Der Trend zum Home-Office hat sich durch die anhaltende Corona-Pandemie fortgesetzt. Doch trotz der unbestrittenen Vorteile zeigen sich jetzt auch die Schattenseiten der Arbeit aus den eigenen vier Wänden. Eine davon ist ein zunehmender Verlust der informellen Kommunikation in Unternehmen. Mitarbeiter arbeiten nun getrennt voneinander und sind gezwungen, Gespräche mit Kollegen auf geplante Online-Meetings oder Chat-Tools zu verlagern. Ein eher zwangloser Gedankenaustausch wird auf diese Weise zur Ausnahme, der spontane Gang zu den Kollegen sogar nahezu unmöglich.
Autor und Interviewpartner – Peter Schneider, Chief Product Officer bei Efecte
Die veränderten Kommunikationsstrukturen haben Auswirkungen auf das Service Management: Nach knapp einem Pandemie-Jahr zeigt sich, dass der Service Desk in vielen Organisationen nicht nur die internen Support-Prozesse neu strukturieren musste, sondern Service-Agenten mit einer deutlich erhöhten Zahl zusätzlicher Anfragen konfrontiert sind. Bei hohem Workload kommt es so schnell zu längeren Ticketlaufzeiten. Zudem können Mitarbeiter im Service Desk komplexere Probleme nicht mehr Ad Hoc mit Experten vor Ort besprechen, sondern müssen dazu auf Online-Meetings oder kurze „Team Huddles“ ausweichen. Diese Praxis ist nicht nur aufwendig, sondert bindet Ressourcen und verlangsamt die Lösung und Beantwortung komplexer Anfragen enorm.
Anfragen und mögliche Lösungen bündeln
Um Servicequalität und Mitarbeiterzufriedenheit auf einem möglichst hohen Level zu halten, sollten Serviceorganisationen zunächst den Workload ihrer Service-Agenten reduzieren. Künstliche Intelligenz kann dabei eine große Hilfe sein. Dank Machine Learning sind moderne ITSM-Tools inzwischen in der Lage, auf der Grundlage eines speziellen Scoring-Mechanismus ähnliche Vorfälle zu identifizieren. Der in die Efecte-Plattform integrierte „Virtual Coach“ schlägt den Agenten beispielsweise automatisch mögliche Lösungen in ähnlichen Tickets vor. Mitarbeiter im Service Desk können Probleme deutlich schneller eingrenzen, bearbeiten und ihren Kunden so einen besseren Service bieten.
Zu einem späteren Zeitpunkt soll das System so erweitert werden, dass Kunden und Service-Agenten die Ergebnisse nach ihrem Nutzen bewerten können. Auf dieser Art lernt das System eigenständig weiter. Darüber hinaus helfen KI-Assistenten dieser Art die Einstiegs- und Schulungszeiten neuer Mitarbeiter zu verkürzen – gerade in Corona-Zeiten ist dies ein wichtiger Vorteil.
Self-Service automatisieren
In einem zweiten Schritt sollten Organisationen Self-Service-Portale oder Chat-Bots zur Verfügung stellen und Mitarbeiter damit befähigen, Lösungen für Probleme schnell und einfach selbst zu finden. Auch hier kann Künstliche Intelligenz einen wertvollen Beitrag leisten. Denn eine große Herausforderung liegt darin, dass Mitarbeiter zu den passenden Antworten geleitet werden, obwohl sie mit sehr unterschiedlichen Schlagworten nach Problemlösungen suchen.
Ein weiterer Anwendungsbereich ist die automatische Genehmigung von Service Requests: Benötigte Freigaben können auf Grundlage früherer Entscheidungen und Kriterien überprüft werden. Ein „Self-Service-Assistent“ könnte verantwortlichen Stakeholdern beispielsweise vorschlagen, Genehmigungen zu erteilen oder abzulehnen. Insbesondere in großen Organisationen lässt sich durch diese Praxis der Arbeitsaufwand deutlich verringern. Der Genehmigungsprozess für weniger kritische Services kann vollständig automatisiert werden – und zwar ohne Support-Mitarbeiter zu involvieren. Auch die Erneuerung von Zugriffsrechten, Softwarelizenzen und weiteren Online-Diensten ist im Grunde durch intelligente Workflows problemlos automatisierbar.
KI-Training auf Basis aktueller Daten
Um den Service Desk und Servicekunden gleichermaßen zu unterstützen, müssen KI-Technologien zunächst mit einer passenden Menge an historischen Daten trainiert werden. Dabei gilt: Nicht nur die Anzahl der Datensätze ist entscheidend, sondern deren Relevanz und Qualität. So bringt es beispielsweise herzlich wenig, wenn aktuelle Systeme mit typischen Fragen zu Windows XP oder Windows Server 2008 befüllt werden, wenn die Betriebssysteme überhaupt nicht mehr zum Einsatz kommen. Unternehmen, die ihr Service Management effizienter gestalten wollen, müssen also neben der Auswahl entsprechender Tools auch die passenden Trainingsdaten bereitstellen können.
