfügbar werden. Außerdem ist eine drastische Reduktion technischer Barrieren notwendig. Doch aktuell sind viele Daten in ERP-Systemen „gefangen“ und bilden dort so genannte Datensilos. Da fast jedes Unternehmen getrennte Datenhaltung betreibt, ist davon auszugehen, dass alleine in Europa Stammdaten aus rund 10.000 verschiedenen, isolierten Buchhaltungspaketen stammen. Diese werden zum Großteil per Papier, PDF, E-Mail, Telefon und über andere unstrukturierte oder halbstrukturierte Kommunikationswege übermittelt. Um von den Vorteilen vernetzter Lieferketten profitieren zu können, müssen zunächst die Wände dieser Silos durchbrochen werden.

Dies setzt allerdings voraus, dass Unternehmen ihre Meinung zum Umgang mit Daten überdenken und beispielsweise Stamm- und Adressdaten gemeinsam mit ihren Geschäftspartnern aktuell halten. Nur wenn dies auf breiter Ebene geschieht, lässt sich durch Stärkung der Lieferkette eine verbesserte Wettbewerbsposition erreichen. Doch die Realität sieht anders aus: Nach 30 Jahren elektronischen Datenaustausches wurde bisher eine Durchdringungsrate von lediglich zwei bis vier Prozent erreicht. Aber wenn Entscheider ihre Meinung zur Konnektivität zwischen Unternehmen nicht ändern, lässt sich die Idee der digitalen Lieferkette nicht im großen Stil realisieren.

Lernen von sozialen Technologien?

Alle sozialen Netzwerke, die Bestand und Erfolg haben, sind gleichzeitig soziale Technologieplattformen. So hält Facebook beispielsweise Benutzeroberflächen und Protokolle für Verkäufer von Drittsoftware bereit, die Datenströme, Identitäten, Beziehungen und Interaktionen nutzen und diese in Chancen und wirtschaftliche Werte umwandeln können. Bereits seit der Gründung bieten Drittunternehmen daher Anwendungen an, die auf sozialen Technologien basieren. Ein Beispiel dafür ist das Softwareunternehmen Zynga. Der Entwickler für Online-Spiele veröffentlichte im Jahr 2009 „Farmville“ für Facebook und sorgte für eine Sensation, indem innerhalb von nur sechs Wochen 10 Millionen aktive Benutzer erreicht wurden – und zwar pro Tag.

Heute dominieren andere Anwendungen die App-Liste von Facebook. Und obwohl Farmville laut dem Time-Magazin im Jahr 2010 zu den „50 schlechtesten Erfindungen“ zählte, hatten sowohl die Vision als auch die Technologie der Plattform weitreichende Auswirkungen auf den B2B-Bereich – und die digitale Lieferkette. Soziale Interaktionen, die in einer Welt der strukturierten Daten und Beziehungen existieren, werden liquide und tragen entscheidend zum Wertefluss innerhalb des Netzwerks bei. Sie kehren in Form von Anwendungen zurück, die sich qualitativ von den Netzwerkanwendungen vor der Zeit sozialer Netzwerke unterscheiden: Das Netzwerk selbst wird zum Verbreitungsmechanismus der Apps. Dabei handelt es sich um eine reibungslose Verbreitung über mehrere Ecken, die von grauer Theorie zu echter Benutzerakquise wird und sich in zählbare Umsätze umwandeln lässt.

Fazit: Wie Identitäten und Beziehungen Vertrauen aufbauen

Eine konsequent weitergedachte Idee von Kollaboration im B2B-Bereich erfordert eine Plattform, die es jedem Unternehmen ermöglicht, sich unabhängig von seiner Größe, seinen Geldmitteln oder seiner Geografie mit anderen zu verbinden. Die Kombination aus sozialen Technologien und echten Transaktionen kann dabei die Lieferkette transformieren und Geschäftsprozesse sinnvoll reformieren.

Bei der Vernetzung von B2B-Unternehmen gilt es jedoch noch viele Herausforderungen zu meistern. So müssen buchstäblich Löcher in die vielen Datensilos der bestehenden Lieferketten gebohrt und Prozesse über Systeme und Benutzer hinweg miteinander verbunden werden. Unnötige Barrieren, dank derer kleine und mittelgroße Unternehmen bisher nur mit hohem Finanzaufwand oder aufwändigen Integrationsprozessen teilnehmen können, gilt es zeitnah abzureißen. Dazu bedarf es einer gemeinsamen „Sprache“, sprich eines Systems, über das sich Daten aus verschiedenen ERP-Systemen intelligent miteinander vernetzen lassen und Entscheidern notwendigen Handlungsspielraum geben. Ist dank eines B2B-Netzwerks, das von den sozialen Netzwerken gelernt hat, erst einmal Vertrauen aufgebaut, kann die Abwicklung von Geschäftsprozessen beschleunigt und die digitale Lieferkette mit möglichst geringem Aufwand global ausgebaut werden.

Quellennachweis:
[1] Billentis Market Report 2014

www.tradeshift.de
Andreas Thonig ist Country Manager DACH bei Tradeshift. Tradeshift ist eine globale, mehrfach preisgekrönte B2B-Plattform, die Unternehmen hilft, effizienter zusammenzuarbeiten. Sie verwendet cloudbasierte Technologien, um Abläufe wie Rechnungsstellung, Workflow und Lieferantenfinanzierung zu verbessern. Tradeshift wurde 2010 in San Francisco gegründet und verbindet heute 500.000 Unternehmen in 190 Ländern.