In bester Gesellschaft.
Warum es sehr wohl eine gute Idee ist …
… wenn Führungskräfte und KI gemeinsame Sache(n) machen
Autor – Prof. Dr. Volker Gruhn, Vorsitzender des Aufsichtsrats der adesso AG
Der Roboter, der sich selbstständig durch ein Lager bewegt. Das Auto, das sich ohne Fahrer durch den Stadtverkehr schlängelt. Der Spieler, der nach wenigen Übungsstunden in Schach, Go oder dem Arcade-Game-Klassiker Breakout unbesiegbar ist. Die Foto-App, die zuverlässig die eigene Katze und Tante erkennt. Mit diesen Anwendungsfeldern von Künstlicher Intelligenz (KI) sind die meisten Menschen inzwischen vertraut. Technologien, die lange Zeit ein Schattendasein fristeten, stehen plötzlich im Mittelpunkt der globalen Aufmerksamkeit. KI-Anwendungen liefern bei vielen Aufgabenstellungen inzwischen gute Ergebnisse.
Ein Paradebeispiel für die Potenziale solcher Systeme: Mediziner setzen KI-Lösungen in der Diagnostik ein. Ihre Fähigkeiten zur Bildverarbeitung helfen den menschlichen Experten, mögliche Krankheiten genauer zu identifizieren. Noch unterstützen KI-Anwendungen nur, die letzte Entscheidung liegt beim Menschen.
Die Entwicklung, die sich hier abzeichnet, kann als Blaupause für andere Bereiche dienen. Denn überall, wo viele Daten vorhanden sind, spielen KI-Anwendungen ihre Stärken aus. Das kann die oben beschriebene Bilddiagnostik sein. Das Gleiche gilt aber auch für Kreditzusagen, Preisgestaltung oder Lieferkettenanpassungen. Unternehmen haben eine lange Tradition des Speicherns und Auswertens von Daten. Auf dieser Basis starten KI-Lösungen jetzt durch. Und damit greifen sie in einen anderen Bereich ein, der bisher mit menschlichen Akteuren verknüpft war: dem Management.
Was bedeutet ‚intelligent‘?
Es ist schwer möglich, sich auf eine Definition von Intelligenz zu einigen. Und darüber, was Künstliche Intelligenz ist, lässt sich geradezu vortrefflich streiten. Für die folgenden Ausführungen reicht eine kurze, pragmatische Definition: KI ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Erforschung von Mechanismen des intelligenten menschlichen Verhaltens befasst. [1]
In der Unternehmensführung sind Werkzeuge zur Analyse von Daten seit Jahrzehnten weit verbreitet. Business Intelligence (BI) oder Business Analytics (BA) sind Standardkomponenten von Enterprise-Rescource-Planning (ERP)-Anwendungen. Diese Werkzeuge dienen bisher zur Datenaufbereitung beziehungsweise -visualisierung. Sie liefern die aggregierten Daten, die das Management als Entscheidungsgrundlage benötigt. KI-Komponenten eröffnen die Möglichkeit, Teile der Entscheidungsumsetzung anzustoßen, zu orchestrieren, anzupassen und zu überwachen.
Eine neue Manager-Rolle
Unternehmen ersetzen ihre Führungskräfte nicht durch Code-Zeilen. Auch hier ist die Entwicklung mit dem Medizinsektor vergleichbar: KI-Anwendungen helfen dabei, die Qualität der Entscheidungen durch bessere Informationen, schnellere Analysen und das Entlasten von Routinearbeiten zu verbessern. Sie verändern die Rollen und die Aufgabenbereiche von Managern.
Führungskräfte in Unternehmen haben ein breit gefächertes Aufgabenspektrum. Dazu gehören Rechnungs- oder Urlaubsfreigabe oder die Informationsrecherche für das Erarbeiten neuer Sachverhalte. Oder das Zusammenstellen von Teams für neue Aufgaben und das strategisch-kreative Erarbeiten neuer Konzepte: Auf der Seite der Routinetätigkeiten lassen sich KI-Anwendungsfälle schnell identifizieren. Diese regelmäßig wiederkehrenden Arbeiten übernehmen Systeme teilweise oder ganz.
Beispiel Urlaubsantrag: Beim Eingang eines Antrages prüft eine entsprechend trainierte KI-Anwendung den verbleibenden Urlaubsanspruch des Mitarbeiters, sie fragt Einsatzpläne und Teamkalender ab. Gleichzeitig vergleicht sie die Situation mit den Entscheidungen der Vergangenheit. Am Ende steht die von der KI-Lösung getroffene Entscheidung „Urlaub zustimmen“ oder „Urlaub ablehnen“. Je nachdem, wie „sicher“ sich die Lösung ist, legt sie den Fall der Führungskraft vor – oder die nächsten Schritte wie Freigabe, Information an die Personalabteilung oder Eintrag in den Teamkalender eigenständig.
