Im zentralen Posteingang von Service Centern treffen täglich Hunderte von E-Mails ein. Der Kundenservice hat alle Hände voll zu tun, das Volumen zu bewältigen: Anfragen in den vollen Postfächern gehen schnell unter, das manuelle Verteilen und Bearbeiten der E-Mails ist fehleranfällig und Antwortzeiten können kaum eingehalten werden. So auch bei dem Kundenservice Postverzollung von PostLogistics, Anbieterin für Logistikdienstleistungen und Tochtergesellschaft der Schweizerischen Post. Der Kundendienst bearbeitet jährlich über 50.000 E-Mail-Anfragen.
Autor – Oliver Wibbe, Chief Sales Officer Germany und Mitglied der deutschen Geschäftsleitung bei Swiss Post Solutions GmbH (SPS)
Die meisten E-Mails, die dort eingehen, beinhalten ähnliche Anliegen. Wie ist der Status meiner Sendung? Warum wird mein Paket durch den Zoll zurückgehalten? Wann wird mein Paket durch den Zoll freigegeben? Entsprechende Kundeninformationen suchten die Mitarbeiter manuell aus unterschiedlichen Datenbanken heraus. Informationen, wie die Tracking-Nummer des Pakets, wurden händisch abgetippt und in die Backend-Systeme eingetragen. Vorlagen für eine einheitliche Beantwortung – z. B. von Beschwerden – waren nicht vorhanden. Insgesamt ein zeitaufwändiger und ineffizienter Prozess.
Know-how mit KI kombinieren
Um den Kundendienst bei der täglichen Arbeit zu unterstützen und die Reaktionszeit auf Kundenanfragen zu verkürzen, sollte eine Lösung für effizientere Prozesse bei der E-Mail-Verarbeitung entwickelt werden. Das Ziel war, menschliches Know-how mit Künstlicher Intelligenz so zu kombinieren, dass arbeitsintensive und zeitaufwändige Arbeitsabläufe deutlich schneller und weniger fehleranfällig ablaufen und sich die durchschnittliche Bearbeitungszeit der E-Mails verkürzt. Die Prozesse sollen weiterhin inhouse betrieben werden können.
Hauptvorgabe war, dass Mitarbeiter von Routineaufgaben entlastet werden und sich auf komplexe Tätigkeiten bzw. Teilprozesse konzentrieren können, welche menschliche Fähigkeiten wie Empathie, Fachwissen und Urteilsvermögen voraussetzen. Die Lösung der beauftragten Swiss Post Solutions (SPS) basiert auf KI sowie Prozessumgestaltung und -automatisierung. Dieser Ansatz wird als Intelligente Automatisierung (IA) bezeichnet und ist ein wahrer Quantensprung auf dem Weg zu neuen digitalen Geschäftsprozessen.
Bestehende Prozesse als Ausgangspunkt
In einem ersten Schritt erfolgte eine Analyse bestehender Geschäftsprozesse. Darauf basierend entwickelten die Prozessexperten ein Lösungskonzept, das Abläufe durch KI optimiert. Zudem erstellten sie eine Liste unterschiedlichster Kundenanfragen, um die KI-Modelle vorab mit entsprechendem „Lehrmaterial“ zu trainieren.
Danach wurden die Entwicklungsarbeiten nach Vorlage der Dokumentation programmiert und User Acceptance Tests starteten. Die Tests sollten sicherstellen, dass im Pilotbetrieb alles reibungslos funktioniert und das Team von Anfang an ein positives Erlebnis mit ihrem neuen digitalen Helfer hatte. Anschließend wurde die Lösung implementiert.
E-Mail-Verarbeitung durch Step-by-Step
Die KI-Lösung erledigt die Verarbeitung der eingehenden E-Mails in mehreren aufeinanderfolgenden Schritten:
Bestimmen, verstehen, erkennen: Zunächst werden alle eingehenden E-Mails analysiert und die jeweilige Zielsprache bestimmt. Die Lösung versteht zudem die Inhalte in der jeweiligen Sprache und unterteilt diese in einzelne Bausteine (Adressat, Betreff, E-Mail-Text). Die KI-Lösung ist fähig, aus dem Kontext der Kundenanfrage herauszulesen, was das Anliegen ist. In diesem konkreten Fall erkennt die Lösung also, ob es sich z. B. um eine Anfrage zum Paketstatus oder eine Beschwerde handelt. Dabei lernt KI mit jedem einzelnen Kundenkontakt dazu. Je nach Unternehmen sind Trefferquoten von bis zu 90 Prozent heute schon realistisch und lassen sich durch Deep Learning Techniken sogar noch optimieren.
