Bernd Hoeck, leidenschaftlicher Experte und kritischer Begleiter der Content-Services- und ECM-Szene, befragt für uns bekannte Persönlichkeiten zu Themen des Digital Business, die uns aktuell bewegen.
Für diese Ausgabe traf er sich am DOK.Round Table zum Thema Content Services mit Mario Dönnebrink, CEO bei d.velop, Herbert Lörch, SVP Western Europe bei M-Files und Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der PROJECT CONSULT. Sie sprachen gut gelaunt und optimistisch über Trends und Erwartungen der Branche.
Über die neue Rolle von Content-Services-Plattformen und deren Strahlkraft auf intelligentes Informationsmanagemen
Nachträglich noch ein gutes neues Jahr in die Runde.
Was wird es Neues geben in 2022 und was wird sich ändern in Bezug die Art und Weise , wie Millionen von Menschen mit Dokumenten und anderen Informationen umgehen?
Mario Dönnebrink: Wie in letzter Zeit verstärkt zu beobachten war, wird der Consumer-Bereich stark beeinflussen, welche Trends und Entwicklungen eine Chance haben. Was früher einfach zu bedienende Apps waren, die nun endlich auch im Business-Kontext etabliert sind, könnten 2022 zunehmend Wearables sein. Wer nicht nur per Smartphone, sondern bequem auch über Smartwatch oder Smart Glasses auf unternehmenskritische Dokumente zugreifen und an Prozessen teilnehmen kann, verbindet Effizienz mit einfacher Anwendbarkeit. Die Menschen erwarten, dass sie überall Zugang zu Informationen haben. Das zu gewährleisten und mit „Ease of Use“ zu verbinden, wird u.a. eine große Herausforderung für CSP-Anbieter sein.
Herbert Lörch: Wir sehen zwei wesentliche Trends für 2022. Zum einen wird durch Cloud Services die Freiheit der Nutzer weiter zunehmen, einfach die Applikation zu nutzen, mit der sie ihren Job am besten machen können. Das ist doch eigentlich das Neue – mobil oder remote arbeiten können wir ja schon lange. Allein in Microsoft Teams gibt es hunderte von Apps, die Dateien und Dokumente speichern und verwalten. Diese Freiheit eröffnet riesige Effizienzpotentiale, bringt auf der Negativseite aber auch eine drastisch zunehmende Fragmentierung des Informationsmanagements mit sich. Daraus ergibt sich, dass Governance und Security weitgehend automatisiert werden müssen. Als zweiten Trend sehen wir die viel stärkere Öffnung von Prozessen und Informationsbeständen für externe Nutzergruppen wie Kunden und Lieferanten im Sinne von Self Service.
Ulrich Kampffmeyer: Die Corona-Krise hat den Einsatz von Informationsmanagement beflügelt. Remote Work ist heute der Standard. Software wird nach Maßgabe von Cloud First und Mobile Second entwickelt. Diese Entwicklung setzt sich in 2022 fort und verändert auch den Markt. Das Management von Dokumenten verlagert sich in Gestalt von Services in den Untergrund der Systeme. Automatisierung ist einer der wichtigsten Trends für alle Anwendungen – von der automatischen Klassifikation bis hin zu Robotic Process Automation. Wachsende Informationsmengen machen Information Management und Information Governance in 2022 unerlässlich.
Was versprechen Sie sich dabei von KI und Analytics?
Herbert Lörch: KI kann Informationen maschinell erschließen und ist daher der Schlüssel zur Automatisierung. Wir bei M-Files glauben, dass wir es nicht dem Nutzer allein aufbürden können, dafür zu sorgen, dass Informationen gemäß ihrer Art richtig verwaltet werden. Unsere Kunden profitieren schon heute sehr stark von automatischer Klassifizierung, maschineller Extraktion von Metadaten und der Verknüpfung mit anderen Informationen. Natürlich arbeiten weder eine KI noch die Nutzer fehlerfrei, aber im Zusammenspiel sind sie sehr effizient und denkbar einfach einzuführen: Unsere Smart Classification schaut den Nutzern quasi auf die Finger und kann nach weniger als 100 Vorgängen eine Dokumentenklasse recht treffsicher erkennen. Liegt die KI falsch, kann der Nutzer sie überstimmen und sie lernt daraus. Wir stehen hier erst am Anfang einer spannenden Entwicklung.
