Wissen wie noch nie. Symbolische Künstliche Intelligenz – der Coach für individuelles Training-on-the-Job

     

        

    “Anstatt Tausende von Seiten sieht der Endanwender nur noch wenige, für ihn relevante Inhalte.”

     

    Ein Beitrag von Dr. Matthias Gutknecht, Business Development bei der STAR Group

     

    „Job-Fresser Digitalisierung und KI“ – unter dieser oder ähnlich dramatischen Überschriften werden die tiefgreifenden Auswirkungen der Digitalisierung und Automatisierung auf die Arbeitswelt immer wieder betitelt. Doch die Veränderungen betreffen nicht nur einfache Arbeiten und Routineaufgaben, sondern auch viele Wissenstätigkeiten, die stark analytisch geprägt sind und mit KI-Ansätzen automatisiert werden können. Als weitere Folge werden die verbleibenden Jobs in automatisierten Prozessen oder in der Wartung digitalisierter Produkte anspruchsvoller und flexibler.

    Durch den beschleunigten Wandel muss zudem laufend Neues gelernt werden. In der Summe bedeutet dies, dass Mitarbeiter sich zu „ewig lernenden Profis“ entwickeln müssen [1].

    KI – „For Me“

    Erlernte Fertigkeiten veralten schnell und Routine kann kaum mehr aufgebaut werden, sodass die Menschen künftig mehr denn je auf Informationen und Unterstützung angewiesen sind. Doch der klassische Ansatz, Arbeiten gründlich zu trainieren und mit Handbüchern, Anleitungen und Anweisungen zu unterstützen, funktioniert schon jetzt nur eingeschränkt: Dokumentationen werden häufig ignoriert, weil das Suchen zu lange dauert. Zudem sind Arbeitsanweisungen häufig auf die unerfahrensten Mitarbeiter ausgerichtet – erfahrene Profis finden die entscheidenden Informationen in der Fülle der Details nur mit Mühe.

    Wie kann Arbeit überhaupt noch benutzerfreundlich unterstützt und zugleich produktiver gemacht werden? Viele sehen die Lösung in neuen Vermittlungsformen wie animierten Instruktionsvideos, Augmented Reality oder Sprachassistenten. Tatsächlich verbessern solche Medien das Lernen, die Effizienz und die Qualität von Arbeiten [2]. Allerdings löst die attraktive Form nicht das Problem der Informationsüberflutung: Informationen müssen – unabhängig vom Medium – situativ, fallbezogen, auf die Fähigkeiten des Mitarbeiters abgestimmt und ohne unproduktive Suche kommuniziert werden.

    Das folgende Fallbeispiel zeigt, wie dieses Ziel mit Ansätzen aus der Künstlichen Intelligenz erreicht werden kann.

    Mit Künstlicher Intelligenz durch den Compliance-Dschungel

    In einem weltweit tätigen Konzern umfassen die Vorschriften und Richtlinien für Finanzprozesse Tausende von Seiten, die für über 100.000 Mitarbeiter gültig sind. Angesichts der Flut an Richtlinien ist nicht mehr sichergestellt, dass sie von allen gelesen, verstanden und absolut konform angewendet werden. Bei Fragen können zwar Spezialisten kontaktiert werden, doch gibt es davon zu wenige und sie sind zudem mit der Wartung der Richtlinien stark ausgelastet.

    Die Gefahr für das Unternehmen: Werden Richtlinien nicht korrekt befolgt, wächst das Risiko von Non-Compliance-Vorfällen mit potenziell immensem Schaden und Vertrauensverlust am Markt. Auch vermeintlich kleine Fehler können Fehlbuchungen verursachen, die bei einer großen Zahl von Fällen schnell zu hohen steuerlichen Nachzahlungen führen.

    So lag der Schluss nahe, dass die produktive Anwendung und Einhaltung der Richtlinien („Compliance“) nur über eine personalisierte Reduktion der Inhalte zu erreichen ist: Nur diejenigen Informationen werden demnach angezeigt, die ein Bearbeiter für den jeweiligen Geschäftsfall tatsächlich benötigt.

    Die Suche nach dem Königsweg

     

    Um die individualisierte Anzeige von Informationen effektiv umzusetzen, hat ein agiles Projektteam aus Endanwendern, Compliance-Experten, IT und KI-Spezialisten verschiedene Lösungsansätze untersucht. Evaluiert wurden folgende Alternativen:

    Entscheidungsbäume und Intelligenter Chatbot? Zu aufwendig.

    Im ersten Ansatz hat das Projektteam Bewirtungs- und Beschaffungsanträge daraufhin analysiert, von welchen Parametern die anzuwendenden Richtlinien abhängen (z.B. Bewirtung interner Mitarbeiter vs. „gemischte Bewirtung“ externer und interner Personen). Daraus wurden Entscheidungsbäume konstruiert, mit denen die relevanten Richtlinien für jede Kombination von Parametern ermittelt werden. Das bedeutete viele Fragen für die Endbenutzer, bis ein Geschäftsfall hinreichend bestimmt war. Um die Anzahl der Fragen zu reduzieren, wurde eine KI mit maschinellem Lernen von „gelösten“ Geschäftsfällen trainiert und Chatbots mit der KI verknüpft.

