“Wenn in vielen Industrieunternehmen fast die Hälfte des Umsatzes auf den Service entfallen sollen, muss dieser noch eher wenig digitalisierte Bereich effizienter und flexibler gemacht werden. ”
Text: Dr. Matthias Gutknecht, Business Development Manager bei der STAR AG
und Dr. Martin Ley, Professor für Informationsmanagement an der Hochschule München
Spätestens beim Service enden die meisten Digitalisierungsoffensiven in den Industrie-unternehmen. Die Bereitstellung von servicerelevanten Informationen via Handbuch ist leider noch die Regel. Eine nahtlose Integration der Informationen in die unterschiedlichen Serviceprozesse wie der Instandhaltung ist selten gegeben. Neue Standards und Methoden schaffen hier Abhilfe. Durchgängiges semantisches Informationsmanagement bietet eine zukunftssichere Möglichkeit, den Service Schritt-für-Schritt digital zu unterstützen und die Service-relevanten KPIs zu verbessern.
Der Anteil des Service am Gesamtumsatz und damit dessen strategische Bedeutung in Industrieunternehmen nimmt laufend zu. Service-Applikationen versprechen die notwendige Unterstützung, indem sie Instandhaltungswissen digital, kontextbezogen und anwenderfreundlich aufbereiten. Hier kommen neue Standards wie iiRDS ins Spiel, die es erlauben, Produktwissen lieferantenübergreifend einheitlich und digital zur Verfügung zu stellen. Es fehlt allerdings die in der Deutschen Normungsroadmap Industrie 4.0, Version 4 (Wegener, D. et al., 2020) geforderte „semantische Interoperabilität“ – also auch für digitale Prozesse auswertbare Inhalte.
Im Folgenden werden die strategischen Herausforderungen im Service und die Trends in Bezug auf eine effiziente, standardisierte, digitale Bereitstellung von vernetztem Produktwissen vorgestellt. Wir zeigen auf, wie mit Hilfe von Wissensgraphen Instandhaltungswissen für digitale Aftersales-Anwendungen nutz- und auswertbar wird.
In der nächsten DOK.Ausgabe gehen wir detaillierter auf das semantische Informationsmanagement ein. Wir zeigen, dass bereits bei der Erfassung der Inhalte die Voraussetzungen für exzellenten Service gelegt werden und einige der Hürden des hier skizzierten Ansatzes überwunden werden können. So lassen sich Produktivität und Mehrwert im Service bestmöglich steigern.
Strategische Herausforderungen im Service
Wachsende Bedeutung des Service: Eine Studie der Impuls Management Consulting aus dem Jahr 2020 zeigt, dass die Bedeutung des Kundenservice in der deutschen Industrie laufend wächst: Lag der Umsatzanteil des Aftersales Service 2010 noch bei 20 Prozent, so betrug er 2020 bereits 30 Prozent. Bis 2030 erwartet Impuls eine weitere Steigerung auf 40 bis 50 Prozent Umsatzanteil.
Wenn also in einigen Jahren in vielen Industrieunternehmen fast die Hälfte des Umsatzes auf den Service entfallen sollen, muss dieser noch eher wenig digitalisierte Bereich effizienter und flexibler gemacht werden.
Servicerelevante KPIs: Die wichtigsten Key Performance Indicators (KPIs) im Service, die mit den in diesem Artikel beschriebenen Maßnahmen verbessert werden können, sind:
- Für Installation und Montage: Right-First-Time Rate (Häufigkeit der Fehlerfreiheit beim ersten Versuch), Montagezeit, Verrechenbare Montagezeit und Kosten (Übereinstimmung mit Vertrag)
- Wartung und Instandhaltung: Overall Equipment Effectiveness (OEE) berücksichtigt Verfügbarkeit, Leistung und Qualität, Mean Time Between Failures (mittlere Betriebsdauer zwischen Ausfällen), Mean Maintenance Down Time (mittlere Stillstandszeit für Wartung)
- Diagnose und Reparatur: First-Time-Fix Rate (Häufigkeit der Störungsbehebung im ersten Versuch), Fehlersuchzeit, Ersatzteil-Umsatz
Sämtliche oben aufgeführten Service KPIs werden durch kontextgenaues, praxisgerechtes digital vermitteltes Instandhaltungswissen positiv beeinflusst. Wie das geht, wird im folgenden Abschnitt aufgezeigt.
Lösungsansatz mit Wissensgraphen
Für die Instandhaltung werden von unterschiedlichen Personen mit verschiedenen Rollen und Aufgaben unterschiedlichste Informationen wie z. B. Reparaturanleitungen, erforderliche Ersatzteile, Fehlersuchbäume oder Stromlaufpläne benötigt. Diese liegen oft in verschiedenen Systemen wie einem Component Content Management System, einem Ersatzteilkatalog oder einer Diagnosedatenbank vor.
