Schlechter Service und langes Ausharren in munter dudelnden Warteschleifen – was Kunden zähneknirschend als Normalität akzeptiert haben, lässt sich mithilfe moderner KI-Software ändern. Entsprechende Plattformen schaffen dabei die Voraussetzung, damit Unternehmen auf smarte Weise ihre Kundenkommunikation automatisieren können. Doch gehen diese Lösungen weit über die gängigen Chatbot-Anwendungen hinaus.
Im Interview mit dem DOK.magazin erklärt Sebastian Glock, Technology Evangelist von Cognigy aus Düsseldorf, warum Bots ein Imageproblem haben und wie Unternehmen tatsächlich Servicekosten sparen können.
Herr Glock, als Kunden benötigen wir immer wieder individuelle Unterstützung von Unternehmen, sei es bei Fragen zu Produkten und Verträgen, bei Änderungen oder Problemen. Chatbots helfen dabei nur selten weiter …
Definitiv! 90 Prozent der FAQ-Bots sind leider unnütz – selbst solche auf den Websites von DAX-Unternehmen und großen Brands. Sie erfüllen nicht ihren Zweck, denn viele simple Chatbots basieren auf einer rudimentären Software, die lediglich auf exakt gestellte Fragen vorgefertigte Antworten liefern kann. Es sind FAQs bzw. Regeln mit Keywords hinterlegt. Sie bieten keinen wirklichen Mehrwert zu Infos auf der Website oder in der App.
Man fühlt sich als Kunde einfach abgeblockt, nicht ernst genommen. Resultat: Ich rufe doch im Servicecenter an, nur etwas genervter. Die Unternehmen haben damit kein bisschen mein Problem gelöst, keine Kosten im Call- bzw. Contact Center gespart und meine „Kundenbindung“ eher geschwächt als gestärkt.
Warum werden dennoch Chatbots eingesetzt?
Mit durchdachten Anwendungen und einer klugen Umsetzung verbessern Sie den Kundenservice, indem Sie zu jeder Zeit und in vielen Sprachen für Kunden erreichbar sind und Probleme lösen können. Und Sie senken Kosten. Laut einer Studie von IBM geben Unternehmen weltweit mehr als 1,3 Billionen US-Dollar aus, um jedes Jahr 256 Milliarden Anrufe ihrer Kunden zu bearbeiten. Anders ausgedrückt kostet jeder Serviceanruf im Schnitt 30 US-Dollar. Das ist gewaltig! Unternehmen suchen also nach Lösungen, um die gleiche Qualität im Kundenservice zu liefern, nur günstiger. Nicht nur in Marketing und Vertrieb, sondern auch im Service möchten und müssen sie stärker mit sinnvollen Self-Service-Lösungen digitalisieren und automatisieren.
Wie sollte eine solche Lösung aussehen?
Probleme sollten schnell, kompetent, zu jeder Uhrzeit und möglichst auf allen Kanälen gelöst werden. Das sind die vier entscheidenden Hürden, die der Kundenservice meistern muss. Die dazu erforderliche smarte Lösung erhalten Sie durch die Kombination aus KI-basiertem Sprachverstehen und einer Anbindung der Bots an Backend-Systeme. Ein derart vernetzter Bot kann dann in Echtzeit auf ein enormes Wissen zu Produkten, Services oder auch persönlichen Informationen des Kunden aus der Kundendatenbank zugreifen und ist nicht auf einen Frage-Antwort-Katalog limitiert.
Der smarte Bot oder virtuelle Assistent hat aber neben diesem lesenden auch einen schreibenden Zugriff im Backend. Er kann zum Beispiel eine Adresse oder eine Bestellmenge ändern, einen Termin anlegen, eine Buchung stornieren oder einen Rückruf hinterlegen. Für diese Aufgaben wird beispielsweise unsere Plattform Cognigy.AI bereits eingesetzt. Bots können dadurch autark komplexe Business-Prozesse initiieren. So wie ein echter Mitarbeiter im Call- bzw. Contact Center.
Wie stark können Bots den Kundenservice denn automatisieren? Werden sie irgendwann Menschen in Contact Centern ablösen?
Bots sind mittlerweile gute Helfer und werden immer leistungsfähiger. Sie können in unseren Projekten mittlerweile 30 bis 60 Prozent aller Anfragen selbstständig beantworten. Doch wird es immer Menschen geben, die die Kommunikation und die Prozesse im Kundenservice managen. Denn zum einen muss die Antwort- und Business-Logik hinter den Bots von Menschen im Unternehmen vorgegeben werden – „Conversational Designer“ ist mittlerweile sogar eine Jobbezeichnung. Zum anderen werden Mitarbeiter nach wie vor für knifflige Fälle oder Probleme gebraucht, in denen zum Beispiel Entscheidungen getroffen werden müssen.