Routineaufgaben von Managern können KI-Lösungen teilweise automatisieren (Quelle: adesso AG)
Freiheit und Kreativität anstatt Routine
In diesen oder ähnlichen Prozessen statten Entscheider KI-Systeme mit Freiheitsgraden aus. Dieses Vorgehen müssen sie den Mitarbeitern gegenüber transparent beschreiben. Nur so werden sie in der Belegschaft Akzeptanz schaffen. Unternehmen sollten verdeutlichen, welche Vorteile der Einsatz von Automatisierungsroutinen bringt. Dazu gehören beispielsweise kürzere Reaktionszeit oder mehr Fairness bei Entscheidungen. Beschäftigte dürfen nicht das Gefühl bekommen, einem seelenlosen Apparat ausgeliefert zu sein. Denn richtig in der Organisation verankert, hilft KI Verantwortlichen, ihre Arbeitszeit für die Arbeit mit Menschen und für kreative Tätigkeiten einzusetzen. Eine gute Situation für Manager, die hier ihre Stärken haben.
Nicht nur bei diesen Routinetätigkeiten können KI-Anwendungen unterstützen. Entsprechende Lösungen entlasten Manager auch bei Rechercheaufgabe. Regelmäßig stehen diese vor der Aufgabe, in einer Vielzahl von Datenquellen die Informationen zu finden und zu analysieren, die für Strategieentscheidungen notwendig sind. Dazu gehören interne Systeme wie das Customer-Relationship (CRM)- oder ERP-System.
Relevantes Know-how on demand
Genauso wichtig sind externe Informationen. Relevant sind beispielsweise Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen auf nationaler oder internationaler Ebene, neue Entwicklungen auf den weltweiten Märkten oder neue Studien. Diese Informationen liegen häufig in nicht-strukturierter Form vor. Für Manager ist es kaum möglich, alle Quellen mit der notwendigen Sorgfalt zu sichten, zu prüfen, zu analysieren und für die eigenen Planungen zu nutzen.
Hier kommt die Fähigkeit von KI-Lösungen ins Spiel, mit in natürlicher Sprache verfassten Texten umgehen zu können. Trainierte Systeme erfassen den Sinn von Inhalten, fassen Dokumente zusammen, arbeiten Zusammenhänge zwischen Informationen heraus und stellen diese Zusammenfassungen beispielsweise in Form von Dossiers dar. So eine Anwendung ist nicht mit einer klassischen Anfrage in einer Suchmaschine vergleichbar. KI-Anwendungen extrahieren mithilfe von maschinellen Lernverfahren Thema sowie Informationen über die Semantik des Textes und bündeln Relevantes in einer Zusammenfassung. Bisher steht ein persönliches Experten- und Beraterteam nur Spitzenmanagern in Großunternehmen zur Verfügung. KI-Technologien helfen, dass Führungskräfte aller Hierarchiestufen auf so einen Know-how-Pool Zugriff haben. Ihnen stehen automatisierte Analysen auf Knopfdruck zur Verfügung. Dies reduziert die Recherchezeit und verbessert gleichzeitig das Ergebnis.
Fazit
Die beiden Anwendungsfälle für KI im Management zeigen, wie die Technologien auf unterschiedlichen Ebenen die Arbeit von Führungskräften verändern. Sie befreien von Routine, sie erleichtern die Recherche. Weitere Anwendungsfelder sind denkbar: das automatische Zusammenstellen von Teams für Kundenprojekte auf Basis von Fähigkeiten, Persönlichkeiten und Verfügbarkeiten. Oder das Unterstützen bei Design- und Kreativprozessen durch KI-gestützte Textwerkzeuge.
Aktuell zeichnet sich eine Entwicklung ab, die die Autoren Reeves und Ueda in ihrem Grundlagenartikel „Designing the Machines That Will Design Strategy” als „integrated strategy machine“ bezeichnen [2]. Diese integrierte Strategiemaschine entsteht durch das Zusammenspiel von Mensch und KI. Ihr Ziel ist es, das Ergebnis der menschlichen Entscheidungen zu verbessern – und nicht das menschliche Denken zu ersetzen. Ein System, in das jede Seite ihre Stärken einbringt – Kreativität und Menschlichkeit auf der einen, Geschwindigkeit und Genauigkeit auf der anderen Seite. So entsteht etwas, das besser ist als die Summe der einzelnen Teile.
Prof. Dr. Volker Gruhn gründete 1997 die adesso AG mit und ist heute Vorsitzender des Aufsichtsrats. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Software Engineering an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte in diesem Bereich liegen auf mobilen Anwendungen und der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Digitalen Transformation, insbesondere der Entwicklung und des Einsatzes von Cyber-Physical Systems.
Referenzen
[1] Wichert, Andreas: „Künstliche Intelligenz“, unter: https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/kuenstliche-intelligenz/6810 (abgerufen am 21. Januar 201).
[2] Reeves, Martin; Ueda, Daichi: “Designing the Machines That Will Design Strategy”, unter: https://hbr.org/2016/04/welcoming-the-chief-strategy-robot (abgerufen am 27. Januar 2018).