„Semantik?
Ist sinnvoll.“
“Die volldigitale Instandhaltung auf Basis eines Wissensgraphen wird in den kommenden Jahren verstärkt im Servicebereich Einzug halten.”
Text: Dr. Matthias Gutknecht, Business Development Manager bei der STAR AG
und Dr. Martin, Professor für Informationsmanagement an der Hochschule München
Wenn es im Service zum Schwur kommt, stoßen herkömmliche Ansätze schnell an ihre Grenzen. Mit Metadaten ausgezeichnete Inhalte lassen sich nur bedingt in intelligente Digitalisierungslösungen für den Service integrieren. Ein durchgängiges semantisches Informationsmanagement ergänzt den Status Quo und zeigt zukunftssichere Möglichkeiten, den Service Schritt-für-Schritt digital zu unterstützen und die Serviceproduktivität und Overall Equipment Effectiveness zu verbessern.
In der letzten DOK.Ausgabe wurden die strategischen Herausforderungen im Service und die Trends in Bezug auf eine effiziente, standardisierte, digitale Bereitstellung von vernetztem Produktwissen mittels teilsemantischen Informationsmanagements anhand von Metadaten wie z. B. iiRDS vorgestellt (hier lesen).
In diesem Teil folgen nun Ausführungen, wie eine durchgängig semantische Lösung mittels Wissensgraphen aussehen könnte. Im letzten Abschnitt werden anhand von kurzen Beispielen die Vorteile eines solchen Ansatzes für Instandhaltung und Service aufgezeigt.
Semantische Informationsmodelle
Entgegen dem „Mainstream“-Ansatz, bei dem Informationsmodelle nur unzureichend hinsichtlich ihrer Semantik ausgeprägt sind (s. Schlagwort „Informations-Blackbox“), bietet es sich an, die notwendigen Ressourcen explizit anzugeben. Eine Reparaturanleitung sollte somit konkrete Informationen enthalten wie benötigte Ersatzteile, Werkzeuge und Materialien – und zwar so, dass auch deren Abhängigkeit vom Kontext (vom Arbeitsschritt, der Produktvariante, der Region, etc.) explizit gemacht wird. Aber auch die erforderliche Arbeitszeit ist eine sehr wertvolle Angabe, ganz zu schweigen von der Zuordnung zum Produkt bzw. zur Komponente, die repariert werden soll.
Ein semantisches Informationsmodell hilft hier, die Informations-Blackbox aufzubrechen. Die Information wird damit semantisch exakt in der benötigten Granularität und in ihrem Kontext bereits bei der Erfassung explizit ausgezeichnet. Das durchgängige semantische Informationsmanagement mittels Wissensgraphen legt sich somit nicht nur über die Informationsobjekte, sondern vernetzt sich tief in die Informationsobjekte selbst hinein. Der Wissensgraph findet im Informationsmodell seine logische „Verlängerung“, ist damit auch für Maschinen detaillierter auswertbar und ist charakteristisch für durchgängig semantische Informationsmanagement-Ansätze.
Ergänzung der offenen Punkte
Mithilfe des hier skizzierten Ansatzes lassen sich auch bewusst offen gelassene Aspekte in iiRDS elegant ergänzen. So bietet iiRDS beispielsweise keine standardisierten Komponentenbezeichnungen und herstellerspezifischen Optionen/Produktmerkmale. Diese ließen sich aber durch die Nutzung anderer bestehender Ontologien wie z. B. eClassOWL (the Web Ontology for Products and Services) integrieren.
Ebenso lassen sich die Andockpunkte in iiRDS für Störungsereignisse um die unternehmensspezifischen Klassen konkretisieren. Der Grundidee eines Wissensgraphen, Informationen unternehmensweit zu vernetzen, wird somit Rechnung getragen. Das Netz aus Subjekten, Objekten und Relationen kann (nahezu) beliebig um verschiedene Aspekte erweitert werden. Dies wird auch als Network Effect bezeichnet.
Beispiele und Benefits
Welche praktischen Vorteile bietet eine durchgängig semantischeDarstellung von Instandhaltungswissen über die oben erwähnte Interoperabilität hinaus? Wie steigert semantisch verfügbares Instandhaltungswissen die Produktivität im Service bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität und Flexibilität? Die untenstehenden Beispiele basieren auf den vollsemantischen Technologien der zweiten Generation GRIPS [1] und PRISMA [2] und zeigen das Potenzial dieser Technologie.
„Smarter Wartungsplaner“ – kontextabhängig warten: Heute wird immer noch oft statisch und präventiv gewartet. Der Trend geht hin zur dynamischen, prädiktiven Wartung ohne fixe Wartungspläne. Ein Mittelweg ist die dynamische, kontextabhängige Wartungsplanung.
Bei der kontextabhängigen Wartungsplanung werden neben Intervallen auch weitere Einflussfaktoren, wie zum Beispiel Nutzungsprofil, Zustand, prädiktive Modelle etc. berücksichtigt, welche tendenziell längere Wartungsintervalle erlauben. Der Wissensgraph hält die entsprechenden Abhängigkeiten fest. So plant ein Nutzfahrzeughersteller die Wartung der Fahrzeuge abhängig von der exakten Fahrzeugkonfiguration, dem Einsatzprofil (Fernfahrten oder Einsatz in Innenstadt), der verwendeten Treibstoffqualität/Schmiermittelqualität, Fahrzeug-Verfügbarkeit, Garantie-Anforderungen, etc. Damit werden die Wartungsintervalle im Durchschnitt länger und die „Total Cost of Ownership“ für den Betreiber niedriger. Das steigert die Kundenzufriedenheit und -loyalität.
