Ein Appell zur Prozessautomatisierung: Alle mal mitdenken, bitte!

Zwei von drei Unternehmen beabsichtigen ihre Prozesse zu automatisieren – so das Ergebnis der Studie „Potenzialanalyse Operative Effizienz“ von Sopra Steria und dem F.A.Z.-Institut [1]. Hierfür sind zahlreiche Workflow-Produkte entweder als Stand-alone- oder als Bestandteil von DMS-Lösungen verfügbar. Doch die ausreichende Funktionalität der Software ist nur ein kleiner Teil, der zur Prozessoptimierung beiträgt. Viel entscheidender ist, dass Unternehmen vor der Einführung einer Workflow-Lösung ihre Hausaufgaben erledigen. Dazu gehört vor allem eine Analyse bestehender Prozesse und das Erkennen von Schwachstellen.

 

  Autor  – Adruni Ishan, Prokurist der ecoDMS GmbH

 

Alles muss unter die Lupe

Ohne ein tiefgreifendes Verständnis darüber, wie die Prozesse ablaufen, ist es unmöglich, diese zu optimieren. Schließlich kann ein ineffizienter papierbasierter Ablauf durch eine digitale Abbildung bestenfalls nur marginal besser werden. Die Weiterleitung auf digitalem Weg erfolgt schneller und alle Prozessbeteiligten haben Zugriff auf geschäftsrelevante Dokumente.

„Der große Wurf“ gelingt aber erst dann, wenn Workflows ganzheitlich in Augenschein genommen werden. Welche Personen sind wann involviert? Wie gestaltet sich das Zusammenspiel zwischen den Abteilungen? Welche Ausnahmen gilt es zu berücksichtigen? Welche Prozesse sind voneinander abhängig? Auf welche Informationen muss der Sachbearbeiter zugreifen, um den Prozess zu bearbeiten? Wo sind diese Daten abgelegt? Welche Schnittstellen zwischen den IT-Systemen sind vorhanden bzw. müssen noch entwickelt werden? Dies sind einige typische Fragestellungen, die bei der IST-Analyse lückenlos beantwortet werden sollten. Erst dann ist es möglich, einen Workflow so zu modellieren, dass er höchst automatisiert verläuft.

Think big, start small  

Die Erfahrung zeigt, dass selbst in ein und denselben Fachbereichen in einer Branche unterschiedliche Gegebenheiten vorhanden sind und damit verschiedenste Herausforderungen zum Vorschein kommen. Es gibt keine standardisierten Checklisten, die Unternehmen abarbeiten und mit denen sie ihre Abläufe bewerten, geschweige denn optimieren können. Erst eine individuelle Herangehensweise und der damit verbundene Blick in die Betriebsabläufe bringt den erhofften Erfolg bei einem Workflow-Projekt.

Zweifelsohne können Unternehmen nicht über Nacht sämtliche Abläufe neu gestalten. Vielmehr sollten sie sukzessiv vorgehen. In der Praxis heißt dies, dass sich alle Beteiligten zur Bestandsaufnahme an einen Tisch setzen. Hierzu gehören vor allem Vertreter aus der Poststelle, der Buchhaltung, der IT, dem Vertrieb, der Sachbearbeitung, dem Personalwesen und aus dem Einkauf. Also Abteilungen, in denen Dokumente einen Prozess auslösen. Oft haben diese Abteilungen unterschiedliche Interessen, die dann im Rahmen eines Workshops auf einen gemeinsamen Nenner zusammengeführt werden sollten. Diese Vorgehensweise, also die Einbeziehung der Mitarbeiter, hat zusätzlich den Vorteil, dass alle Beteiligten frühzeitig in die Neustrukturierung einbezogen werden und vom Nutzen überzeugt werden können. Mögliche Widerstände wie „das haben wir schon immer so gemacht“ oder die Angst um den Arbeitsplatz lassen sich so entkräften, bevor sie sich festigen.

Genau hinschauen, wer zuerst an der Reihe ist

Anschließend geht es darum, die Prozesse nach und nach zu analysieren, um dabei eine Prioritätenliste zu definieren. Hierbei stehen natürlich die Prozesse mit dem größten Optimierungspotenzial an oberster Stelle. So zeigt eine Studie von Sage, dass deutsche Unternehmen 2019 3,9 Prozent ihrer Zeit mit unproduktiven administrativen Tätigkeiten verbrachten, was Einbußen von rund 30 Milliarden Euro entspricht. Das sind 6,4 Prozent mehr als im Vorjahr [2]. Ein Großteil der betrieblichen Kapazitäten wird, so die Studie weiter, unter anderem durch die manuelle Verfolgung noch nicht bezahlter Rechnungen bzw. die Rechnungsbearbeitung allgemein gebunden.

