Königswege zur Digitalisierung: Evolution vs. Revolution

    Alexander Makeyenkov, Senior Vice President Finance-Department bei DataArt

     

    Digitalisierung oder auch die digitale Transformation ist zu einem heißen Thema avanciert. Wir bewegen uns mit rasendem Tempo durch das neue Jahrtausend – und es gibt keine Industrie, die nicht mit der Digitalisierung zu tun hat.

    Manche Branchen begannen früh und sind schon weit: die Medienbranche zum Beispiel. Die Medienwirtschaft hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Neue Produkte wie High-Budget-Serien treten gegen Bewährtes wie Blockbuster an, neue Distributionskanäle wie das Streaming trumpfen gegenüber Downloads und haptischen Datenträgern auf – was zu neuen Playern auf dem Markt wie Netflix, Spotify oder Amazon Prime geführt hat. Das zeigt klar und deutlich: In dem stark umkämpften Markt ist eine prominente Position schneller verloren als einem lieb ist.

    Andere Geschäftszweige stehen noch am Anfang ihrer aktiven Transformationsphase – der Finanzsektor und die Versicherungswirtschaft dienen als Beispiele der Digitalisierung in eher konservativen, geregelten Bereichen.

    Jedes Unternehmen muss seine eigene Lösung finden

    Zwar herrscht mittlerweile Einigkeit darüber, dass sich niemand vor der Digitalisierung verschließen kann. Doch viele Wege führen nach Rom. So viele Branchen es gibt, so viele Annäherungen an den Digitalisierungsprozess gibt es auch. Leider existiert kein allgemeingültiges Rezept, das zu allen Branchen passt. Jedes Unternehmen muss seine eigene Lösung finden.

    Bei digitaler Transformation denken viele Menschen sofort an die innovativen, disruptiven Aspekte der Digitalisierung – revolutionäre Umwälzungen im Geschäftsmodell, völlig neue Produktangebote oder durchgreifender Wandel im Kundenerlebnis. Doch ein großer Teil der Digitalisierung besteht aus der evolutionären Transformation bereits existierender Produkte und Services. Auch eine Verbesserung umfassender End-to-End-Prozesse gelingt mithilfe der neuen Technologien. Zwar können diese schrittweisen Optimierungen zu essentiell neuen Produkten führen oder die Kundenwahrnehmung dramatisch ändern, damit also zum „Übergang von Quantität zu Qualität“ beitragen; zwingend notwendig ist ein solch dramatischer Wandel aber nicht, um voranzukommen. Ausgewogene Gestaltungsprozesse sind viel effizienter und weniger risikobehaftet, weil sie vorhandene Vorgänge und Menschen involvieren.

    Daher rate ich, diese sachte Annäherung an die Digitalisierung nicht aus den Augen zu verlieren. Für viele Firmen und Branchen könnte das genau die richtige transformative Strategie sein!

    Evolutionäre Digitalisierung ist ein natürlicher Prozess

    Wenn wir uns einfach die neuen Technologien anschauen – regelmäßig, denn sie entfalten sich ständig weiter – und prüfen, wie wir sie in unser existierendes Geschäftsmodell, Produktsortiment und Kundenservice einflechten können, wird erkennbar, dass evolutionäre Digitalisierung einen natürlichen Prozess darstellt.

    Eine der größten Herausforderungen der Digitalisierung liegt in einer Übergangsphase auf Kundenseite. Während auf der einen Seite eine neue Generation von Kunden ans Ruder kommt, harren auf der anderen Seite noch Kunden der „alten Generation“, die sich auf ihnen vertraute Lösungen und Prozesse verlassen. Das Einführen neuer Lösungen braucht Zeit, erfordert verstärkte Marketing-Aktivitäten sowie eine Art Erziehung des Klienten. Und währenddessen muss das alte System die Umwandlung weiter unterstützen.

    Auf geschäftlicher Seite herrscht ein ähnliches Thema vor. Laufende Prozesse werden mit einer bereits vorhandenen Infrastruktur bewältigt. Diese existierende Lösung muss peu à peu verändert, das vertraute Personal Step by Step fortgebildet werden. Es bleibt unumgänglich: Für eine gewisse Zeit laufen beide Systeme parallel. Das dämpft die unmittelbare Wirkung der Innovation, während die Kosten sich verdoppeln.

    Das digitale Dokumenten-Management ziehe ich einmal als gutes Beispiel heran. In der Finanz- und Versicherungswirtschaft werden noch immer viele Formulare, Vereinbarungen, Forderungen und Dokumente per Mail verschickt. Das belastet Kunden der neuen Generation. Sie müssen alles ausdrucken, unterschreiben, Geld für Umschläge und Briefmarken investieren und bei bestimmten Dokumenten sogar selbst zum Postschalter gehen und Schlange stehen, weil sie sich persönlich ausweisen müssen. Das ist ineffizient, unbequem und teuer – auch für die Firmenseite! Dort muss noch immer ein Letter-Shop eingerichtet bleiben. Die Formulare und Anträge müssen aufwendig digitalisiert und in den internen Workflow integriert werden, der schon digital läuft. Jeder dieser Schritte benötigt Tage, wenn nicht Wochen, und häuft beträchtliche Transaktionskosten an.