Einen zentralen Zugriffspunkt, über den diese Informationen kontextspezifisch und situativ bereitgestellt werden, gibt es normalerweise nicht. Wissensgraphen versprechen genau hier eine attraktive Lösung, indem sie heterogene Informationen aus unterschiedlichen Informationsquellen virtualisieren und vernetzen.
Bestandteile eines Wissensgraphen: Die Grundarchitektur eines solchen Wissensgraphen könnten aussehen wie in Bild 1. Die Informationssilos enthalten sowohl strukturierte als auch unstrukturierte Informationen, die je nach System und Informationsart unterschiedliche Informations- und Metadatenmodelle haben und somit auf den ersten Blick nicht miteinander „verknüpfbar sind“. In einem Wissensgraphen finden die Informationen jedoch zusammen.

Die Basis dafür liefert die sogenannte Ontologie. Diese ist die explizite, formale Repräsentation des Wissens einer bestimmten Domäne. In ihr ist definiert, welche Klassen von Objekten es in der Domäne gibt und wie diese Objekte zueinander in Beziehung stehen. Beispiele für mögliche Klassen sind „Produkte“ sowie deren „Komponenten“ und „Bauteile“, aber auch unterschiedliche „Reparaturinformationen“ oder „Ersatzteile“. Typische Relationen sind z. B., dass ein Produkt aus Komponenten besteht oder eine Reparaturinformation zu einer Komponente gehört.
Informationen in eine Graphdatenbank überführen: In einer Graphdatenbank werden die in den Informationssilos enthaltenen Informationen über sogenannte „Stellvertreterobjekte“ repräsentiert; die Klassen der Ontologie werden durch konkrete Informationen instanziiert. Dies ermöglicht, dass nun auch zwischen den konkreten Instanzen Relationen bestehen: z. B. der konkrete „Kompressor X“ besteht aus dem konkreten Bauteil „Kurbelgehäuse Y“, zu diesem Bauteil gibt es die „Reparaturinformation Z“, die wiederum das Ersatzteil „Kurbelgehäuse ET-Y“ benötigt.
Dieser Informationsgehalt lässt sich in sogenannten gerichteten Graphen repräsentieren. Die Knoten des Graphen stehen dabei für das Subjekt respective die Objekte, die Kanten entsprechen den Prädikaten. Damit diese Repräsentation maschinenlesbar ist, wird sie in einer bestimmten Sprache wie z. B. RDF ausgedrückt. Diese vernetzten Informationen sind eine ausgezeichnete Basis für wertschöpfende Serviceprozesse.
Eine große Herausforderung besteht darin, die konkreten Informationen aus den Informationssilos im Wissensgraphen zu instanziieren. Hierfür bedarf es eines oder mehrerer Konvertierungswerkzeuge, die vorhandene Informationen auf Basis der zugrunde liegenden Informations- und Metadatenmodelle für definierte Anwendungsfälle in die Graphdatenbank automatisch überführen. Oftmals wird dabei auf ein einfaches Mapping zurückgegriffen, da die Informationen meist strukturiert oder halbstrukturiert vorliegen. Sollten die Informationen nur unzureichend „gemappt“ werden können, helfen eventuell zusätzliche Funktionalitäten wie Text Mining oder Entity Extraction.
iiRDS als (Teil-)Ontologie: Für die Modellierung der Domäne kann häufig auf bereits bestehende Ontologien zurückgegriffen werden. Der von der tekom entwickelte intelligent information Request and Delivery Standard, kurz iiRDS, bietet sich beispielsweise an, um das Wissen rund um die Informationen zu beschreiben.
iiRDS wurde eigentlich geschaffen, um Information „unabhängig von verschiedenen Branchen und Herstellern“ bereitzustellen. „Erreicht wird dies“, so die tekom auf ihrer Homepage, „durch die zugrundeliegenden standardisierten Metadaten, die Inhalte semantisch erschließbar machen und es ermöglichen, Dokumentationsinhalte über Herstellergrenzen hinweg auszutauschen und zu nutzen“. Bei iiRDS handelt es sich um eine Ontologie im oben beschriebenen Sinne. Die erwähnten Metadaten können als Klassen aufgefasst werden, die die Informationsobjekte standardisiert (semantisch) beschreiben z. B. wie folgt:
- Informationseinheit – gibt an, ob es sich bei dem Informationsobjekt um ein Dokument, Topic, Fragment oder Paket handelt
- Informationstyp – gibt an, um welchen Dokument- (Bsp. Bediener- oder Wartungsanleitung, etc.) oder Topictyp (Bsp. Anleitung, Beschreibung, Referenz, etc.) es sich bei dem Informationsobjekt handelt
- Thema – gibt an, worüber es in dem Informationsobjekt geht (Bsp. Technische Daten, Wartungsplan, etc.)