    Die Qualität der Vorschläge war aber weit unter 100% und für einen regulierten Prozess kritisch. Zudem hat sich die Wartung der Entscheidungsbäume als zu aufwändig erwiesen, und die KI musste bei jeder Änderung der Entscheidungsbäume neu trainiert werden, um die gelernte Logik zu aktualisieren.

    Metadaten und maschinelles Lernen? Zu komplex.

    Mit der zweiten Methode hat das Projektteam die Richtlinien in Komponenten zerlegt und diese mit Anwendungsparametern (z.B. „gemischte Bewirtung“) als Metadaten in Excel gespeichert. Durch Abfrage der Parameter konnten die anwendbaren Richtlinien herausgefiltert werden. Der Ansatz wurde mit einem produktiv einsetzbaren Pilotsystem (MVP, „Minimum Viable Product“) anhand realer Geschäftsfälle getestet. Zusätzlich wurde auch hier maschinelles Lernen in Kombination mit einem Chatbot verwendet.

    Mit dem MVP konnten zwar mehr Falldaten für das maschinelle Lernen erhoben werden; dennoch waren die die Resultate immer noch nicht befriedigend: Die Erstellung, Pflege und Validierung von Metadaten und Abhängigkeiten war sehr komplex. Außerdem war es nicht möglich, die Richtlinien aus Excel in die geforderten PDF-Publikationen umzusetzen.

    Semantische Informationen? Das Erfolgsrezept!

    Das Projektteam suchte deshalb nach einer Möglichkeit, die Bezüge zwischen Richtlinien und Geschäftsfall-Parametern sowie zwischen den Richtlinien untereinander explizit zu modellieren. Das Projektteam ist dabei auf die Wissensrepräsentationsmethode der Künstlichen Intelligenz mit sogenannten „Knowledge Graphen“ gestoßen. Damit können Konzepte und ihre Beziehungen mit Hilfe von Ontologien definiert werden. Beispiel: Eine Leistung ist ein Geschäftsfall, der einen Empfänger und einen Erbringer als Rollen hat. Zudem können Kontexte definiert werden, die den Gültigkeitsbereich einer Richtlinie definieren. Beispiel: Eine „gemischte Bewirtung“ liegt vor, wenn der Leistungserbringer ein Mitarbeiter ist und die Empfänger sowohl Mitarbeiter als auch externe Personen sind.

    Gegenüber dem „flachen“ Metadaten-Ansatz können so auch komplexe Geltungs- und Anwendungsbereiche für Richtlinien definiert werden. Die unüberschaubare Vielfalt an Geschäftsfällen und Parametern wird auf eine übersichtliche Zahl von semantisch definierten Konzepten zurückgeführt. Diese werden dann für die Charakterisierung eines aktuellen Geschäftsfalls und die Bestimmung der anwendbaren Richtlinien verwendet.

    Knowledge Graphen als intelligentes Abbild des Wissens

    Der Ansatz wurde mit der PRISMA Plattform und einem auf Knowledge Graphs basierenden Informationsmodell der STAR Group umgesetzt. Knowledge Graphs wurden ursprünglich dafür entwickelt, den Sinn von sprachlichen Aussagen zu repräsentieren. Sie eignen sich folglich sehr gut für die Darstellung von Wissensobjekten und ihren Bezügen untereinander. Knowledge Graphs werden deshalb oft für intelligente Assistenten, Chatbots und Sprachassistenten eingesetzt.

    Mit diesem Informationsmodell können nun alle, für einen Geschäftsfall relevanten Richtlinien aufbereitet und angezeigt werden. Anstatt Tausende von Seiten sieht der Endanwender nur noch wenige, für ihn relevante Inhalte. Zudem kann der korrekte Ablauf des Geschäftsfalls vorgegeben werden, z.B. was von wem genehmigt werden muss.

    In einem zweiten Ausbauschritt wird maschinelles Lernen eingesetzt, um die Sprache der Anwender in Knowledge-Graph-Konzepte zu übersetzen. Damit lassen sich Chatbots und Sprachassistenten als virtuelle Richtlinien-Experten realisieren: Der Anwender muss den Geschäftsfall in Zukunft nicht mehr durch einen Frage-Antwort-Prozess bestimmen, sondern kann ihn einfach umgangssprachlich beschreiben.

    Grenzen der Neuronalen KI für regulierte Prozesse

    Wenn heute in den Medien oder an Konferenzen über den Einsatz von KI gesprochen wird, geht es meist um Neuronale KI, maschinelles Lernen, Deep Learning usw. Damit lassen sich Muster und Gesetzmäßigkeiten aus großen Datenmengen ohne aufwändige und komplexe Programmierung extrahieren.