Meist stellt sich daher der Prozess „bestellbezogener Rechnungseingang“ als einer derjenigen heraus, der sich über Workflow-Mechanismen hochgradig automatisiert abbilden lässt. Rechnungen können aus verschiedenen Eingangskanälen (E-Mail, Post etc.) gebündelt, beispielsweise zur formellen Freigabe an die Buchhaltung weitergeleitet werden. Verlorene Skonti und vergessene Rechnungen gehören damit der Vergangenheit an. Der nächste Schritt könnte dann das Einbinden der Fachbereiche sein, die weitere Bearbeitungsschritte oder Freigaben vornehmen. Sind alle Freigaben erfolgt und der Prozess erfolgreich durchlaufen, können die Ergebnisse an ein Zielsystem, z. B. eine CRM- und oder ERP-Lösung, übergeben werden.

Den Blickwinkel erweitern

Darüber hinaus ist es empfehlenswert, die Prozessoptimierung gemeinsam mit einem Partner vorzunehmen, der über das notwendige Know-how verfügt. Denn mit einem neutralen Blick von außen lassen sich Optimierungspotenziale oft besser erkennen als mit einer aufgesetzten Betriebsbrille. Auch hier spielt die Mitarbeiterakzeptanz eine Rolle, denn Vorschläge von Externen mit entsprechenden Erfahrungswerten werden in der Regel eher angenommen als die des eigenen Managements.

Idealerweise hat der involvierte Partner die Gelegenheit, sich die betreffenden Arbeitsplätze direkt anzusehen. So ist der Praxisbezug weitaus höher, als wenn die Prozesse nur am Reißbrett betrachtet werden. Der Berater erhält so einen unmittelbaren Einblick in die Arbeitsweise bzw. die Ausstattung der Arbeitsplätze und kann konkrete Empfehlungen aussprechen, wie sich bestehende Abläufe optimieren lassen oder aber wo noch Investitionen in erforderliche Hardware, z. B. einen Tisch-Scanner erfolgen sollten. Damit diese realistische Prozessaufnahme durch Kontaktbeschränkungen nicht verloren geht, können Unternehmen mithilfe einer AR-Brille eine Rundumsicht auf die jeweiligen Arbeitsplätze ermöglichen.

‚One size fits all‘ ist kein Joker

Sind die Schwachstellen vorhandener Prozesse identifiziert, geht es darum, die Abläufe mit einer passenden Workflow-Lösung neu zu modellieren. Dazu muss natürlich zunächst das passende Produkt evaluiert werden. Da der Funktionsumfang in den vergangenen Jahren immens gewachsen ist, stehen Unternehmen hier vor der Qual der Wahl. Aber die notwendige Funktionalität ist nur ein Bewertungskriterium. Schnittstellen zu den bereits eingesetzten Software-Lösungen sollten ebenfalls bei der Evaluierung berücksichtigt werden.

Vor allem sollten Unternehmen bei der Produktauswahl darauf achten, dass die Software ein Höchstmaß an Flexibilität mitbringt. Diese betrifft nicht nur das Modellieren von Abläufen, sondern zieht sich über die Aufgabenverwaltung und die Rollenverteilung bis hin zum Designen der Benutzeroberfläche. Letzteres ist ein wichtiger Punkt, denn sowohl die Prozesse als auch die Anwender sind in jedem Unternehmen unterschiedlich. Um eine hohe Nutzerakzeptanz zu erreichen, sollten sich jegliche Masken individuell konfigurieren lassen. So können Anwender schnell auf die für sie relevanten Funktionen zugreifen. Das reduziert auch die Einarbeitungszeit.

Idealerweise sind für die Modellierung der Prozesse keine Programmierkenntnisse erforderlich. So bieten einige Workflow-Produkte mittlerweile eine grafische Oberfläche, in der sich die einzelnen Schritte mithilfe von Symbolen und Beziehungen abbilden lassen. Ein integriertes Rollen- & Benutzerkonzept erlaubt dann die Zuordnung der Unteraufgaben zu den jeweiligen Fachbereichen.

Lessons learned

Unternehmen, die ihre Prozesse optimieren wollen, sollten zunächst ihre bisherigen Abläufe akribisch unter die Lupe nehmen, um vorhandene Schwachstellen aufzudecken. Dabei gibt es keine 08/15-Herangehensweise, da jede Organisation unterschiedlich aufgebaut ist. Von daher ist es ausgesprochen hilfreich, wenn die Analyse mit externer Unterstützung vorgenommen wird. Zusätzlich sollten Unternehmen bei der Produktauswahl darauf achten, dass diese ein Höchstmaß an Flexibilität mitbringen, sodass beispielsweise die Oberfläche für jede Aufgabe individuell angepasst werden kann. So steht der Mission „Prozessautomatisierung“ kaum noch etwas im Weg.

www.ecoDMS.de

Adruni Ishan ist der Prokurist der ecoDMS GmbH. Er sieht eingehende Dokumente in einem Unternehmen als Auslöser und Informationsträger von Geschäftsprozessen. In den vergangenen Jahren hat Adruni Ishan bei ca. 30 Unternehmen mehrtägige Workshops zum Thema Digitalisierung / Optimierung dokumentenbezogener Geschäftsprozesse durchgeführt.

 

Referenzen

[1] https://www.soprasteria.de/newsroom/publikationen/potenzialanalyse-operative-effizienz

[2] https://www.sage.com/de-de/news/pressemitteilungen/2019/07/ineffiziente-verwaltung-kostet-30-milliarden-euro/