    Revolutionäre Digitalisierung wirft Fragen auf

    Eine revolutionäre Umwälzung wäre, alles zu digitalisieren und einen durchgängig digitalen Workflow zu schaffen. Einen Workflow, in dem beispielsweise ein Darlehensantrag elektronisch generiert und genehmigt wird, Anforderungen via Mobile App eingereicht und Beleg-Dokumente auf einen externen Rechner hochgeladen werden. Eine solche Lösung verkürzt den Anwendungszyklus immens – ein starkes Pro-Argument in jedem umkämpften Markt – und senkt spürbar Kosten. Die Technologie dafür gibt es schon. Wir kennen Kunden, die solche Lösungen für ihre Prozessgestaltung implementiert haben.

    Aber alles hat zwei Seiten. Diese neue Art des Datenaustauschs birgt eben auch Herausforderungen. Wie lösen wir das Handhaben gesetzlicher Bestimmungen und Regularien, die bisher nur in Papierform griffen? Wie authentifizieren und autorisieren wir Kunden volldigital? Bisher gilt noch die „analoge Identität“, das Nutzen von elektronischer oder von Video-Authentifizierung stellt etwas gründlich Neues dar.

    Die Schlüsselfrage lautet: Wie gelingt der Übergang von papierbasierten zu digital laufenden Prozessen, ohne das existierende Back Office zu gefährden und Schocks beim bestehenden Kundenstamm hervorzurufen?

    Die Strategie der kleinen Schritte

    Eine evolutionäre Annäherung an die Digitalisierung heißt, die Transformation als eine Folge kleiner, handhabbarer Schritte zu begreifen. Schritte, die ein Unternehmen auf dem strategischen Fahrplan in Richtung Digitalisierung voran bringt und vorzugsweise bei jedem dieser Schritte einen Wert generiert.

    Der erste Schritt liegt darin, die aktuellen Abläufe übersichtlich aufzuzeichnen und zu verstehen, wo die größten Ineffizienzen lauern und was die meisten versteckten Kosten verursacht. Dann kristallisiert man heraus, wie Technologie jeden Schritt verbessert, stellt die einzelnen Verbesserungen in einen Kosten-Nutzen-Vergleich und entwirft daraufhin eine erste Version eines Fahrplans. Fügt sich dieser initiative Plan in zeitliche und finanzielle Zwänge, folgt der nächste Schritt: die Kundenperspektive und operative Aspekte einflechten. Wie führen wir die Änderungen möglichst bequem und nachvollziehbar für unseren Kunden ein? Haben wir genug Zeit, unsere Mitarbeiter einzuarbeiten und die Umstrukturierungen durchzuführen? Wie können wir Spekulationen und Annahmen über mögliche Risiken frühzeitig objektiv überprüfen und potenzielle Risiken im Plan ansprechen? All diese Fragen beeinflussen die finale Struktur eines besonnen skizzierten, digitalen Fahrplans.

    Notabene

    Obwohl die sukzessive Digitalisierung auf den ersten Blick teurer und zeitaufwendiger erscheinen mag als die „Alles-auf-einen-Schlag“-Taktik, ist sie in Wirklichkeit besser zu kontrollieren und weniger risikobehaftet. Die Digitalisierung des Dokumenten-Workflows ist ein ganz typisches Beispiel dafür, dass Innovation mit der Umwandlung eines existierenden Geschäftsmodells eng verknüpft ist.

    Der disruptive Stil strahlt voller Glamour und zieht eine Menge Aufmerksamkeit auf sich; häufig sehen wir diese alles umwälzende, revolutionäre Strategie bei Start-ups oder neuen Ablegern großer Unternehmen. Für die ergibt das absolut Sinn! Mit der disruptiven Methode probiert man sich im neuen, noch nicht „kartografierten“ Geschäftsfeld aus, checkt die Kundenresponse und die Akzeptanz neuer Produkte und Services ab. Aber wenn es um die Integration neuer Lösungen in ein vorhandenes Geschäftssystem geht, führt die behutsame Strategie zum Ziel.

    Fazit

    Natürlich ist das Bild nicht nur Schwarz und Weiß, sondern weist Schattierungen und Grautöne auf. Digitalisierung ist normalerweise eine Folge innovativer, revolutionärer Sprünge, der sich sanfte Akzeptanz und vorsichtige Integration anschließen. Ausgewogene Balance und gute Ausführung unterscheidet diejenigen, die mit der Digitalisierung Erfolg haben, von denjenigen, die unter ihr leiden.

    www.dataart.com

    ist ein beratendes, weltweit tätiges Technologieunternehmen, das fortschrittliche und einzigartige Business-Lösungen entwirft, entwickelt und implementiert. Das 1997 in New York gegründete Unternehmen berät, entwickelt und pflegt maßgeschneiderte Software-Lösungen, um Firmen den Weg in eine zukunftsfähige, digitale Welt zu ebnen.