E-Mails und Datentabellen sind kaum geeignet, um damit die Arbeit in einem über Ländergrenzen hinweg agierenden Unternehmen zu organisieren. Diese Kommunikationsformen haben gewaltige Nachteile, die in der digitalen Welt immer stärker zu Tage treten, weil sie zu sehr ihren analogen Vorbildern entsprechen. Vor allem geben sie zu wenig Kontext. Aus diesem Grund hat Andrew Filev eine eigene Kommunikationsplattform entwickelt, die die Anforderungen digitalen Arbeitens abbildet. Im Gespräch mit dem DOK.magazin stellt sich Andrew Filev, Gründer und CEO von Wrike, den aktuellen Fragen der digitalen Arbeitswelt.
Herr Filev, Arbeiten 4.0 und Workforce Management waren Leitthemen der Hannover Messe 2016. Wie sieht Ihrer Einschätzung nach die Zukunft der Arbeitswelt aus?
Um zu verstehen, wie wir zukünftig arbeiten, ist es wichtig, sich klar zu machen, wie die Menschen in Zukunft „ticken“. Denken wir zehn Jahre voraus. Die heute als „Digital Natives“ definierte Bevölkerungsgruppe hat sich bis dahin ins gehobene Management und zum Teil in die Führungsetagen hochgearbeitet. Die dann jungen und kreativen Neueinsteiger sind alle in den 2000er Jahren geboren. Als sie eingeschult wurden, gab es bereits das erste iPhone. Diese Generation verfügt über eine hohe Technologiekompetenz und ist mit dem Web 2.0 aufgewachsen. Sie nutzen digitale Medien nicht nur, sie leben sie. Dementsprechend wird das, was wir heute unter dem Stichwort BYOD verstehen – und heute noch als problematisch gilt – überhaupt nicht mehr zur Debatte stehen. Das flexible, mobile Arbeiten von unterschiedlichen Orten aus wird Gang und Gäbe sein.
Angesichts der exponentiellen Vermehrung von Wissen wird künftig die Hauptaufgabe in vielen Berufen darin bestehen, aus den unzähligen Daten diejenigen herauszufiltern, die in der jeweiligen Situation relevant sind. Deshalb werden asynchrone Kommunikationsformen wie E-Mails in zehn Jahren ausgedient haben und durch andere Tools ersetzt, die Echtzeit-Kommunikation im entsprechenden Kontext ermöglichen.
Digitalisierung soll Unternehmen produktiver und damit wettbewerbsfähiger machen. Das hört sich in der Theorie gut an, an welchen Punkten muss man aus Ihrer Sicht ansetzen?
Schnelligkeit ist das Wettbewerbskriterium Nr. 1. Die beste Digitalisierungsstrategie ist daher die, die Mitarbeiter von Routinearbeit entlastet und gleichzeitig produktiver und kreativer macht. Wir haben im vergangen Jahr eine Umfrage unter rund 1.400 Mitarbeitern verschiedener US-amerikanischer Unternehmen durchgeführt, um herauszufinden, welches die größten Hemmnisse für Produktivität sind. 60 Prozent der Befragten gaben an, dass das gleichzeitige Bearbeiten zu vieler Dinge auf einmal für sie das größte Produktivitätshemmnis darstellt. Der größte Stressfaktor ist für 52 Prozent der Mitarbeiter das Fehlen von Information.
Ferner hat die Studie gezeigt, dass in Meetings häufig nur aktuelle Projektstände besprochen werden, und die Teilnehmer das Meeting oft nicht mit einer klaren Handlungsanweisung verlassen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Informationen im Unternehmen in Silos festsitzen, die mit den aktuell gängigen Arbeits- und Organisationsformen im Unternehmen nicht aufgebrochen werden können.
Und wie könnte man diese Schwierigkeiten Ihrer Erfahrung nach bewältigen?
Ich empfehle, folgende Probleme zuerst anzupacken: Zunächst wären da die Daten-Silos: Relevante Informationen sind nicht schnell verfügbar, weil sie auf zu viele Kommunikationskanäle oder Speicherorte verteilt sind. Abhilfe lässt sich dadurch schaffen, dass sämtliche Konversationen zu Abstimmungsschleifen, Feedback, Projektstände etc. zusammen mit den zugehörigen Dokumenten an einem Ort gespeichert und für alle Beteiligten jederzeit zugänglich sind. Dies schafft eine Kultur der Transparenz und ermöglicht höhere Geschwindigkeiten.
Des Weiteren geht es um die Priorisierung: Jeder Stakeholder möchte seine Anfrage am schnellsten bearbeitet sehen. Unter Zeitdruck wird die Priorisierung zum Problem. Nicht selten mit der Folge, dass Mitarbeiter lange im Büro sitzen, um zumindest die wichtigsten Fristen zu halten. Dem könnte man begegnen, indem der Workload und die Prioritäten von Teams und Teammitgliedern jederzeit von allen Beteiligten einsehbar sind. So können Engstellen rechtzeitig erkannt werden.
Zuletzt noch zum Stichpunkt „Bottlenecks“: Viele Dokumente haben mehrere Freigabe-Stufen, die nachvollziehbar sein müssen – und oft bremsen Bottlenecks einen schnellen Freigabeprozess aus. Hier sind für die Lösung des Problems eindeutige Angaben zum Projektstatus und zum Freigabestand erforderlich, zum Beispiel in Form digitaler Workflows, um Transparenz zu schaffen. Außerdem sollten alle Projektinformationen im Kontext vorliegen, damit freigebende Führungskräfte die nötigen Hintergründe schnell im Blick haben.