„First Time Fix“ – Fehler schnell finden und beheben: Die für die Diagnose üblichen Fehlersuchtabellen sind statisch und berücksichtigen keine Ursachenhäufigkeiten und auch keine neu auftretenden Symptome/Ausfallursachen. Dadurch ist Fehlersuche zeitaufwendig, teuer und oft mit wiederholten Servicebesuchen verbunden.
Im Wissensgraphen werden statt Fehlersuchtabellen Beziehungen zwischen möglichen Fehlerursachen und Symptomen/Fehlercodes festgehalten. Neue Ursachen und Symptome können einfach ergänzt werden. Fehlersuchanleitungen werden dynamisch generiert und auf die Fehlerhäufigkeiten abgestimmt. Bei jeder Fehlersuche wird die Ursachenhäufigkeit im Graphen nachgeführt. Aufgrund der für jeden Diagnoseschritt gespeicherten Zeit kann das minimale und maximale Wartungsfenster berechnet werden, was die Planung effizienter macht.
Die dynamisch optimierte geführte Fehlersuche aufgrund von Fehlerhäufigkeiten und die Planung realistischer Wartungsfenster steigert die „First-Time-Fix-Rate“, senkt die Fehlersuchzeiten/-kosten und verbessert sowohl die Kundenloyalität als auch die Zufriedenheit der Servicemitarbeiter.
Mehrwert durch digitale Services: Die Vorteile der durchgängig semantischen Aufbereitung von Produktwissen für die Instandhaltung sind unter anderen:
- Herstellerübergreifende Interoperabilität: Mit den Standards iiRDS/VDI 2770 steht Produktwissen einheitlich digital und modular aufbereitet zur Verfügung.
- Kürzere Stillstandszeiten: durch präzise Wartungsplanung/-zeiten, abgestimmt auf den aktuelle Anlagen-/Produktkontext werden Wartungsfenster kürzer.
- Beschleunigte Wartung: durch kontextgenaue, auf Bedürfnisse abgestimmte, visuell ergänzte Informationen wird die Wartung beschleunigt und die Qualität erhöht.
- Erhöhte First-Time-Fix-Rate: durch Priorisierung der Fehlersuche aufgrund von Ursachenhäufigkeiten können Fehler oft beim ersten Serviceeinsatz behoben werden.
- Schnellere Umsetzung von Digitalisierungsschritten: das Zusammenführen aller relevanten Aftersales-Informationen im Wissensgraphen schafft eine tragfähige Basis für weitere Digitalisierungsschritte von wertschöpfungssteigernden Smart Services bis hin zu Augmented/Virtual Reality und Sprachassistenten.
- Basis für innovative Analytik und kontinuierliche Verbesserungen: Graphen-Technologien sind laut Gartner Group [3] in Zukunft ein Katalysator für innovative Analytik.
Der Kundenmehrwert dieser genannten Aspekte besteht in der Reduzierung der Kosten und der Verbesserung aller Service KPIs.
Zusammenfassung und Ausblick
Die volldigitale Instandhaltung auf Basis eines Wissensgraphen wird in den kommenden Jahren verstärkt im Servicebereich Einzug halten und nachhaltige Konkurrenzvorteile schaffen. Damit der Ansatz das volle Potenzial entfalten kann, müssen aber auch automatisch erstellte, auf Konfiguration und Kontext abgestimmte Servicepläne und -anleitungen benutzerfreundlich bereitgestellt und zu 100 Prozent in den digitalen Prozess integriert sein. Damit leisten Service und Instandhaltung einen entscheidenden Beitrag zur Wertschöpfungssteigerung im Unternehmen und schaffen nachhaltige, schwer zu imitierende Wettbewerbsvorteile. Digitale Instandhaltung wird zum kritischen Erfolgsfaktor.
Aufgrund der Flexibilität und Erweiterbarkeit von Wissensgraphen können existierende und zukünftige Standards aus Industrie (4.0) Initiativen direkt als Ontologie zur Verfügung gestellt werden. Aber auch Informationen von Herstellern und/oder Partnern lassen sich auf diese Weise systematisch zusammenbringen. Informationsvernetzung und -bereitstellung (Stichwort digitaler Informationszwilling) rücken unmittelbar näher. Das semantische Informationsmanagement ist hierfür eine unabdingbare Voraussetzung.
Mit über 30 Jahren Erfahrung und Standorten in über 30 Ländern zählt STAR zu den führenden Anbietern im Bereich multilingualer Informationstechnologien. Wer bei neuen Digitalisierungstrends mit dabei sein will, muss Informations- und Sprachprozesse als integralen und synchronisierten Bestandteil von Marketing, Produktentwicklung, Produktion und Kundendienst beherrschen.
Referenzen
[1] GRIPS Website (2021). [Online]. Verfügbar: https://www.star-group.net/de/produkte/informationsmanagement.html (Stand: 22. Juni 2021)
[2] PRISMA Website (2021). [Online]. Verfügbar: https://www.star-group.net/de/produkte/prisma.html/ (Stand: 22. Juni 2021)
[3] Gartner (2021). Gartner Identifies Top 10 Data and Analytics Technology Trends for 2021. [Online]. Verfügbar: https://www.gartner.com/en/newsroom/press-releases/2021-03-16-gartner-identifies-top-10-data-and-analytics-technologies-trends-for-2021 (Stand: 24. Juni 2021)