- Lebenszyklus – gibt an, in welcher Phase des Produktlebenszyklus das Informationsobjekt anwendbar ist (Bsp. Installation, Wartung, etc.)
- Funktionale Metadaten – geben an, welche Ressourcen wie Qualifikationen, Zeiten, Werkzeuge und Materialien benötigt werden und für welche Ereignisse das Informationsobjekt anwendbar ist (Bsp. Fehlercode).
- Komponente – gibt an, zu welchem Produkt (Bsp. Kompressor) bzw. welcher Komponente (Bsp. Kurbelgehäuse) das Informationsobjekt gehört.
Die Relationen zwischen den Klassen sind ebenfalls definiert. Es stellt sich jedoch die Frage, wie die Informationsobjekte als Instanzen der iiRDS-Klassen aufgefasst und in den Wissensgraphen integriert werden.
Informationsobjekte als Instanzen von iiRDS-Klassen: Generell kann festgehalten werden, dass die Transformation aus den Informationssilos in den Wissensgraphen, also die Instanziierung, auf Basis der den Informationssilos zugrunde liegenden Informations- und Metadatenmodellen geschieht. Bestehende Metadaten werden dabei genutzt, um die Informationsobjekte zu klassifizieren. Die Informationsobjekte erhalten somit „von außen“ ihre (iiRDS-spezifische) Bedeutung zugeschrieben. Je genauer ein Informationsobjekt in den Quellsystemen charakterisiert ist, desto exakter gelingt die Überführung in den Wissensgraphen.
Shortcomings und Ausblick
Sehen wir uns aber die Informations- und Metadatenmodelle sowie die erfassten Informationen in den Unternehmen an, so stellen wir fest, dass ganz viel Bedeutung gar nicht explizit, sondern nur als Text in den Informationsobjekten vorhanden ist.
- Der Bezug von einem Informationsobjekt zu der Komponente, zu der es gehört, ist nur in der Überschrift hergestellt.
- In einer Reparaturanleitung ist ein Handlungsschritt enthalten, der ein bestimmtes Ersatzteil benötigt. Dieses ist aber lediglich im Text „hervorgehoben“ als „Ersatzteil: Kurbelgehäuse“.
- In einer Wartungstabelle ist das Wartungsintervall nur im Tabellenkopf als Text enthalten.
Für eine Maschine ist der Blick in die Informationsobjekte „verschleiert“, die Information lässt sich unter Umständen nicht wirklich „greifen“ und automatisch auswerten. Die Transformation/Konvertierung der Informationsobjekte als Instanzen einer Klasse gelingt womöglich nur sehr rudimentär. Der semantische Gehalt der in den Informationsobjekten enthaltenen Informationen kann – wenn überhaupt – nur sehr aufwändig mittels semantischer Technologien erschlossen werden. Wir nennen dieses Phänomen die „Informations-Blackbox“.
Dieses Phänomen ist der „Pferdefuß“ der rein auf Metadaten beruhenden Ansätze. Im zweiten Teil dieses Artikels erfahren Sie, wie wir mithilfe eines durchgängigen, zukunftssicheren semantischen Ansatzes diese „Informations-Blackbox“ aufbrechen und sich das volle Potenzial Ihrer Daten entfalten kann.
Mit über 30 Jahren Erfahrung und Standorten in über 30 Ländern zählt STAR zu den führenden Anbietern im Bereich multilingualer Informationstechnologien. Wer bei neuen Digitalisierungstrends mit dabei sein will, muss Informations- und Sprachprozesse als integralen und synchronisierten Bestandteil von Marketing, Produktentwicklung, Produktion und Kundendienst beherrschen.
Referenzen
[1] Gutknecht, M., Ley, M. (2020). Information bedarfsgerecht verpackt. In: technische kommunikation, 03/20.
[2] iiRDS Website (2021). [Online]. Verfügbar: https://iirds.org (Stand: 22. Juni 2021).
[3] iiRDS Einführung (2021). [Online]. Verfügbar: https://iirds.org/material-downloads/iirds-a-short-introduction/ (Stand: 22. Juni 2021).
[4] Impuls Studie (2020). Digital Service Highway, Die Transformation zum vernetzten Service.
[5] M. Ley, K. Schrempp (2021): Raus aus dem Informationsdilemma. In: technische kommunikation 4/21, S. 31-37.
[6] Wegener, D. et al., DIN/DKE (2020). Deutsche Normungsroadmap Industrie 4.0, Version 4. [Online]. Verfügbar: https://www.din.de/en/innovation-and-research/industry-4-0/german-standardization-roadmap-on-industry-4-0-77392 (Stand: 22. Juni 2021). S. 52-56.