Organisationen müssen sich weltweit darauf einstellen, dass Home-Office und Remote-Arbeit die Arbeitswelt auch nach der Pandemie weiter prägen werden. Wenn sie ihre Mitarbeiter im Alltagsgeschäft unterstützen wollen, werden sie um eine Professionalisierung und Digitalisierung ihrer Serviceprozesse nicht herumkommen. Bevor sich Organisationen jedoch für eine neue Lösung mit integrierter KI-Technologie entscheiden ist es ratsam, dass sie zwei Punkte in ihre Anforderungsliste aufnehmen: Die Daten bestehender ITSM-Systeme sollten ohne zusätzliche Aufbereitung durch einen eigenen Data Scientisten nutzbar und die Lösung schnell implementierbar sein.
„Die Kommunikation über digitale Medien muss dringend verbessert werden“
Künstliche Intelligenz wird für den Service Desk immer wichtiger und vor allem in den Bereichen Automatisierung und Self-Service weiter an Fahrt gewinnen. Die Lösungskompetenz in Kombination mit langjährigem Expertenwissen ist jedoch nur schwer nachzuahmen und wird deshalb wesentlicher Bestandteil im Service Management bleiben. Über aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich sprach das DOK.magazin mit Peter Schneider, Chief Product Officer bei Efecte.
Herr Schneider, was sind in diesem Jahr die wichtigsten Trends im Bereich Service Management?
Die viel diskutierte Home-Office-Pflicht verstärkt die Notwendigkeit, sich noch intensiver über die möglichst zügige Digitalisierung und Automatisierung von möglichst vielen Arbeitsprozessen Gedanken zu machen und Nutzen, Kosten und Machbarkeit abzuwägen. Wer hier vorne sein will, setzt auf Anbieter, die Künstliche Intelligenz verwenden, um konkrete Mehrwerte zu schaffen. Die zumindest teilweise Nutzung von Home-Office wird anhalten, darauf müssen Unternehmen ihren Support dauerhaft einstellen. Im Fokus sollten deshalb sowohl die Menschen bleiben, die schnelle Hilfe und die Unterstützung des Service Desk benötigen als auch die Mitarbeiter, die diese Dienstleistung täglich aus ihrem Home-Office erbringen.
Worauf werden sich Anbieter vorbereiten müssen?
Die Nachfrage nach Unterstützung durch den Service Desk wird auch ohne Büropräsenz weiter steigen. Die Kommunikation innerhalb des Teams über digitale Medien sollte deshalb dringend verbessert werden. Vor allem die Ein-beziehung von Spezialisten zur Problemlösung muss flüssiger geschehen als in der Vergangenheit. Anbieter müssen sich deshalb stärker mit Themen wie einer abteilungs-übergreifenden Prozessautomatisierung, besserer Usability und möglichst kurzen Implementierungszeiten auseinandersetzen.
Was bedeutet das für die Produktentwicklung?
Ich rechne fest damit, dass Anbieter von ISTM-Lösungen nicht umhinkommen, KI-Technologien in ihre Produkte zu integrieren. Schon jetzt kann sie beispielsweise zu Kategorisierung von Anfragen eingesetzt werden. KI wird die tägliche Arbeit im Service Desk erleichtern, jedoch den Menschen hinter dem Service Desk nicht ersetzen können.
Home-Office, KI-Technologien und Datenschutz – schließt sich das nicht aus?
Das muss sich keineswegs ausschließen, denn eines steht fest: Um gut zu funktionieren, brauchen KI-Algorithmen Zugang zu Trainingsdaten aus der Historie des Service Managements. Anbieter sollten hier datensparsam agieren und persönliche Daten nur in anonymisierter Form verwenden. Vor allem sollten sie nur so viele Informationen speichern wie tatsächlich benötigt werden. KI-Algorithmen arbeiten oft ideal mit einer bestimmten Anzahl von Historiendaten. Große Datenmengen führen hingegen nicht automatisch zu besseren Ergebnissen – oftmals verschlechtern zu viele Daten die Ergebnisse sogar. Hier sollten klare Prinzipien entwickelt und offen kommuniziert werden. Außerdem sollten Anbieter Funktionalitäten implementieren, mit denen Kunden das in der DSGVO garantierte „Recht auf Vergessenwerden“ schnell und pragmatisch umsetzen können.
Herr Schneider, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Efecte ist Anbieter einer führenden europäischen Service-Management-Lösung, die Organisationen bei der Digitalisierung und Automatisierung von Serviceprozessen unterstützt. Die Efecte-Plattform wird ausschließlich in Europa entwickelt, betrieben und gehostet. Sie erfüllt in puncto Sicherheit und Datenschutz die strengen EU- Anforderungen. Efecte wurde 1998 gegründet, der Hauptsitz befindet sich in Espoo, Finnland. Darüber hinaus betreibt das Unternehmen Niederlassungen in Deutschland und Schweden.