Wie könnte denn so eine Arbeitsteilung zwischen Mensch und Bot aussehen?
Nehmen Sie etwa Beschwerden: Ein Kunde ist unzufrieden und möchte seinen Unmut kundtun. Da ist in der Regel ein Mensch besser geeignet, da er zum Beispiel aus Kulanz Preise reduzieren oder neue Ware verschicken kann. Das sind Einzelfallentscheidungen, die ein Bot nicht treffen kann. Ein Bot kann aber außerhalb der Geschäftszeiten Anliegen annehmen, verarbeiten und an den richtigen Agenten im Contact Center weitergeben, der sich dann am nächsten Morgen darum kümmert. Kunden haben dann ein gutes Gefühl, und der Agent kann effektiver arbeiten.
Auch die Betreuung wichtiger B2B-Kunden sollte weiterhin Face to Face mit einem persönlichen Ansprechpartner möglich sein. Möchte der Geschäftskunde aber einfach nur eine Bestellung ändern, einen Liefertermin abfragen oder eine spezifische Produktinfo erhalten, kann auch der virtuelle Agent helfen – und zwar sofort und rund um die Uhr.
Stichwort KI: Was steckt technologisch hinter einem smarten Bot?
Ein smarter Bot kann sich Dinge merken und Dialoge wie ein Mensch führen. Die Technologie dahinter wird Conversational AI genannt. Das Herzstück ist Natural Language Understanding, also KI-basiertes Verarbeiten von menschlicher Sprache. „Verstehen“ bedeutet in diesem Kontext, dass Eingaben nicht exakt sein müssen, sondern in einer großen Bandbreite erkannt werden. Dafür wird der Bot im Vorfeld trainiert. Beispiel Adressänderung: Ein Kunde könnte das unterschiedlich formulieren: „Ich bin nach Berlin gezogen“, „Anschrift ändern“, „Ich habe eine neue Adresse“. KI kann alle Äußerungen einer Kundenabsicht zuordnen, und zwar ohne alle denkbaren Formulierungen zu programmieren bzw. zu hinterlegen. Im Fall der Aussage Umzug + Berlin „merkt“ sich der Bot auch die Stadt als Eingabe.
Sind solche Grundsteine erst einmal gelegt, kann die KI schnell auf andere Sprachen und Märkte skaliert werden. Das ist für unsere meist international agierenden Kunden immens wichtig. Dafür reicht die KI alleine aber nicht. Sie müssen die Bot-Antworten auch einfach und übersichtlich in beliebigen Sprachen verwalten und anpassen können, strukturierte Dialoge entwerfen, Backend-Systeme anbinden und Bots in Kanälen implementieren können. Das war bislang kompliziert und nur mit viel IT-Know-how und Programmierarbeit umsetzbar. Mit den heutigen Low-Code-Plattformen sind Mitarbeiter dagegen selbst in der Lage, eigene virtuelle Service-Agenten aufzubauen, laufend zu verbessern und in andere Märkte und Kanäle zu skalieren. Das ist ein elementar wichtiger Schritt, der erst durch Technologiesprünge der letzten zwei Jahre möglich wurde.
Gibt es bestimmte Branchen oder Unternehmen, die vom Bot-Einsatz besonders profitieren?
Im Prinzip jedes Unternehmen mit einem großen Dialogvolumen. Klassiker sind Telekommunikation, Logistik und Travel. Aber auch große Marken, Banken, Versicherungen, Healthcare sowie Government sind Branchen, die den Mehrwert erkennen. Es gibt zig sinnvolle Anwendungsbereiche. So kann ich beispielsweise am Wochenende eine Schadensmeldung an die Versicherung übermitteln. Oder im Auto auf dem Weg zum Flughafen etwas ändern oder abfragen. Es gibt auch Fälle, in denen Anbieter plötzlich ein besonders großes Dialogvolumen bewältigen müssen. Bei Versicherungen passiert das zum Beispiel bei Unwettern.
Ein anderes Beispiel sind Institutionen wie die Agentur für Arbeit, mit der täglich Tausende Menschen telefonisch in Dialog treten – zu sehr gut verarbeitbaren Themen wie Anfragen, Änderungen oder allgemeinem Informationen. Hier könnten Bots die Kommunikationsqualität steigern. Die Kunden müssten nicht mehr lange in Warteschleifen ausharren oder auf Rückruf des Sachbearbeiters warten, sondern könnten ihr Anliegen direkt mit dem Bot lösen.