Vergleichen, einordnen, zuweisen: Die Lösung weist die Anfrage aufgrund der identifizierten Intention automatisch der richtigen Service-Kategorie zu. Dazu vergleicht sie die Intention der Kundenanfrage mit dem existierenden Ground Truth (präzise, aktuelle und vollständige Datenbasis) und ordnet die E-Mail dann dem vorgegebenen Geschäftsfall zu. Die Einordnung erfolgt auch unter Berücksichtigung der eingangs erkannten Sprache.
Die Fähigkeit automatisch Sprachen zu erkennen, ist vor allem in international agierenden Service Centern von großem Vorteil, da Anfragen direkt dem Agenten zugewiesen werden können, der die Sprache des Kunden spricht. Letztendlich wird die E-Mail basierend auf erkannter Sprache und zugeordneter Kategorie automatisch an den richtigen Mitarbeiter weitergeleitet.
Identifizieren, extrahieren, unterstützen: Gleichzeitig identifiziert die Lösung relevante Daten, z. B. die Sendungsnummer des Pakets und extrahiert sie (Data Extraction). Mit der extrahierten Kennung werden in den vorhandenen Back-End-Systemen automatisch fallrelevante Informationen über die Sendung gesucht und dem entsprechenden Mitarbeiter ebenfalls zur Verfügung gestellt.
Öffnet der Mitarbeiter nun die ihm zugewiesene E-Mail, werden alle benötigten Informationen zum Abschließen des Falls auf dem Bildschirm angezeigt. Je nach Kategorie und Inhalt der Kundenanfrage stellt das System eine Antwortvorlage und weitere Informationen wie etwa Verzollungspapiere zur Anfrage bereit. Der Mitarbeiter muss die Vorlage lediglich überprüfen und gegebenenfalls zusätzliche Informationen hinzufügen. Danach wird die Antwort per E-Mail an den Kunden geschickt. Bei einer erneuten Kontaktaufnahme durch den Kunden stellt die Lösung darüber hinaus sicher, dass die E-Mail beim gleichen Bearbeiter landet.
Integration zusätzlicher Geschäftsbereiche
Die implementierte KI-Lösung sorgt für einen schlanken Antwortprozess und führt zu einer erheblichen Zeit- und Kostenreduktion sowie einem schnelleren Kundenservice. Die Lösung macht zudem weitere Prozessbereiche überprüfbar, so etwa die durchschnittliche Bearbeitungszeit einzelner Mitarbeiter oder die Erfolgsquote beim Erstkontakt. Durch das Feedback können weitere Maßnahmen vorgenommen und die Bearbeitungszeit pro E-Mail weiter reduziert werden. Darüber hinaus nutzt PostLogistics die im Rahmen der Maßnahme gesammelten Daten, um weitere Geschäftsprozesse mithilfe von Robotic Process Automation zu optimieren.
Fazit
Durch angewandte Künstliche Intelligenz bieten sich Unternehmen entscheidende Wettbewerbsvorteile. Denn sie müssen im Kunden-service schneller und intelligenter als die Konkurrenz agieren. Dazu muss ein möglichst großer Teil der Routineaufgaben automatisiert sein. Dafür bildet Intelligente Automatisierung eine wichtige Basis. Mithilfe von IA können Unternehmen die Lücke zwischen Kundenerwartungen und Realität schließen. Sie kombiniert Menschen, Prozesse und Technologie und beschleunigt somit den Weg zum Erfolg.
Was ist Intelligente Automatisierung?
Intelligente Automatisierung bezieht sich auf einen Mix aus Technologien, die Unternehmen helfen, komplexe und volumenstarke Aufgaben zu automatisieren. In der Regel umfasst das eine Kombination aus Künstlicher Intelligenz und Robotic Process Automation (RPA). Durch die Integration wegweisender kognitiver Technologien ist IA in der Lage, den Inhalt von Dokumenten, wie Kunden-E-Mails, zu verstehen. Natürliche Sprachverarbeitung (Natural Language Processing, NLP) wird genutzt, um unstrukturierte Informationen aus unterschiedlichen Quellen zu lesen. Natürliches Sprachverständnis (Natural Language Understanding, NLU) extrahiert diese Inhalte und kann die dahintersteckenden Emotionen verstehen und die zugrunde liegenden Konzepte und Absichten extrahieren. Anschließend lassen sich diese Informationen mithilfe von RPA zur Weiterverarbeitung in die entsprechenden Systeme verschieben.
Swiss Post Solutions GmbH (SPS) ist führender Anbieterin von Lösungen zur Auslagerung von Geschäftsprozessen und innovativen Dienstleistungen im Dokumentenmanagement in Bamberg. SPS ist ein Konzernbereich der Schweizerischen Post mit Hauptsitz in Bern.