Mario Dönnebrink: Digitalisierung bedeutet für mich, mithilfe von Software aus Daten Mehrwerte zu schaffen. Analytics sind dafür die Grundlage, um wirklich sinnvolle Anwendungen zu entwickeln. KI muss immer im Kontext ihrer konkreten Anwendbarkeit betrachtet werden. KI-Technologien wie Deep Learning können beispielsweise bei der Dokumentenerkennung, Extraktion von Informationen und Klassifizierung dabei helfen, aufwändige händische Tätigkeiten zu eliminieren und gegebenenfalls Entscheidungen besser vorzubereiten. Das haben wir bei d.velop übrigens schon vor rund 15 Jahren erkannt, als wir damit begonnen haben, diese Dinge in unsere Software einzubauen.
Ulrich Kampffmeyer: KI erfährt gerade wieder einen Hype, der die Erwartungen zu hoch schraubt. Viele Produkte werben damit, dass sie KI einsetzen, jedoch verbirgt sich im Untergrund viel Altbackenes. Künstliche Intelligenz hat erhebliche Fortschritte gemacht und bewährt sich im Informationsmanagement mit klar begrenzten Einsatzszenarien. Analyse-Werkzeuge sind eine der Grundlagen für die Weiterentwicklung der Automatisierung. Die Analyse bestehender Informationen, Strukturen und Zusammenhänge bringt die notwendige Qualität in die Bewertung von Information und hilft dabei, auch große Bestände an unstrukturierten oder schwach strukturierten Informationen zu erschließen. Disziplinen wie Wissensmanagement, Künstliche Intelligenz, Maschinenlernen und andere verschmelzen gerade.
« Informationen entfalten erst dann ihren Wert, wenn sie im richtigen Prozess an der richtigen Stelle effizient genutzt werden können. »
Back to normal? Wie werden sich Prozesse und Abläufe in Unternehmen und anderen Organisationen ändern?
Ulrich Kampffmeyer: Back to normal … das wird nicht passieren. Viele Dinge, die wir uns vor 20 Jahren vom „papierlosen Büro“ versprochen haben, sind Realität geworden. Der Medienbruch zwischen Papier und Elektronik verliert an Bedeutung, weil abgeschafft. Aber die elektronischen Medienbrüche wachsen: wo ist die Information – im E-Mail-System, in Teams, in der Fachanwendung, im Cloud-Drive, im Workflow-Postkorb, im ERP, im Chat, auf der Festplatte? Hier ist noch viel Konsolidierungsarbeit notwendig, um wirklich alle notwendigen, richtigen Informationen zusammenhängend und im Kontext bereitzustellen. In den Büros wird alles, was sich mit elektronischen Prozessen erledigen lässt, zukünftig auch so erledigt. Leider bleibt das soziale Leben mit Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen dabei auf der Strecke. Das ist die dunkle Seite der laufenden Digitalen Transformation.
Herbert Lörch: Der Geist der neuen Freiheiten der Nutzer ist aus der Flasche. Remote arbeiten, freie Auswahl bei den Anwendungen und digitale Zusammenarbeit auch über Unternehmensgrenzen hinweg sind Errungenschaften, die bleiben werden. Der Nutzer erwartet den gleichen Komfort, die gleiche Qualität und Sicherheit auf allen Plattformen. Aber diese neue Welt stellt – um Ulis schönen Begriff aufzugreifen – mit ihren elektronischen Medienbrüchen enorme Herausforderungen an Information Governance und Security. Wie bringe ich Prozesse übergreifend über verschiedene Cloud Services zusammen? Wie stellen wir sicher, dass Dokumente unabhängig davon, wo sie entstehen und gespeichert werden, nach einheitlichen Governance und Security Policies verarbeitet werden? CSP können dies leisten, wenn sie sich nahtlos in die Frontends vieler Fremdsysteme integrieren und im Backend viele heterogene Repositories andocken können.