Die Digitalisierung ist in Deutschland erklärtes Ziel, steckt in vielen Unternehmen aber noch in den Kinderschuhen. Woran liegt das?
Wenn ich den direkten Vergleich mit den USA anstelle, fällt mir zuerst der Unterschied in der Kultur und Mentalität auf. Unternehmen in den USA sind extrem kundenorientiert. Tools, die dabei helfen, dem Kunden schneller bessere Produkte als der Wettbewerb zu liefern, finden sofort Zustimmung. Die Technik-Begeisterung, gepaart mit dem typisch amerikanischen „Can-Do“-Spirit, führt zudem auf der Ebene der einzelnen Mitarbeiter schneller dazu, dass sich die Digitalisierung in Form neuer Prozesse und neuer Software durchsetzt.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Digitalisierung vor allem dann nicht funktioniert, wenn sie dem Unternehmen vom Führungsteam aufgezwungen, von den Mitarbeitern oder dem mittleren Management aber nicht mitgetragen wird. Wichtig ist daher, die Digitalisierung in der Unternehmenskultur zu verankern: Eine Kultur der Agilität, der Transparenz und der stetigen Weiterentwicklung im Unternehmen ist unbedingte Voraussetzung für das Gelingen der digitalen Transformation.
Was können Sie Managern und Teamleitern raten, die letztendlich die Digitalisierung im Unternehmen etablieren müssen?
Sie müssen die digitale Kultur vorleben. Dazu gehört etwa für Teamleiter, sich Expertenwissen im Umgang mit neuen Tools und Techniken anzueignen, um das Team glaubwürdig motivieren zu können. Wenn sie Einfluss darauf haben, können sie bei der Zusammensetzung der Teams darauf achten, dass in jedem Team ein paar Digital Natives oder technikaffine Mitarbeiter sind, die den Kollegen Hilfestellung geben können. Auf Management-Ebene sollte eine geeignete Organisationsstruktur geschaffen werden, d. h. Flexibilität, Agilität und Innovationsfähigkeit dürfen nicht nur hohle Phrasen sein. Das Unternehmen muss sich vielmehr immer wieder auf den Prüfstand stellen und analysieren, an welchen Stellen es Verbesserungsbedarf gibt. Ziel ist, den einzelnen Mitarbeiter davon zu überzeugen, dass nicht nur das Unternehmen als Ganzes, sondern auch er selbst bei seinen täglichen Aufgaben profitiert. Dann wird die Digitalisierung zum Selbstläufer.
Wie hat sich Projektmanagement und die Rolle des Projektmanagers in den letzten Dekaden verändert?
Längst planen nicht mehr nur die Kollegen Projekte, die den Titel Projektmanager tragen. Mitarbeiter aller Fachabteilungen stehen vor der Herausforderung ihre Arbeit und ihre Projekte sinnvoll zu organisieren. Auch wenn ausgebildete Projektmanager und PMOs an vielen Stellen ihre Berechtigung haben, gehört die Fähigkeit, sich und andere zu koordinieren, zu den unverzichtbaren Grundkompetenzen unserer Zeit.
Doch nicht nur die Verortung, auch die Art und Weise hat sich gewandelt: Beim heutigen Projektmanagement steht nicht mehr das Planen, Berechnen und Beaufsichtigen im Mittelpunkt, sondern vielmehr der kreative Prozess und die Zusammenarbeit. Projektmanagement funktioniert nicht mehr nach dem Wasserfall-Prinzip, mit sequentiellen Prozessen und starren Fristen, sondern ist agil geworden: Iterative Prozesse, bei denen sich Projektteams an verschiedene Anforderungen des Kunden anpassen, gewinnen an Popularität.
Diese Anpassung bedeutet aber auch, dass heute nichts mehr Standard ist: Teams werden bedarfsgerecht zusammengestellt und arbeiten sprach-, kultur- und zeitzonenübergreifend zusammen. Informationen, Materialien und aktuelle Projektstände müssen rund um die Uhr und für alle Beteiligten einsehbar sein. Das Projekt und seine Teilaufgaben sollten flexibel an neue Gegebenheiten angepasst werden können. Entsprechend müssen Projektmanagement-Tools die passende Lösung für die Anforderungen einer agilen Arbeitsorganisation bieten und für alle Mitarbeiter leicht zu bedienen sein.
Welche Rolle sehen Sie für Ihr Unternehmen als Vorreiter für agiles Projektmanagement?
Die Gründung von Wrike war für mich die logische Konsequenz aus den Defiziten, die ich vor zehn Jahren vorgefunden habe. Die vielen Ideen, die aus dieser Situation heraus entstanden sind, habe ich direkt in Wrike einfließen lassen. Seitdem versuchen wir, agiles Projektmanagement nicht nur umzusetzen, sondern auch vorzudenken. Wir freuen uns sehr darüber, dass immer mehr unserer Kunden aus Deutschland kommen. Das zeigt, dass die Digitalisierung auch in Europa Einzug hält.
Herr Filev, haben Sie vielen Dank für dieses interessante Gespräch.
Wrike ist eine Cloud-basierte Projektmanagement- und Collaboration-Lösung. Die flexibel skalierbare Lösung hilft bei der visuellen Planung von Projektaktivitäten. Wrike hat mehr als 11.000 Kunden in 120 Ländern. 2015 wurde in Dublin der europäische Firmensitz etabliert, ein europäisches Rechenzentrum soll in Kürze folgen.