Können virtuelle Assistenten menschliche Servicemitarbeiter auch direkt unterstützen?
Häufig wird der Bot vorgeschaltet, um auf direktem Weg den richtigen Agenten weiterzuvermitteln. Oder er agiert vollständig im Hintergrund: Er hört einem Gespräch zu und liefert dem Menschen im Kundendienst beispielsweise Daten zur Kundenhistorie oder Details zu der Produktspezifikation, um die Antwortqualität zu verbessern. Solche sogenannten Agent-Assist-Lösungen werden sehr stark bei uns nachgefragt.
Ein besser informierter Servicemitarbeiter ist auch wertvoll für das Up- und Cross-Selling. Er kann im Gespräch auf passende Angebote hinweisen, sofern sinnvoll und angebracht. Die Analysten von Forrester gehen übrigens davon aus, dass Marken letztes Jahr etwa 8 Milliarden US-Dollar mehr für Kundendienstmitarbeiter ausgaben als im Vorjahr, weil der Kundendienst immer qualifizierte Aussagen zu immer komplexeren Produkten treffen muss. Assist-Lösungen werden also weiter boomen, da sie auch weniger tief geschulten und damit günstigeren Mitarbeitern zu mehr Wissen verhelfen.
Sind virtuelle Assistenten auch intern bei Konzernen gefragt?
Ganz klar. Große Anfragevolumen gibt es auch intern. Wir haben einige Personalabteilungen von Konzernen als Kunden, die ihr internes Contact Center für die Mitarbeiter mit unseren Bots optimieren. Mitarbeiter haben etliche Fragen, aktuell rund um Corona, Homeoffice oder Kurzarbeit, aber auch grundsätzlich zu Abläufen, Regelungen oder sie möchten ein Zwischenzeugnis bestellen. Das ist alles über einen virtuellen Ansprechpartner, auch per Voice-Bot, im gesprochenen Dialog abbildbar.
Ist Interaktion mit Bots über gesprochene Sprache die Zukunft?
Definitiv! Die Technik hat in den letzten zwei Jahren im Voice-Bereich einen riesigen Sprung gemacht. Sprachinteraktion ist für uns sehr leicht und natürlich. Viel einfacher, als auf dem Smartphone Formularfelder auszufüllen und dergleichen. Man hat die Hände frei, muss nirgends draufschauen oder klicken. Es ist eine sinnvolle Interaktionsform für viele Business Cases. Der Kontext muss aber passen. Niemand will in der vollen U-Bahn eine Urlaubsreise per Voice umbuchen, aber im Auto auf dem Weg zum Flughafen nachfragen, ob ein Flug Verspätung hat und welches Terminal richtig ist – why not?
Man darf solche Kundendienst-Bots dennoch nicht mit Assistenten wie Alexa, Siri oder Google Home in einen Topf werfen. Sie machen die Stimme als Bedieninterface natürlich in breiten Bevölkerungsschichten salonfähig. Aber die Anwendungen sind unterschiedlich. Der Chatbot einer Airline kann alles rund um Flugreisen beantworten, Tickets umbuchen und Essensvorlieben entgegennehmen. Muss er das Wetter am Urlaubsort wissen? Nein! Das würde man von einem Contact-Center-Mitarbeiter ja auch nicht erwarten.
Haben Sie noch einen letzten Tipp?
Digitalisierung und Automatisierung verändern auch den Kundenservice entscheidend. Unternehmen – insbesondere solche mit großem Dialogvolumen – sollten sich jetzt mit den innovativen Lösungen am Markt auseinandersetzen und Erfahrungen im Einsatz smarter Chat- und Voice-Bots sammeln. Mit einer skalierbaren, intuitiv nutzbaren Plattform als Basis können sie mit überschaubaren Projekten starten, intern Expertise aufbauen und die Lösung dann nach Belieben global in andere Sprachen, auf weitere Anwendungen und zusätzliche Kanäle erweitern. Es gibt heute hervorragende Plattformen – sogar made in Germany.
Herr Glock, wir danken für das Gespräch!
Cognigy ist ein weltweit führender Customer-Service-Automation-Anbieter. Mit der leicht einsetzbaren Cognigy.AI-Plattform können Unternehmen ihren Kundenservice mithilfe intelligenter Sprach- und Textagenten auf Enterprise-Level automatisieren – in jedem Kanal und in beliebigen Sprachen. Zu den Kunden von Cognigy zählen unter anderen auch Bosch, Daimler, Henkel, Lufthansa und neuerdings auch BioNTech.