Mario Dönnebrink: Wir werden lernen müssen, mit den Folgen der Pandemie und den Learnings zu leben. Viele Unternehmen gerieten seit 2020 in eine Welle der Zwangsdigitalisierung, um weiterhin produktiv bleiben zu können. Wirklich strategisch waren viele dieser Vorstöße nicht. Dennoch ist das Feedback gerade neuer Kunden sehr positiv, wenn es um die dadurch erzielte Verbesserung der Prozesse geht. Es wurde also oftmals ein Aufbruch angestoßen. Der Trend zum mobilen Office und einem digitalen Workplace hat ja schon lange vor Corona ganz zaghaft begonnen, erhielt aber, um im Bild zu bleiben, durch COVID einen Booster. Zu einer hundertprozentigen Präsenzarbeit werden wohl die wenigsten Unternehmen zurückkehren, da bin ich mir sicher. Und ich bin auch sicher, dass viele durch die Erfahrungen erkannt haben, wie sinnvoll, effektiv und effizient komplett digitale, medienbruchfreie Prozesse sind. Ich glaube, die Verantwortlichen in den Organisationen werden künftig viel intensiver ihre bisherigen Prozesse hinterfragen und ganz bestimmt digitale Cloud-Lösungen bevorzugen.
Konvergenz oder Co-Existenz? Wie werden sich Content-Services-Plattformen mit Microsoft 365 oder Google Workspace arrangieren?
Ulrich Kampffmeyer: Der Marketing-Begriff ‚Content-Services-Plattform‘ von Analystenhäusern ist wenig zielführend. Da ist der alte, eingeführte Begriff ‚Dokumentenmanagement‘ sogar noch prägnanter. In Bezug auf Microsoft 365 sehen wir, dass die M365-Plattform selbst immer mehr ECM- oder CS-Funktionen bereitstellt. Beispiele sind hier das Records Management und die Information Governance. In Bezug auf Prozessunterstützung lässt M365 allerdings noch einiges zu wünschen übrig – aber auch das kommt. Die bisherigen ECM-Produkte werden zu Integrationsdiensten unterhalb der Office-, Teams- und Sharepoint-Oberflächen. Hier fehlen leider noch viele Schnittstellen, die eine Interoperabilität zwischen verschiedenen Cloud-Lösungen erlauben müssen.
Herbert Lörch: Unsere Kunden sehen M-Files als wichtige Ergänzung zu Plattformen wie M365 und Google Workspace – und all die anderen Plattformen wie SAP, SalesForce u.a. Ich möchte Uli in einem Punkt widersprechen: Out-of-the-box bieten die neuen Cloud Services oftmals wenig in Sachen Information Governance und übergreifend erst recht nicht. Zentrale Funktionen des Informationsmanagements wie Dublettenerkennung, Klassifizierung, Metadaten-Extraktion und Kontextualisierung machen nur Sinn, wenn sie übergreifend über alle genutzten Plattformen umgesetzt werden. Das ist die neue Rolle von Content-Services-Plattformen und geht doch weit über das hinaus, was ECM geboten hat. Drastisch ausgedrückt sorgen CSP dafür, dass in M365, Google, Salesforce und Co. nicht der gleiche Wildwuchs entsteht wie im Filesystem.
Mario Dönnebrink: Auch wir haben uns nie als Konkurrenz von Microsoft und anderen großen Playern gesehen. Im Gegenteil. Selbst das Analystenhaus Gartner hat MS zwar 2020 auf den Spitzenplatz im Magic Quadrant für Content Services Platforms gesetzt – nein Uli, ich diskutiere jetzt nicht über die Sinnhaftigkeit von Akronymen 😉 –, dabei aber deutlich darauf hingewiesen, dass Microsoft für die spezifischen, relevanten Funktionalitäten im Dokumentenmanagementbereich auf Drittanbieter angewiesen ist. Unsere Produktlinie d.velop documents für M365 z.B. ist seit jeher darauf ausgelegt, in enger Abstimmung mit der Microsoft-Entwicklung als zertifizierter Partner die Services und Lösungen zu liefern, die der Microsoft Suite fehlen. Das sieht auch Gartner so.
„Das Management von Dokumenten verlagert sich in Gestalt von Services in den Untergrund der Systeme.“
Neue Werte schaffen. Wie kann intelligentes Informationsmanagement mehr zur Wertschöpfung beitragen?