    Dieser Ansatz ist für viele Aufgabenstellungen attraktiv, aber nicht für alle: Die Resultate und Vorschläge solcher Systeme sind kaum erklärbar, da es keine expliziten Regeln oder Zusammenhänge gibt. Zudem ist kaum möglich, diese Systeme zu 100 Prozent zu validieren. Man kann lediglich eine hohe Anzahl erfolgreich gelöster repräsentativer Testfälle als Indikator für den Lernerfolg nehmen.

    Symbolische KI als validierbare Alternative

    Aus diesen Gründen ist die Neuronale KI in stark regulierten Prozessen und Anwendungsbereichen nicht anwendbar. Hier hilft die Kombination mit Symbolischer KI: Im Gegensatz zur Neuronalen KI orientiert diese sich am rational-logischen Denken und der menschlichen Fähigkeit, Symbole regelbasiert zu handhaben. Beispiele aus dem realen Leben sind geschriebene Sprache oder logisches Schlussfolgern. Symbolische KI liefert nachvollziehbare Vorschläge, kann validiert werden und ist kommunizierbar – jedoch benötigt sie Programmieraufwand.

    Nutzer im Fokus: Agile Entwicklung von Smart Services

    Rationale Schlussfolgerungen und nachvollziehbare Vorschläge sind auch Grundlagen für nützliche Smart Services, die Routinetätigkeiten automatisiert unterstützen. Als sogenannte Mikro-Services lassen sie sich als Bausteine in umfassende Digitalisierungslösungen und bestehende Systeme integrieren.

    Neben der Assistenz in regulierten Prozessen wie im Fallbeispiel können Smart Services die Mitarbeiter auch im technischen Bereich entlasten. So unterstützt die Smart-Service-Lösung PRISMA mit seinen ausgereiften Knowledge Graph-Modellen mehrere After-Sales-Anwendungen mit nutzerzentrierter KI-Assistenz. Einzelheiten wurden in Digitus bereits ausführlich beschrieben [4], an dieser Stelle nur ein paar Beispiele:

    • Kosten- und Zeitberechnungen für personalisierte Tätigkeiten und Ressourcen
    • Prüfungen von Ersatzteilen und Verbrauchsmaterialien gegen den Lagerbestand
    • Erstellung eines adaptiven Diagnosebaums, basierend auf Fehlerhäufigkeiten
    • Generierung eines Wartungsplans für ein individuell konfiguriertes Produkt
    • Nachführen einer Produkt-/Wartungshistorie

    Damit können personalisierte KI-gestützte Assistenz-Services für Kunden und Mitarbeiter agil erstellt, schnell ausgerollt und laufend an neue Business-Anforderungen angepasst werden.

    Resumé

    Die klassische Arbeitsunterstützung mit ausführlichen Dokumentationen ist für eine digitalisierte Welt ungeeignet und hat ausgedient: Die Suche über Dokumente, in Texten und Anleitungen ist zeitraubend und unproduktiv, das Niveau orientiert sich meist an den unerfahrensten Nutzern, und die Informationsflut führt zu Fehlern und Missverständnissen.

    Ein praxistauglicher neuer Ansatz sind nutzerzentrierte Assistenzdienste. Sie eliminieren die Suche, stellen exakt die benötigten Inhalte zur Verfügung und stimmen die Informationen auf Fähigkeiten, Erfahrung und Wissen des Nutzers ab. Zudem wird der Nutzer durch automatisierte Smart-Service-Bausteine von Routinearbeiten entlastet. Nutzerzentrierte Assistenzdienste sind deshalb ein hervorragendes Instrument für die Arbeitsdigitalisierung und das Einbinden von Mitarbeitern in digitalisierte Prozesse.

    www.star-group.net

    Mit über 30 Jahren Erfahrung und Standorten in über 30 Ländern zählt STAR zu den führenden Anbietern im Bereich multilingualer Informationstechnologien. Wer bei neuen Digitalisierungstrends mit dabei sein will, muss Informations- und Sprachprozesse einschließlich Augmented/Virtual Reality und Sprache als integralen und synchronisierten Bestandteil von Marketing, Produktentwicklung, Produktion und Kundendienst beherrschen.

    Referenzen

    [1]              McKinsey Quarterly Artikel (Oktober 2016): Rethinking work in the digital age. In: https://www.mckinsey.com/business-functions/organization/our-insights/rethinking-work-in-the-digital-age

    [2]              Matthias Gutknecht (2017): Produktflüsterer, Augmented Reality als digitaler Coach. In: DIGITUS Heft 2017-III Oktober.

    [3]              Wikipedia: Künstliche Intelligenz. Abschnitt „Methoden“. In: https://de.wikipedia.org/wiki/Künstliche_Intelligenz

    [4]              Matthias Gutknecht (2018): Brillante Daten-Jongleure – mit Augmented Work. In: DIGITUS Heft 2018-III Oktober.