Mario Dönnebrink: Informationsmanagement hat schon immer zur Wertschöpfung beigetragen. Alle Maßnahmen, die die Wertschöpfungskette durchgängig gestalten, unnötige Aufgaben vermeiden helfen und die Geschwindigkeit und Durchgängigkeit der Prozesse optimieren, und so Leistungen steigern und/oder Kosten sparen, tragen unmittelbar zur Wertschöpfung bei. Genau diese entscheidenden Elemente kann digitales, möglichst intelligentes Informationsmanagement liefern. Wenn in der Produktion automatisierte Prozesse vor dem Hintergrund von Industrie 4.0 die Wertschöpfung unstrittig positiv beeinflussen, müssen die Abläufe in der Verwaltung mitziehen, um medienbruchfrei die gesamte Wertschöpfungskette abzubilden. Es kann doch nicht sein, dass ein Bauteil automatisch „weiß“, wann es kaputt geht und sich selbst mit rechtzeitiger Anlieferung nachbestellt, während im Büro nebenan Menschen beginnen, in Aktenordnern zu wälzen, wenn eine Kundenanfrage eintrifft oder mit Postwägelchen durchs Unternehmen ziehen, um irgendwo zwischen Tür und Angel dem Vorstand einen Vertrag in der Unterschriftenmappe vorzulegen.
Herbert Lörch: Dem stimme ich voll zu: Informationen entfalten erst dann ihren Wert, wenn sie im richtigen Prozess an der richtigen Stelle effizient genutzt werden können. Das erzeugt Wert in Form von Effizienz und Qualität. Das ist einfach gesagt, aber in vielen Unternehmen oftmals noch mehr Wunschdenken als Realität. Es setzt voraus, dass man auf seinen gesamten Informationsbestand über alle Plattformen hinweg einheitlich zugreifen kann und ihn mit Metadaten versehen hat, die diesen Kontext herstellen. Sonst bleibt nur die händische Suche in verschiedenen Systemen. Ein weiteres Gebiet der Wertschöpfung entsteht, wenn man bestehende Informationen und Prozesse neuen Zielgruppen zugänglich machen kann. Kann beispielsweise ein Kunde über ein begeisterndes Portal auf seine Kundenakte zugreifen, neue Dokumente hochladen und direkt Prozesse anstoßen, lässt sich durch Self-Service nicht nur viel Betreuungsaufwand einsparen, sondern es bindet den Kunden auch. Beides erzeugt echten Mehrwert. Deshalb haben wir mit Hubshare ein führendes Portalsystem in M-Files integriert.
Ulrich Kampffmeyer: Über Wertschöpfung und den Wert der Information an sich sind die meisten im Unklaren. Sonst würden sie sich längst mit ganzheitlichem Information Management und Information Governance um den Erhalt des Wertes und die Sicherheit ihrer Informationen kümmern.
Herr Dönnebrink, Herr Lörch, Herr Dr. Kampffmeyer, wir danken Ihnen sehr für dieses Gespräch.
Die d.velop-Gruppe mit Hauptsitz in Gescher entwickelt und vermarktet Software zur durchgängigen Digitalisierung von Geschäftsprozessen und branchenspezifischen Fachverfahren und berät Unternehmen in allen Fragen der Digitalisierung. d.velop stellt digitale Dienste bereit, die Menschen miteinander verbinden, sowie Abläufe und Vorgänge umfassend vereinfachen und neugestalten. So hilft der ECM-Spezialist Unternehmen und Organisationen dabei, ihr ganzes Potenzial zu entfalten. d.velop-Produkte – on Premises, in der Cloud oder im hybriden Betrieb – sind branchenübergreifend bislang bei mehr als 12.500 Kunden mit über 2,9 Millionen Usern im Einsatz.
M-Files bietet eine neue Generation an Content-Services-Plattformen für intelligentes Informationsmanagement. Im Gegensatz zu herkömmlichen DMS/ECM-Systemen vereinheitlicht M-Files Systeme, Daten und Inhalte in der gesamten Organisation, ohne bestehende Systeme und Prozesse zu stören oder eine Datenmigration zu erfordern. So bricht M-Files Informationssilos auf und etabliert übergreifende Konzepte für Information Governance. Mit KI-basierter Content Analytics setzt M-Files Informationen automatisiert in den richtigen Kontext zueinander.
Die PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH, Hamburg, ist seit 30 Jahren als unabhängige Beratung für Informationsmanagement in Europa tätig. PROJECT CONSULT berät Anwenderunternehmen bei Strategie, Konzeption, Auswahl, Einführung und Dokumentation von Information-Management-Lösungen.